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Von der Idee zum Plot

Federwelt
Andreas Eschbach
Bild zum Thema Von der Idee zum Plot von Andreas Eschbach

Von der Idee zum Plot. Oder: Wann weiß ich, dass eine Geschichte so weit entwickelt ist, dass ich anfangen kann, sie zu schreiben?

Mein wichtigstes Hilfsmittel ist die Zeit. Beim Aufwachen eine geniale Idee haben und nachmittags anfangen zu schreiben, das funktioniert bei mir nicht. Alle Ideen, die mir so einfallen, schlechte wie gute, kommen in einen Ordner, meinen „Ideengarten“. In diesem Ordner blättere ich immer wieder, um mir seinen Inhalt stets aufs Neue ins Gedächtnis zu rufen, Ideen zu den Ideen zu notieren und auf diese Weise dafür zu sorgen, dass da alles sprießt und gedeiht.
Dabei passiert es ab und zu, dass mich eine dieser Ideen anspringt, mich am Kragen packt und schreit: „Ich! Ich! Ich will der nächste Roman werden!“
Aber damit ich mich nicht auf ein Romanprojekt einlasse, bei dem ich auf halbem Wege feststelle, es funktioniert gar nicht, unterziehe ich eine solche Idee erst ein paar Tests.

Der 1-Satz-Test

Erste Frage: Ist die Idee überhaupt romantauglich?
Dafür gibt es einen einfachen Test: Eine Idee, aus der sich ein Roman (oder eine Kurzgeschichte) machen lässt, kann man in einen Satz umformulieren, der mit „Angenommen, …“ beginnt – und der neugierig macht!
Ein Beispiel: „Angenommen, die Erdölversorgung der Welt kommt zum Stillstand, und zwar von einer Woche auf die andere …“ Das ist eine romantaugliche Idee, weil man das liest und sich unwillkürlich fragt: Oha – was würde dann wohl passieren? Und das, was dann wohl passieren würde, ist der Roman. In diesem Fall wurde daraus mein Thriller Ausgebrannt.
Eine nicht romantaugliche Idee wäre dagegen: „Angenommen, zwei Männer treffen sich in einem Wirtshaus und fangen eine Schlägerei an …“ Das liest man und denkt nur: Na und? Es folgt nichts daraus, es macht nicht neugierig – also ist es keine romantaugliche Idee.
Was nicht heißt, dass man keine romantaugliche Idee daraus machen könnte. Schon eine plumpe Variante wie: „Angenommen, zwei Männer fangen in einem Wirtshaus eine Schlägerei ein, und dabei stellt sich heraus, dass einer von ihnen ein Vampir ist …“ wäre eine, mit der sich zur Not etwas anfangen ließe.

Der 60-Worte-Test

Der zweite Test ist eine Art magische Prüfung: Kann ich den geplanten Roman in genau 60 Worten beschreiben? Die Zahl ist aus irgendeinem Grund wichtig: Nicht 59, nicht 61, genau 60 müssen es sein, und Satzzeichen zählen nicht.
Beispiel: John Salvatore Fontanelli, Pizzaausfahrer in New York, ist im Jahre 1995 der jüngste männliche Nachfahre des florentinischen Kaufmanns Giacomo Fontanelli und wird deshalb zum Erben seines Vermögens erklärt. Das aber ist in über 500 Jahren durch Zins und Zinseszins auf eine Billion Dollar angewachsen – und es gibt eine alte Prophezeiung, der Erbe werde damit der Menschheit die verlorene Zukunft zurückgeben …
Einen solchen Kurztext formuliert man nicht auf Anhieb. Aber gerade die vielen Versuche, die nicht funktionieren, helfen, klarer herauszuarbeiten, was der Kern des Romans ist und was nicht. Der fertige 60-Worte-Text ist zugleich eine gute Grundlage, um das Buch später einem Verlag vorzustellen oder um einen knackigen Klappentext daraus zu entwickeln.

Der Vier-Punkte-Test

Um sicherzustellen, dass ich nicht nur eine Idee für einen interessanten Anfang habe, sondern eine Idee für ein Buch, das durchgehend interessant ist, versuche ich nun, jeweils einen Satz für jede der folgenden vier Kategorien zu finden:

1. Der Haken: Was geschieht zu Beginn, das die Aufmerksamkeit des Lesers fesselt? Das einen „Oha?“ sagen lässt? Das einem Lust macht, mehr zu erfahren?
2. Die Komplikation: Was geschieht, das verhindert, dass es dabei bleibt? Wie verändert sich die Situation so, dass es keine einfache, schnelle Auflösung gibt?
3. Die Konsequenzen: Was passiert weiter?
4. Das Endergebnis: Wie endet es?

Ein Beispiel anhand eines meiner Romane:

1. Der Haken: Bei Ausgrabungen in Palästina wird in einem 2000 Jahre alten Grab die Bedienungsanleitung für eine SONY-Videokamera gefunden.
2. Die Komplikation: Die zugehörige Kamera ist noch gar nicht auf dem Markt, sondern befindet sich erst in Entwicklung, was bedeuten könnte, dass es sich bei dem Toten um einen Zeitreisenden handelte, der Jesus Christus filmen wollte.
3. Die Konsequenzen: Eine Jagd nach der zugehörigen Kamera beginnt, die der Zeitreisende vielleicht irgendwo versteckt hat; ein Wettrennen zwischen den Leuten eines Medien-Moguls, der katholischen Kirche und dem ursprünglichen Entdecker des Fundes, einem amerikanischen Studenten.
4. Das Endergebnis: Die Kamera wird gefunden – auf überraschende Weise, an einem ganz unwahrscheinlichen Ort und mit ganz unerwarteten Konsequenzen für die Beteiligten. (Im Original lautete dieser Satz anders, aber das Buch entwickelte beim Schreiben einen anderen Schluss als den ursprünglich geplanten.)

Man lasse sich nicht entmutigen: Die ersten Versuche, diese vier Sätze zu formulieren, lesen sich fast immer schrecklich. Auch dies ist eine Übung im Verdichten, im Kondensieren von Ideen. Selbst nach Jahren der Übung muss ich immer noch viel Mühe darauf verwenden und vor allem viele Varianten durchprobieren, ehe ich bei einem Quartett lande, das sich durchgehend anfühlt wie „Au ja, will ich lesen!“.
Auch hier ist das Zaubermittel wieder die Zeit – Zeit plus Mühe. Ich schreibe die einzelnen Sätze manchmal auf Notizzettel, hefte sie untereinander an meine Pinnwand und betrachte sie mehrmals am Tag. Ich mache mir einen Sport daraus, täglich einen Zettel durch einen mit einem anderen Satz zu ersetzen, überschlafe die Variante und entscheide am nächsten Morgen, ob ich sie (erst einmal) behalte oder zur vorigen zurückkehre.
Wie auch immer man es macht: Es ist die Phase, in der man am „billigsten“ mit Ideen spielen kann und sollte. Bei vier Sätzen ist nicht viel Arbeit verloren, wenn man einen streicht und durch einen anderen ersetzt. Und doch formt sich dabei ein erstes Bild dessen, wie der Roman später einmal werden soll.
Habe ich meine vier Sätze auf den Punkt gebracht – wobei es nicht immer genau vier sein müssen; manchmal brauche ich auch zwei oder drei Sätze für eine Kategorie –, dann habe ich gleichzeitig die Vorarbeit geleistet, die mir das Schreiben eines Exposés und später die Planung der Szenenfolge wesentlich erleichtert.

Das „Einrasten“

Während ich mit Ideen für einen Roman spiele und verschiedene Varianten erwäge, mache ich immer wieder die Erfahrung, dass irgendwann bestimmte Ideen, Figuren, Handlungsdetails „einrasten“, wie ich es nenne: Dann kann ich mir den Roman ohne diese Idee, diese Figur, diese spezielle Wendung nicht mehr vorstellen, hätte das Gefühl, es wäre nicht mehr der Roman, den ich schreiben will, müsste ich darauf verzichten.
Je mehr Ideen „einrasten“, desto weniger Spielraum bleibt natürlich für Änderungen, und irgendwann habe ich einfach keine Lust mehr, (viel) Neues auszuprobieren.
Das ist der Moment, in dem ich anfangen kann, den Roman zu planen und zu schreiben – der Moment, in dem die Arbeit beginnt.

Autor: Andreas Eschbach | www.andreaseschbach.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 131, August 2018
Blogbild: Photo by Elijah O'Donnell on Unsplash

 

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