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Vielschreiber: Über Vorurteile und Erfahrungen

Federwelt
Mara Laue
Schnelle Hand über einer Tastatur als Illustration für Vielschreiber

Wer viel und schnell schreibt, muss sich einigen (Vor-)Urteilen stellen. Doch was ist viel? Ist an den (Vor-)Urteilen irgendwas dran? Und wie gelingt es überhaupt, so produktiv zu sein? Mara Laue öffnet ihre Erfahrungsschatzkiste und zapft auch das Wissen von Kolleginnen und Kollegen an.

Die Definition fin »Vielschreiber«
VielschreiberIn ist, wer a) quantitativ viel schreibt und mehr als zwei Romane pro Jahr verfasst oder b) mehrere Genres bedient. Auch wer für mehrere Verlage gleichzeitig tätig ist, wird manchmal dazugezählt. Wobei sich Letzteres meistens aus Punkt b) ergibt, denn kaum ein Verlag veröffentlicht alle (Haupt-)Genres. Selbst reine Krimiverlage sind oft auf ein einziges Subgenre spezialisiert. Bedient man eine andere Krimisparte, muss ein weiterer Verlag her. Ich bekenne mich „schuldig“ in allen drei Punkten. Ich schreibe jährlich vier bis sechs Romane, ebenso viele Kurzromane und etliche Storys, wodurch ich jedes Jahr auf 3.000 bis 3.500 Normseiten komme, manchmal auf mehr. Dabei tobe ich mich in dreizehn verschiedenen Genres beziehungsweise Subgenres aus und arbeite für insgesamt elf Verlage regelmäßig.

Meine Gründe
Frei nach Luther: Hier sitze ich, ich kann nicht anders. Ich habe so viele Geschichten im Kopf, die in die Welt wollen, dass ich einfach so viel schreiben muss. Obendrein macht mir das mordsmäßigen Spaß. Womit ich nicht allein bin, denn die vielen Ideen, die raus wollen, sind der häufigste Grund für AutorInnen, dem Vielschreiben zu frönen.
Ein weiterer wichtiger Grund kommt besonders bei Serien oder Reihen zum Tragen, die über eine Trilogie hinausgehen: Dauert es zu lange, bis ein Folgeband oder neues Lesefutter der LieblingsautorIn erscheint, wandern viele Lesende zu anderen AutorInnen ab. Um das zu verhindern, müssen jedes Jahr entsprechend viele Werke her. Das gilt nicht nur für Selfpublisher.
Ein dritter Grund ist – ganz profan – das Geldverdienen. Gerade für BerufsschriftstellerInnen, die (noch) keinen Bestsellerstatus erreicht haben. Sie können es sich schlichtweg nicht leisten, höchstens zwei Bücher pro Jahr zu veröffentlichen, wenn sie nicht am Hungertuch nagen wollen. Besonders dann nicht, wenn sie die Familie hauptsächlich ernähren. Ohne Bestseller können fast nur Vielschreibende überhaupt vom Schreiben leben.
Leider haben sie bei manchen Verlagen und LeserInnen einen schlechten Ruf – zu Unrecht.

„Quantität geht zulasten der Qualität“
Dies ist das häufigste Vorurteil, gegen das alle zu kämpfen haben, die viel schreiben. Die es vertreten, untermauern es mit dem Argument: „Ich habe neulich sooo ein schlechtes Buch gelesen, und dessen AutorIn ist VielschreiberIn! So viel schreiben muss ja zulasten der Qualität gehen, denn ein Buch zu schreiben braucht Zeit.“ Dabei führt bereits der Umkehrschluss das Argument ad absurdum, denn unzählige Bücher von AutorInnen, die pro Jahr oder nur alle zwei Jahre ein Buch veröffentlichen, sind ebenfalls suboptimal. Wofür es auch einen einleuchtenden Grund gibt: Wer wenig(er) schreibt hat oft nicht die Erfahrung und Übung wie jemand, der viel schreibt.
Ja, ein Buch zu schreiben braucht Zeit. Aber wie viel Zeit jemand dafür benötigt, hängt von vielen Faktoren ab, die man nicht miteinander vergleichen kann. Wer den ganzen Tag nichts anderes tut, als mindestens acht Stunden lang an Romanen zu schreiben, ist schneller fertig als jemand, der nur am Wochenende dafür Zeit hat. Wer schnell tippen kann, schafft in einer Stunde mehr als jemand, der langsamer schreibt. Aus wem die Ideen nur so sprudeln, schreibt schneller als Leute, die sich damit schwertun. Erfahrene Profis schaffen, weil sie das Handwerk beherrschen, mehr als weniger erfahrene KollegInnen, die noch an jeder Szene mehrfach feilen müssen, bis sie passt. Und ein Buch mit nur dreihundert Seiten ist schneller fertig als eins mit tausend. Ich brauche für dreihundert Seiten ungefähr zweihundert Stunden inklusive Überarbeitung.

Einzig aussagekräftig: die geschriebenen Normseiten pro Jahr
Allerdings liegt dem Vorurteil auch die Fehlannahme zugrunde, dass ich mit allen Romanen, die ich in einem Jahr veröffentliche, auch im selben Jahr begonnen habe. Das ist nicht immer der Fall. Deshalb ist die im Jahr geschriebene Normseitenzahl aussagekräftiger.
Dieses Vorurteil ist auch ein Grund, warum manche Vielschreibende zu einem Pseudonym greifen, um sich nicht dem „Verdacht“ der mangelnden Qualität auszusetzen. Oder der Verlag hält sie deswegen dazu an. Das gilt vor allem für diejenigen, die in vielen Genres unterwegs sind. Weil auch hier das Vorurteil besteht, „niemand“ könne in mehreren Genres gleichermaßen gut schreiben (was vielfach widerlegt ist).
Literaturagent Gerd F. Rumler kann diese Vorurteile jedoch nicht nachvollziehen. „Es kommt immer auf den Einzelfall an“, betont er. „Entscheidend ist allein die Qualität. Pauschal zu sagen, dass Vielschreiber oder auch die, die mehrere Genres bedienen, generell schlechter schreiben als weniger produktive oder nur auf ein einziges Genre abonnierte Autorinnen und Autoren, kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen.“

Andere Vorurteile über Vielschreiber

  • Sie haben keine Zeit für ordentliche Recherche.
  • Sie liefern nur Rohfassungen ab, weil ihnen fürs Überarbeiten die Zeit fehlt.
  • Sie schreiben nur auf Groschenromanniveau.
  • Sie schreiben immer nach Schema F.

Viele teilweise berühmte KollegInnen haben sämtliche Vorurteile widerlegt. Enid Blyton kommt, je nach Quelle, auf ein Gesamtwerk von 658 bis 753 Romanen. Bestsellerautorin Petra Schier hat für mich nachgezählt und kommt bei ihrem bisherigen Schaffen auf 51 Werke in 14 Jahren. Und Barbara Cartland, die „Queen of Romance“, schrieb erst zehn, später 20 Bücher pro Jahr, die insgesamt etwa eine Milliarde Mal verkauft wurden.

Wie Vielschreiben funktioniert
Wer das Handwerk beherrscht, muss meistens nicht mehr lange überlegen, wie er oder sie eine Idee in einen tragfähigen Plot umwandelt. Dessen Grundaufbau ist immer gleich: Hauptfigur und AntagonistIn tragen einen Konflikt aus, um dessen Lösung es geht. Oder die Hauptperson muss eine Aufgabe (im weitesten Sinn) bewältigen. Dafür brauche ich eine sympathische Figur mit Stärken und Schwächen sowie einer Fähigkeit oder Eigenschaft, die sie aus der Masse heraushebt. Plus einen Anfang, der die LeserInnen in die Geschichte zieht. Auf dem baue ich den Spannungsbogen auf. Gewürzt wird alles mit überraschenden Wendungen, Nebenkonflikten, Verzögerungen und stringenter Handlung. Und ab geht die „Schreibpost“, denn diese Dinge entstehen bei mir innerhalb weniger Minuten, nachdem eine Idee da ist.

Die Idee als Keimzelle des Romans ...
... ist manchmal eine interessante Figur, manchmal ein Thema, hin und wieder auch eine (noch) zusammenhanglose Szene, oft nur ein Name oder ein Wort. Oder ein Song. So entstand mein Roman Das Gesetz der Vampire aus dem Song Dark Lover der Band Tempest, in dem eine Frau jede Nacht ihren Vampirgeliebten erwartet. Meine Idee: Was wäre, wenn ein Vampirjäger genau diesen Moment abpasst, in dem der Vampir abgelenkt ist, um ihn zu töten? Wie reagiert dessen Geliebte darauf? Sie will sich rächen – indem sie den Mörder ebenfalls zum Vampir macht: ihn in das verwandelt, was er am meisten hasst. Und ihm damit die Hölle auf Erden zu verschaffen. Wie geht er damit um, unfreiwillig zu einem „Volk“ zu gehören, das er hasst? – Aus dieser Idee entstand am Ende nicht nur ein einzelner Roman, sondern eine Trilogie.

Wer auf der Klaviatur des Handwerks zu spielen weiß, ist auch in der Lage zu schreiben, wenn die Muse durch Abwesenheit glänzt. Wer vor Ideen übersprudelt, hat allenfalls die Qual der Wahl, welche als Erste an der Reihe ist, muss aber nie lange nachdenken, was er/sie überhaupt als Nächstes schreiben soll.
Außer dem Handwerk braucht es ein perfektes Zeitmanagement. Habe ich Abgabetermine einzuhalten, muss ich meine Zeit einteilen und eine ausreichende Spanne für die Überarbeitung einplanen. 

Methoden
Manche Vielschreibende arbeiten linear: Sie schreiben einen Roman fertig und beginnen erst danach mit einem anderen. Andere schreiben an mehreren Romanen gleichzeitig, manche sogar täglich.
Wichtig dabei ist, den Überblick zu behalten, wie viel man jeden Tag schreiben sollte, um die Deadline einzuhalten. Ich benutze dafür eine Exceltabelle. Sie beinhaltet pro Werk vier Spalten. Zugrunde liegt diesem System das Wissen, welchen ungefähren Umfang jedes Werk hat. Meistens gibt der Verlag die maximale Anschlagzahl vor. Nach der Normseitenregelung (1.500 Anschläge pro Seite, sagt die VG Wort) kann man diese Zahl in Normseiten umrechnen. Man gebe noch fünfzig Seiten als Puffer hinzu und hat so eine realistische Seitenzahl.
In der ersten Spalte steht jedes Datum bis zum Abgabetermin. In die zweite trage ich täglich die noch zu schreibende Seitenzahl ein. Diese Zahl reduziert sich jeden Tag: Sind es heute noch 150 Seiten und ich habe fünf geschafft, bleiben morgen nur 145 Seiten. In Spalte drei stehen absteigend die Tage, die bis zum Abgabetermin verbleiben, abzüglich ausreichender Zeit fürs Überarbeiten. Spalte vier ist so programmiert, dass das System selbstständig ausrechnet, wie viele Seiten ich pro Tag an diesem Werk schreiben müsste, um die Deadline einzuhalten und noch genügend Zeit fürs Überarbeiten zu haben.
Man kann sich auch ausrechnen, wie viele Seiten pro Woche für jedes Manuskript zu schreiben sind. Dann kontrolliert man am Ende der Woche, ob man das Pensum eingehalten hat und gleicht das Pensum für die nächste Woche entsprechend an. Welche Methode man verwendet, ist egal, solange sie funktioniert.

Den Schweinehund überlisten
Für Petra Schier, Verlagsautorin und Selfpublisherin, funktioniert Folgendes: „Ich schreibe immer zuerst an dem SP-Buch, weil es keinen vertraglich festgelegten Abgabetermin hat. Hier schreibe ich täglich um die fünf Seiten. Danach erst arbeite ich an dem Verlagsmanuskript, das täglich um etwa sieben Seiten wachsen soll. Diese Reihenfolge erlaubt es mir, meinen inneren Schweinehund zu überlisten. Würde ich es umgekehrt machen, hätte dieser das gute Argument, dass ich ja bereits sooo viel an meinem ‚Pflichtprogramm‘ gearbeitet habe, dass ich ruhig eine Pause beim SP-Manuskript einlegen könnte. Solche Pausen häufen sich dann sehr schnell. Wenn ich aber erst die „Kür“ und danach die „Pflicht“ absolviere, schweigt der Schweinehund, denn er weiß ja genau, dass ich das Verlagsbuch bis zu, Tag X fertig haben muss.“

Die Vorteile des Vielschreibens
Schreiben ist wie ein Muskel, der verkümmert beziehungsweise seine optimale Leistungsfähigkeit nicht entwickeln kann, wenn man ihn nicht ausreichend trainiert. So brauche ich zum Beispiel weniger Zeit zum Überarbeiten, weil mir wegen ausreichender Übung (sprich: Erfahrung) bereits die Rohfassung besser gelingt als weniger Geübten. Interessant: Viele KollegInnen, die ich für diesen Artikel befragte, wären selbst gern Vielschreibende, aber dafür fehlt ihnen die Zeit, die sie in einen Brotjob und andere Verpflichtungen investieren müssen. VielschreiberIn zu sein ist offenbar durchaus erstrebenswert.

Fazit
Da Geheimnis des Vielschreibens ohne Qualitätsverlust lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Vielschreiben = viele Ideen + Beherrschung des Handwerks + gutes Zeitmanagement. Und nichts spricht dagegen, mehrere Genres zu bedienen, wenn man sie liebt.

Statements

Gabriele Steininger (www.magic-good-stories.de), Indie-Autorin: „Vielschreiber sind keine schlechteren Autoren als andere. Sie beschäftigen sich nur mit mehr Themen als viele ihrer Kollegen. Mir als Vielschreiberin gefällt die Freiheit, genau an den Werken zu arbeiten, die mir im Moment zusagen.“

Chris H. Wege, Selfpublisher: „Ich glaube, der Hauptnachteil am Vielschreiben ist, dass man sich schnell mal den Neid jener zuzieht, die es, warum auch immer, nicht tun.“

Elvira Zeißler (www.elvirazeissler.de), Selfpublisherin: „Fürs Vielschreiben spricht, dass man ‚in Übung‘ bleibt und sich mit jedem Buch weiterentwickeln kann. Dagegen spricht, dass manche Ideen Zeit brauchen und auch Kreativität und Energie nicht unerschöpflich sind. Man kann als Autor recht schnell ‚ausbrennen‘, wenn man es übertreibt, oder zu Wiederholungen neigen, besonders, wenn man immer das gleiche Genre bedient. Ich selbst versuche mich an einem Mittelweg von etwa vier bis sechs Büchern pro Jahr in zwei verschiedenen Genres.“

Gut auf sich aufzupassen, während man schreibt, ist immer wichtig! Bestsellerautorin Petra Hülsmann kann uns leider kein frisches Statement schreiben, hat aber erlaubt, dass wir hier einen Auszug aus ihrem letzten Facebook-Post abdrucken dürfen. Hier ist er: „[...] In den letzten Jahren habe ich mir viel zu viel vorgenommen, [...], sämtliche Warnzeichen ignoriert, und irgendwann kam der Punkt, an dem meine Seele gesagt hat: ‚Nichts geht mehr. Kümmere dich jetzt mal um dich und nicht um das Leben von fiktiven Menschen.‘ Es tut mir wahnsinnig leid, dass ich euch daher sagen muss, dass es in diesem Jahr keinen Roman von mir geben wird. Ich muss gesund werden, bevor ich wieder schreiben kann. [...].“

Julia Kröhn (www.juliakroehn.at): „Ich empfehle, den Buch-Entstehungsprozess in unterschiedliche Arbeitsschritte einzuteilen und diese voneinander abzugrenzen. Bei mir sind das: Ideenfindung/Exposé-Schreiben, Recherche, Plotten/Planen, Schreiben, Überarbeiten, Feilen und Polieren. So kann ich gut an zwei, manchmal sogar drei Projekten gleichzeitig arbeiten. Zum einen sind einige Schritte durchaus kompatibel: An zwei Büchern gleichzeitig schreiben könnte ich zwar nie, doch fällt es mir leicht, das eine zu überarbeiten und fürs nächste bereits zu recherchieren oder aus einer Idee ein Exposé zu machen, während ich eine andere Geschichte schreibe. Zum anderen steigert es meiner Erfahrung nach die Qualität eines Textes, wenn man ein Buch nicht als Marathon betrachtet, den man von Start bis Ziel durchlaufen muss, sondern als Hefeteig, den man zwischendurch „rasten“ lässt. Sprich: Ich lege zwischen diese Arbeitsschritte immer eine Pause, in der ich alles sacken und wachsen lasse, und nutze sie, um an einem anderen Projekt weiterzuarbeiten. Wenn ich mal länger auf das Feedback meiner Lektorin warten muss, kommt es so nie zu einem Leerlauf.“

Autorin: Mara Laue | www.mara-laue.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 141, April 2020
Blogbild: Vogt und Boerboom

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 141, April 2020: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22020
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