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Tipps für erfolgreiches Arbeiten zu Hause

Federwelt
Janet Clark
Tipps für erfolgreiches Arbeiten zu Hause

»Du bist ja zu Hause!« Oder wie Sie als Schriftstellerin die Tücken des Home Office meistern.

Tideldü – delü. Der harmonische Klingelton friert den brutalen Fausthieb ein, nur Millimeter vor dem Gesicht meiner Heldin. Ich nehme die Finger von der Tastatur, schiele auf das Display des Telefons. Seufze. Der Nummer nach ist es zehn Uhr. Denn ganz Deutschland hat um zehn Uhr Pause. Auch meine Schwiegermutter. Sie greift zum Telefon und wählt eine Nummer. Jeden Tag die gleiche. Meine.
„Was gibt’s?“, frage ich und lächle, denn ich habe mal gehört, dass das Gegenüber am Telefon meinen Gesichtsausdruck hören kann.
„Du, das glaubst du nie …“, fängt sie an und versorgt mich exakt fünfzehn Minuten mit dem letzten Tratsch eines Dorfes, in dem ich nur einen Menschen kenne: sie. „Gell, erzählst des dem Michel heut Abend“, beendet sie ihren Monolog, und ich frage nicht, warum sie nicht einfach gleich ihn angerufen hat. Denn ich weiß die Antwort: Mein Mann ist ja im Büro, ich dagegen bin zu Hause.
Sie legt auf, unsere gemeinsame Pause ist beendet, und die Faust des Mörders landet mit nur einem einzigen Halbsatz auf dem Jochbein meiner Heldin. Der Schlag ist härter ausgefallen als geplant. Aber so ist das eben. Auch wir AutorInnen sind nur Menschen und dass wir Aggressionen an unseren Figuren abbauen, ist hinlänglich bekannt.
Meine Heldin japst, torkelt zurück, meine Finger lungern über der Tastatur: Soll sie noch eine einstecken? Bevor ich die Entscheidung treffen kann, scheppert die Türklingel. Ich grummle, schiebe den Stuhl zurück und laufe die Treppe hinunter.
Die Haustür ist kaum offen, da flötet mir Deutschlands freundlichster Paketbote ein „Ist das nicht ein wunderbarer Tag, Frau Clark“ entgegen und drückt mir das vierhundertachtundneunzigste Paket dieses Jahr in die Hand. Ich linse in den trüben Schneeregen hinter ihm und frage mich angesichts seiner penetrant guten Laune, ob ich nicht bei DHL anheuern sollte.
„Für mich?“, frage ich überflüssigerweise, denn meine jährlichen fünf Onlinebestellungen sind bereits Monate her. Er zwinkert mir zu. „Das nächste Mal bestimmt!“ Ich unterschreibe das vierhundertdreiundneunzigste Mal in 2017 für einen meiner Nachbarn und schließe die Tür. Höre aber noch das fröhliche „Bis morgen!“, das mehr wie eine Bitte klingt, ihm auch dann wieder ein Paket abzunehmen, das garantiert nicht für mich ist.
Zurück am Schreibtisch, verpasse ich meiner Heldin einen weiteren Hieb. Diesmal direkt aufs Auge, dramaturgisch fatal, da sie nun ein blaues Auge hat. Aber das ist es mir wert. Muss ich halt später noch eine Überschminkszene in den Plot einbauen.

So nicht? 10 Tipps für erfolgreiches Arbeiten zu Hause:
1. Arbeitszeiten (AZ) festlegen.
2. AZ klar nach außen kommunizieren.
3. AZ einhalten! Wenn man sie selbst nicht einhält, respektieren andere sie auch nicht.
4. Social-Media-Zeiten einführen – es gehört zum Job, aber nicht 24/24.
5. Während der AZ nur relevante Anrufe annehmen.
6. Die Haustür bleibt zu – wäre man im Büro, würde auch niemand öffnen.
7. Termine (Arzt et cetera) in Randzeiten/Pausen legen.
8. Klare Tagesziele beziehungsweise Etappenziele setzen und einhalten.
9. Feste Pausen befeuern die Kreativität.
10. Hausarbeit/Kinderbetreuung/Karenztage mit PartnerIn teilen.

Meine Finger rasen über die Tastatur, lassen meine Heldin zurückweichen. Der Mörder hechtet ihr nach, doch er schlägt nicht zu. Bomm-Bomm-Bomm dröhnt es in seinen Ohren. Verwundert dreht er den Kopf. Pardon, drehe ich den Kopf. War das ein Klopfen?
Wieder stehe ich auf, der Stuhl holpert über das Computerkabel und stoppt unvermittelt, während ich noch mitten in der Bewegung bin. Meine Hüfte schrammt an die Tischkante, ich fluche und laufe, meine Hüfte reibend, erneut die Treppe hinunter. Vor der Terrassentür steht der Nachbar, dessen Paket ich eben angenommen hatte und winkt grinsend mit dem Paketzettel. Ich öffne die Tür und ziehe meine Mundwinkel zu einem fast perfekten Lächeln auseinander.
„Grüß dich, jetzt hab ich den Postboten doch verpasst, aber“, er lacht und stapft mit seinen Matschstiefeln in meine Küche, „du bist ja zu Hause.“ Er seufzt. „Praktisch, so ein Homeoffice.“
Meine Mundwinkel zucken in dem Bemühen, das Lächeln beizubehalten und ihm, dem notorischen Alles-online-Besteller-weil-es-ja-so-praktisch-Ist, nicht ein erbostes „klar, für dich als private Paketannahmestelle“ entgegenzuschleudern. Gute Nachbarschaft ist schließlich wichtig. Sein Blick fällt auf meinen gepackten Koffer. „Fährst du schon wieder weg?“
„Lesereise.“
„Eieiei.“ Er schüttelt besorgt den Kopf. „Und dein Mann? Muss der sich wieder ganz allein um eure Tochter kümmern? Pass nur auf, dass der nicht plötzlich fort ist ...“
Zwei Kaffee und eine siebenundvierzigminütige Lehreinheit über männliche Befindlichkeiten später sitze ich wieder am Schreibtisch, einigermaßen geschockt über die düstere, kurze Zukunft, die meiner Ehe vorausgesagt wurde.
Ich kämpfe mich zurück in den Text. Lese die letzten Absätze, schwanke kurz, ob meine Heldin wirklich ein blaues Auge verdient hat, und entscheide mich: Das blaue Auge bleibt. Basta. Die Hand des Mörders hängt noch in der Luft, als es abermals läutet.
„Zefix noch mal!“ Die Faust des Mörders bleibt oben, meine kracht auf die Glasplatte. Es scheppert, der kalte Tee schwappt auf meine Notizen. Nein. Ich werde nicht aufmachen. Ich schreibe jetzt diesen verdammten Satz zu Ende. Dringidingiding. Es läutet sturm. Ich bleibe stark. Tippe ein A, als es so laut gegen die Tür hämmert, als würde jemand einen Rammbock einsetzen. „Frau Clark! Hallooo?!“, brüllt es und ich erkenne die Stimme des Klempners, den ich angefleht hatte, mich heute irgendwie und egal wann (ich bin ja zu Hause) in seinen Terminkalender zu quetschen. Ich schnelle hoch, bevor der Stuhl ganz zurückfährt, bleibe mit der Hüfte hängen und stoße den kalten Tee diesmal komplett um. Rasend schnell arbeitet er sich auf meinen Laptop zu. Panisch ziehe ich zehn Papiertücher gleichzeitig aus der Packung und stoppe die Überschwemmung gerade rechtzeitig vor der Katastrophe. Dann sprinte ich, die pochende Hüfte reibend, die Treppe hinunter. Reiße die Tür auf. Und sehe, wie der Klempner mit quietschenden Reifen vom Hof fährt.
Verdammt! Ich knalle die Tür ins Schloss. Jetzt muss ich auch noch kalt duschen!
Wütend über mich selbst stampfe ich die Treppe hoch zu meinen Schreibtisch. Dort betrachte ich die Teeschlieren auf dem Glas, zerknülle die eingeweichten Notizen und pfeffere sie in den Müll. Bevor ich mich versehe, hämmern meine Finger auf die Tastatur. Der Mörder stürzt sich auf meine Heldin. Seine Hände legen sich um ihre Kehle, drücken zu. Fester. Immer fester. Meine Heldin röchelt. Sie schlägt nach ihm, kratzt, tritt, doch sein Griff ist die Mutter aller Schraubzwingen. Ihr Gesicht wird rot, blau, das Röcheln erstirbt, die Augen quellen aus den Höhlen, dann sackt sie zusammen.
Erschrocken halte ich im Tippen inne. Habe ich gerade meine Heldin getötet? Auf Seite ... ich scrolle nach unten ... Seite einhundertneununddreißig?
Das ist übel. Übler als Kalt-Duschen und Haare-Waschen zusammen. Selbst die beste Überschminkszene der Welt biegt das nicht mehr hin. Vielleicht könnte wenigstens der Mörder Mitleid haben? Eine Wiederbelebungsmaßnahme. Oder ... im oberen Eck des Bildschirms blinkt eine E-Mailbenachrichtigung. Von der Schule. Liebe Frau Clark, morgen ist Basteltag, und da Sie ja zu Hause sind ... Ohne die Mail zu Ende zu lesen, klicke ich auf Antworten und informiere die Lehrerin mit gewisser Genugtuung, dass ich ab morgen leider auf Lesereise sei. Dann starre ich wieder auf den fatalen letzten Absatz meines Manuskripts. So lassen? Mir rennt die Zeit davon, und der plötzliche Heldentod funktioniert bei Game of Thrones schließlich bestens. Nur – wer jagt dann den Mörder? Verdammt. Mein Finger nähert sich der Delete-Taste. Soll ich? Es ist die Arbeit eines ganzen Vormittags ...
Es läutet.
Erleichtert stehe ich auf. Vor der Tür steht eine Freundin. „Nanni! Huhu!“, strahlt sie, „Sport?“
Mir liegt ein entschiedenes „Sorry, Arbeit ...“, auf der Zunge, doch dann erinnere ich mich an die Leiche in meinem Arbeitszimmer und das eiskalte Wasser in meinem Bad.
„Klar“, sage ich. „Und danach in die Sauna.“
Ab morgen bin ich ja auf Lesereise und kann in Ruhe arbeiten ...

Autorin: Janet Clark | www.janet-clark.de
Erschienen in: Federwelt, Heft 128, Februar 2018
Blogbild: Photo by Dillon Shook on Unsplash

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