
Oder: „Nee, Mama – Muttis Probleme interessieren uns nicht!“ Wenn Mutter und Tochter einen Jugendroman schreiben.
Wenn ich erzähle, dass ich mit meiner Tochter schon seit einigen Jahren Jugendbücher schreibe, kommen immer recht schnell einige Fragen auf: Zusammen schreiben?! Und dann auch noch mit der Tochter. Wie geht das denn? Wie kam es dazu? Wie macht ihr das?
„Wir denken uns etwas aus, was wir beide toll finden“, sage ich dann meistens. Denn das ist es, worauf es meiner Meinung nach beim Zusammenschreiben – mit jedem Partner, nicht nur der Tochter – ankommt: Haben zwei Menschen Lust, eine Geschichte zu schreiben, haben beide zusammen etwas zu erzählen? Teilen sie denselben Humor, dieselben Vorlieben für bestimmte Themen, die Liebe zu den gleichen Büchern, den gleichen Filmen?
Roman Nummer fünf
Bis jetzt hat das alles bei uns ganz gut übereingestimmt. Roman Nummer fünf Blind Date in Paris kam im August 2019 beim Arena Verlag heraus. Geschichten haben wir aber schon sehr früh zusammen erfunden, beim gemeinsamen Spielen mit Puppen oder Playmobil habe ich mich über die witzige, fantasievolle Art meiner Tochter gefreut und war mir sicher: Die sechsjährige Stefanie und die sechsjährige Marta hätten sich sehr gut verstanden. „Wie wäre das wohl gewesen, hätten wir uns als Kinder getroffen?“, fragte ich sie. Und gelegt war das erste Samenkorn zu einer Idee, aus der Jahre später der Zeitsprungroman Zwei wie Zucker und Zimt. Zurück in die süße Zukunft werden sollte.
Was wäre, wenn?
Bis wir dann mit dem gemeinsamen Schreiben anfingen, war Marta bereits 14 und mit Dreharbeiten zu einem der Vampirschwestern-Filme beschäftigt. Während der Zugfahrten zwischen Köln und München habe ich ihr viel über meine Jugend erzählt und wir hatten Zeit zum weiteren Herumspinnen unserer „Was wäre, wenn ...?“-Idee: Was wäre, wenn eine Tochter ihre Mutter in der Vergangenheit besucht? Würde die Mutter sie erkennen? Und was müsste Marta mir liefern oder erzählen, damit ich ihr glauben würde? Einen Beweis aus meiner Kindheit, eine kleine Anekdote, von der nur sie wissen kann?
Mittlerweile ist Marta dem Jugendbuch eigentlich entwachsen, studiert Dolmetschen für deutsche Gebärdensprache. Dennoch haben wir immer wieder Ideen für neue Romane. Hilfreich ist, dass Marta schon immer viel gelesen hat, genau die gleiche Art von Geschichten mag wie ich, und dieselben Wörter hasst: „..., schmunzelte er“ und „..., flötete sie“ kommen uns nicht ins Buch!
Unsere Romane sind realistisch erzählt, doch jedes Mal geht es auch um ein magisches Element, das die Hauptfiguren ordentlich in Verwirrung stürzt.
Wie es beginnt
Die Idee ist entscheidend, sie muss uns beide elektrisieren und Lust auf noch mehr Spinnereien machen. Manchmal entzündet sie sich an einer lebenden Figur (einem blinden Menschen, den wir kennen), einem Ort, den wir lieben (alte Kinos, ein Filmset), oder höchst unwahrscheinliche Magie, die wir besonders toll finden, wie ein sprechender Hund oder ein Körpertausch. Das alles reichern wir mit seltsamen Müttern und verschwundenen Vätern an, mixen es mit dem Leben in einem Hotel, auf einer italienischen Insel, mit Mobbing oder Leistungssport und einer Zutat, die nie fehlen darf: der ersten Liebe. Hauptsache, die Perspektive stimmt.
Als ich einmal eine lustige Geschichte vorschlug, bei der die Mutter sich in zwei Männer gleichzeitig verliebt, bekam ich zu hören: „Nee, Mama – Muttis Probleme interessieren uns nicht!“
Konflikte – ein Muss
Während unseres Brainstormings füllen wir ein neues, großes Notizbuch mit blütenweißen Seiten (wir mögen beide gute Stifte und feines Papier), das ist mittlerweile ein Ritual. Ich notiere stichwortartig unsere Einfälle, es muss immer ein großes Problem geben – denn ohne Probleme und Konflikte geht es nicht. Ich skizziere Handlungsbögen, Marta zeichnet die Figuren, und wo wir uns befinden, sprich, die eventuellen Schauplätze.
Dann, wenn nach vielen Diskussionen das Exposé steht und der Verlag sein Okay für einen weiteren Roman gegeben hat, kommt unsere absolute Lieblingsdisziplin: Wir besetzen unsere Figuren mit Schauspielerfotos aus dem Internet. Erst wenn sie ausgedruckt bei mir über dem Schreibtisch hängen, schreibe ich los und Marta bekommt alle 40, 50 Seiten etwas zum Korrigieren. Dabei nutzt sie die Kommentarfunktion wahrlich aus.
Wünscht man sich so eine „Lektorin“?
Nun ja, die Anmerkungen meiner Tochter sind jedenfalls … spannend. Mal lache ich, mal beiße ich die Zähne zusammen, mal schäme ich mich über meine altbackene Art, die ich ja eigentlich immer wieder heftig abstreite … Beim letzten Roman habe ich diese Kommentare gesammelt. Hier die Kategorien, bei denen ich schon ein wenig schlucken musste:
Wortwahl völlig daneben:
- Grabbeln, das Wort kennt kein Schwein!
- Mama?!!! Wie alt bist du bitte? Supergut? Am Apparat? Hallo?!
- In seiner Bude? Wtf? (Anmerkung der Redaktion: „Wtf“ steht für „What the fuck“ und ist als Ausruf des Erstaunens zu verstehen.)
- Entmündigung? Die Kinder von heute wissen nicht, was das ist!
Irgendwie anders, bitte:
- Nee, anders. Sonst klingt er so angepisst.
- Unsexy. Lieber Whiskhy-Cola (oder wie man das auch schreibt)
- Ja okay, Haare ab – Vorbereitung, aber bitte nicht in diesem Moment! Das juckt uns gerade nicht!
- Mhhh, also dramaturgisch verstehe ich das … aber so emotional nicht. Und ihm eine zu scheuern, finde ich richtig scheiße!
Thema verfehlt. Setzen. Sechs:
- Warum? Geh doch in dein Zimmer! Wer quetscht sich denn halb nackt in einen dreckigen Putzschrank? Nein.
- Als ob die Oma das zulassen würde! Die Ausrede ist unlogisch! Dann geht die halt mal früher ins Bett!!
- Warum denn bitte jetzt so ein langer, rührseliger Rückblick? Scheiß auf Papa! Wir wollen nichts von dem lesen! Wir wollen Sex mit Ken …
Aber manchmal gibt es auch so etwas:
- Schön! I want love! Und sexy time …
- UIUIUIUIUIUIui SCHÖN!
- Ach, Jacque! Ich will auch einen Jacque!
Ich korrigiere also ...
und streiche weg und fühle mich alt: Wie sagt man das? Was denken die ganz jungen Leute heute? Ich habe keine Ahnung (mehr).
Meistens kritisiert Marta meine Ausdrucksweise, macht aber keine eigenen Vorschläge, also renne ich mit Laptop oder ausgedruckten Seiten rüber in ihr Zimmer:
- „Was sagt man statt grabbeln?“ – „Nimm antouchen.“
- „Kann Wanda nicht doch im Putzschrank telefonieren, bitte, das ist so eine schöne Szene!“ – „Okay, lass sie im Putzschrank.“
- „Wenn Ava beide küsst, ist das dann moralisch okay?“ – „Sie kann beide küssen, aber wenn sie sich in einen verliebt und trotzdem noch mit dem anderen weitermacht, dann ist sie ’ne Bitch, Mama!“
Zufrieden kehre ich an meinen Schreibtisch zurück.
Jugendsprache im Dialog
Manchmal, wenn ich wirklich festhänge, bitte ich sie, einen Dialog selber zu schreiben. Marta weiß, dass man in Jugendbüchern nicht dauernd Worte benutzen darf, die heute dauernd benutzt werden, ist aber nie um die richtigen Ausdrücke verlegen. „Das sagt man eben so! Ja, sorry!“
Ich rolle mit den Augen. Wir lachen viel.
Fest steht, ich finde es wunderschön, mit meiner Tochter zu schreiben! Ich muss genau zuhören, oft nachfragen, was manchmal mühsam ist und ein bisschen weh tut, aber ich lerne sie auch besser kennen. Und ich weiß, sie wird gegen mindestens zwei Sätze in diesem Text protestieren, wenn sie ihn gleich gegenliest …
Autorin: Stefanie Gerstenberger | www.stefaniegerstenberger.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 139, Dezember 2019
Blogbild: Stefanie Gerstenberger
SIE MÖCHTEN MEHR LESEN?
Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 139, Dezember 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-62019
Sie möchten diese Ausgabe erwerben und unsere Arbeit damit unterstützen?
Als Print-Ausgabe oder als PDF? - Beides ist möglich:
Sie haben gerne etwas zum Anfassen, und es macht Ihnen nichts aus, sich zwei, drei Tage zu gedulden?
Dann bestellen Sie das Heft hier: /magazine/magazine-bestellen
Bitte geben Sie bei »Federwelt-Heft-Nummer« »139« ein.
Download als PDF zum Preis von 4,99 Euro bei:
- beam: https://www.beam-shop.de/sachbuch/literaturwissenschaft/580292/federwelt-139-06-2019-dezember-2019
- umbreit: https://umbreit.e-bookshelf.de/federwelt-139-06-2019-dezember-2019-13425656.html
- buecher: https://www.buecher.de/shop/ebooks/federwelt-139-06-2019-dezember-2019-ebook-pdf/weiss-anna-rossi-michael-gutenkunst-vanessa-warsoenke-annette-b/products_products/detail/prod_id/58337737/
- amazon: https://www.amazon.de/Federwelt-139-06-2019-Dezember-2019-ebook/dp/B082524XBC
Oder in vielen anderen E-Book-Shops.
Suchen Sie einfach mit der ISBN 9783967460018.