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Sitzen ist das neue Rauchen

Federwelt
Sandra Ballarin
Zeichnung von Charles Landseer: An écorché figure (life-size), lying prone on a table, Creative Commons; CCBY 4.0

Sitzen ist das neue Rauchen
Von Sandra Ballarin
Nacken verspannt? Hexe im Kreuz? Das muss nicht sein! – Fitness- und Gesundheitstrainerin Sandra Ballarin erzählt, wie Autorinnen und Autoren ihrem Rücken Gutes tun können.

 

Welche Autorin, welcher Autor kennt das nicht? Man sitzt an seinem Arbeitsplatz und lässt die Finger über die Tasten fliegen – Stunde um Stunde. Auch ich kenne diese Situation zur Genüge: Mit jedem verfassten Satz steigt die Spannung. Und das wörtlich gesehen auch in der Muskulatur. Gerade im Nacken und in den Muskeln rund um die Brust- und Lendenwirbelsäule. Kopfschmerzen können entstehen und die Finger kribbeln. Alles fühlt sich verspannt an. Wie das Wort „verspannt“ schon zu erkennen gibt, ist es wichtig zu verstehen, warum die Muskulatur verhärtet. Das kann mir als Autorin oder Autor helfen, vorbeugend tätig zu werden. Als Fitness- und Rehabilitationstrainerin erlebe ich seit Jahren, dass sehr viele Kunden zu mir kommen und von diesen Verspannungen, den Rückenschmerzen in den Bereichen Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule berichten, die ihrer Meinung nach lediglich deshalb da sind, weil sie im Sitzen arbeiten.

Oft werden in der Literatur Empfehlungen gegeben, welche ergonomische Sitzhaltung am Arbeitsplatz eingenommen werden soll: wie der Stuhl einzustellen ist, welcher Abstand zum Schreibtisch einzuhalten ist und wie die optimale Bildschirmhöhe aussieht. Diese Einstellungen können helfen, ergonomisch zu sitzen und Rückenschmerzen zu vermeiden. Daher möchte ich Sie gerne auf die sehr guten Ausgaben Nummer 24 und 27 des AGR-Magazins verweisen (Aktion Gesunder Rücken e.V.: www.agr-ev.de/de/geprueft-und-empfohlen/broschueren-der-agr). Diese Ausgaben informieren sehr umfassend über das rückengerechte Arbeitsumfeld.

Warum verspannt meine Muskulatur?

Die Muskulatur „verspannt“ durch die monotone Sitzhaltung. Teilweise stundenlanges Sitzen in der gleichen Position lässt die Muskeln gerade im Schulter-Nackenbereich und rund um die Lendenwirbelsäule ermüden. Es kommt zu einer Sauerstoffarmut und die Spannung wird fühlbar. Die Muskulatur wird hart und es entstehen eventuell Knötchen (Myogelosen), die deutlich spürbar sind. Daraus ergeben sich Kopfschmerzen und Bewegungseinschränkungen. Was also tun?

„Bewegt“ arbeiten

Monotones Sitzen vermeiden. Das Sitzen ist bekanntlich das neue Rauchen. Es kann somit tödlich sein.

Professor Dr. Ingo Froböse (www.ingo-froboese.de): „Statistisch gesehen steigert jede zusätzliche Stunde Sitzen am Tag die Sterblichkeit um 11 Prozent.“

(Quelle: www.pronovabkk.de/gesundes-leben/bewegung/sitzen-wir-uns-krank-e85ebed83...)

Bewegen Sie sich! Zum Beispiel durch Schulterkreisen, also Mobilisieren. Ziehen Sie die Schultern zu den Ohren und lassen sie die Schultern dann ganz locker fallen. Recken und strecken Sie sich wie morgens nach dem Aufwachen. Stehen Sie auf, plotten Sie beim Spaziergang durch die Wohnung! Denn Bewegung regt die Gehirnaktivität an und hilft bei neuen Denkprozessen. Ihre Kreativität wird gefördert. Dabei werden die Bandscheiben wieder mit Nahrung versorgt. Die Be- und Entlastung ist für die Knorpelscheiben zwischen unseren Wirbeln wichtig. (Stellen Sie sich diese wie einen Schwamm vor. Sie saugen sich über Nacht voll und verlieren tagsüber Wasser.) Regelmäßige Bewegung am Arbeitsplatz hilft, diesen Prozess der Wechselwirkung positiv zu unterstützen. Und wenn es nur kurze Einheiten sind. Bewegen Sie sich jetzt! Fangen Sie gleich damit an. Integrieren Sie bewegte Pausen in Ihren Arbeitsalltag. Telefonieren Sie im Gehen oder Stehen. Wechseln Sie beim Sitzen häufig die Haltung, Sprechen Sie Ideen beim Spaziergang auf Ihr Smartphone. Auch Korrekturlesen ist im Stehen möglich.

Oftmals entstehen Verspannungen auch durch permanente Anspannung. Gerade Autorinnen und Autoren leiden unter Zeitdruck, müssen viel organisieren, ihre Familie und andere Herausforderungen des Alltags bewältigen. Das bedeutet, dass sich dieser Druck im Zweifelsfall auf das Nervensystem überträgt. Das Nervensystem kommuniziert zum Beispiel mit dem „Kapuzenmuskel“ im Schulter-Nackenbereich. Dann werden gerne bei Stress und Anspannung die Schultern hochgezogen. Tun Sie es vielleicht gerade beim Lesen dieses Artikels? Ja, oft machen wir das, ohne es bewusst wahrzunehmen. Was können Sie also tun, um die Anspannung und Dauerkommunikation zwischen Nervensystem und Muskulatur zu unterbrechen?

Regelmäßig trainieren

Trainieren Sie regelmäßig: Eine verspannte Muskulatur wird während des Trainings besser durchblutet und so mit Sauerstoff versorgt. Sie wird schön warm und herrlich locker. Bereits 15 Minuten auf einem Crosstrainer können für Oberkörper und Schulter-Nackenbereich Wunder wirken. Egal welche Bewegung. Hauptsache sie zaubert Ihnen ein Lächeln ins Gesicht. Sei es ein Spaziergang im wunderschönen Wald oder die Teilnahme an einem fetzigen Zumba-Kurs. Dabei schaltet das Nervensystem auf Erholung um. Negativer Stress (Distress) wird abgebaut, der Stresshormonabbau also aktiv gefördert. Gleichzeitig wird unser Körper angeregt, mehr Serotonin zu produzieren. Serotonin ist ein „Glückshormon“. Gezieltes Muskeltraining kann helfen, die Muskulatur kräftiger und ausdauernder werden zu lassen und dadurch weniger zu verspannen. Sei es durch Training an Geräten oder durch das Training in der Gruppe. Wie wäre es mit Yoga oder Pilates? Bei diesem Training konzentriert man sich ganz auf sich und kann entspannen. Nebenbei wird die Muskulatur gekräftigt und gedehnt. Man wird beweglicher.

Für Autorinnen und Autoren ist es besonders wichtig ist, die Muskulatur im Bereich des oberen Rückens zu trainieren. Dies gelingt zum Beispiel durch die Übung am Trainingsgerät „Reverse Butterfly“ oder durch Rudern. Ein geschulter Trainer wird Ihnen bei der Übungsausführung und bei der Trainingsplanerstellung gerne behilflich sein. Optimal ist es, wenn Sie sich einen ganzheitlichen Trainingsplan erstellen lassen, der auf Sie zugeschnitten ist.

 

Die Haltung macht das Glück

Die Sitzhaltung kann auch auf die Seele wirken: Wer oft eingefallen oder zusammengekauert sitzt, fühlt sich irgendwann auch klein. Was dagegen hilft? Aufrichten! Und gern auch ein Ausdauertraining anstreben. Dabei werden Beta-Endorphine ausgeschüttet, und die machen glücklich.

Entspannen

Ich empfehle Ihnen, so oft wie möglich Entspannungsübungen zu machen. Dafür brauchen Sie kein Hilfsgerät, sondern nur sich selbst und wenige Minuten. – Um sich bewusst zu machen, ob Ihre Schultern locker sind oder nicht, empfehle ich die Schultern noch einmal sanft hochzuziehen und dann locker fallen zu lassen. Wiederholen Sie dies. Und spüren Sie den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung? Die Schultern und Arme dürfen dann sinnbildlich gesehen, wie Äste von einer Trauerweide ganz locker herunterhängen. Stellen Sie sich diesen wunderschönen Baum „Trauerweide“ vor.

Die progressive Muskelentspannung (PMR) nach Jacobson ist sehr hilfreich. Diese können Sie ganz einfach im Sitzen durchführen. Schließen Sie die Augen. Nun: die Hände zu Fäusten ballen, die Unterarme anwinkeln und die Spannung etwa 5 Sekunden halten. Locker lassen und lösen. Dem Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung nachspüren. Legen Sie die Stirn in Falten und spannen Sie die Gesichtsmuskulatur an. Halten sie die Spannung wieder für ungefähr 5 Sekunden, lassen jetzt die Gesichtsmuskulatur locker und spüren ganz bewusst den Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung. Dann tief durch die Nase ein- und wieder ausatmen. Das Atmen immer wieder denken: Denken Sie „Einatmen“, wenn Sie einatmen, und „Ausatmen“, wenn Sie ausatmen. Diese Atemübungen sind im Alltag immer wieder hilfreich. Probieren Sie es aus und gönnen Sie sich die kleine Auszeit für Zwischendurch. Diese Methode hilft selbst bei Einschlafproblemen.

Die nächste Übung können Sie überall durchführen, sogar auf dem „stillen Örtchen“: Setzen Sie sich bequem hin oder legen sich auf eine Couch und schließen die Augen. Stellen Sie sich einen Ort vor, an dem Sie sich besonders wohl fühlen. Vielleicht ist es ein Strand, eine Blumenwiese oder gar eine Hängematte. Schauen Sie sich Ihre Umgebung ganz genau an und speichern Sie diese Bilder ab. Sollten Sie im Laufe des Tages merken, dass Sie verspannen, so schließen Sie die Augen und stellen Sie sich diese Bilder immer wieder vor. Sie werden merken, dass die Anspannung von Ihnen abfällt.

Sollten Sie stark verspannt sein, können Sie einen Igelball als schnelle Soforthilfe nutzen: Stellen Sie sich an eine Tür und positionieren Sie den Igelball zwischen Nackenmuskulatur und Tür. Das Schulterblatt und die Wirbelsäule müssen ausgespart werden. Dann bewegen Sie Ihren Rücken, indem Sie in die Knie gehen, wieder hochkommen und kreisende Bewegungen durchführen. So können Sie sich durch sanften Druck selbst massieren und die Durchblutung fördern. Was noch durchblutungsfördernd wirkt: ein warmes Bad und oder sich im SOS-Fall ein Kirschkernkissen auf den verspannten Bereich legen.

Die Einstellung positiv verändern

Eine positive Einstellung und positive Glaubenssätze (Psychologen sprechen von „Beliefs“) können ebenfalls helfen, vieles gelassener zu sehen. Ich gebe zu, auch ich trainiere dies noch und verspüre immer wieder Erfolge. Ist man vielen Dingen gegenüber negativ eingestellt, dann überträgt sich dies gerne auf die Rückenmuskulatur. Sätze wie „Das schaffe ich doch niemals in dieser Zeit!“ und „Ich habe noch so viel zu tun!“ sind klassische Beispiele. Diese „Beliefs“ können Distress auftreten lassen: Die Schultern werden hochgezogen und man verspannt.

Hier ein Beispiel aus dem Alltag: Man sitzt im Auto, ist spät dran und fährt auf einen Stau zu. Erster Gedanke: „Meine Güte, das kann doch nicht wahr sein. So ein Mist!“ Wer kennt diese Situation nicht und schmunzelt vielleicht gerade darüber? In diesem Moment schüttet der Körper Stresshormone aus. Das führt zu Anspannung. Fährt man auf einen Stau zu und denkt: „Tja, so ist das nun mal. Man kann es nicht ändern.“ Und nutzt man jetzt diese kleine Pause zur Entspannung für sich, wird man direkt gelassener. Somit wird klar: Ihre Einstellung kann ebenfalls ein Schlüssel zu einer entspannten Rückenmuskulatur sein.

Viele verspannen bereits morgens nach dem Aufstehen. Stellen Sie sich morgen früh vor einen Spiegel. Probieren Sie es direkt aus. Wie schauen Sie gerade? Denken Sie vielleicht: „Das wird ein anstrengender Tag! Ich muss noch so viel erledigen.“ Lächeln Sie Ihr Spiegelbild an. Und Sie werden direkt spüren, dass Sie entweder über sich selbst lachen müssen oder Ihre Stimmung sich schlagartig hebt.

Ich wünsche Ihnen eine entspannte und bewegte Zeit ohne Rückenschmerzen, Ihre Sandra Ballarin

 

Was passiert, wenn wir lange sitzen?

Unser Stoffwechsel fährt langsam aber sicher in den Keller, das kann zur Unterernährung von Zellen führen und auf lange Sicht dazu, dass uns Knochenzellen et cetera vor ihrer Zeit wegsterben.

 

 

Autorin: Sandra Ballarin
In: Federwelt, Heft 117, April 2016
Bild: Zeichnung von Charles Landseer: An écorché figure (life-size), lying prone on a table, Creative Commons; CCBY 4.0