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Rezension : Autorinnen erzählen vom Schreiben

Federwelt
Marc Halupczok
Cover: Ein Haus mit vielen Zimmern

Sophia Jungmann und Karen Nölle (Hg.):
Ein Haus mit vielen Zimmern.
Autorinnen erzählen vom Schreiben

Schreibende Frauen sind 2016 nichts Ungewöhnliches mehr, im Gegenteil. Warum also ein Buch darüber? Nun, vor nur 250 Jahren waren sie noch etwas Besonderes und es lohnt, sich das auch heute noch bewusst zu machen und sich mit der Entwicklung zu beschäftigen, wie die passend betitelte Textsammlung „Ein Haus mit vielen Zimmern“ zeigt. 14 Autorinnen schildern ihre Sicht auf den Beruf, auf Frauen als Geschichtenerzählerinnen und Geschichten von Frauen – in Form von Gedichten, Essays oder Kurzprosa.

So bunt wie die Textgattungen ist auch der Inhalt. Manche Texte lassen sich nur mit etwas Fantasie unter das Motiv einordnen, wie die großartige Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ von Anna Seghers (1900–1983). Diese bekannte Geschichte erzählt von einer Frau, die in Mexiko nach einem Unfall ihre Mädchenklasse aus Mainz vor sich sieht. Die einzelnen Mädchen (und später auch die Jungen) betrachtend, berichtet die Hauptfigur in dokumentarischem Ton vom weiteren Verlauf der Lebenswege ihrer ehemaligen Kameradinnen, von denen die meisten im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen. Ein unglaublich dichtes und düsteres Werk, das nicht ohne Grund zu den Sternstunden der deutschen Nachkriegsliteratur gezählt wird.

„Blaubarts Ei“ von der kanadischen Autorin Margaret Atwood (1939) erzählt die Geschichte von Sally, die mit einem Herzspezialisten verheiratet ist, der ein wenig tapsig durchs Leben läuft. Zumindest nach ihren Maßstäben, denn sie liebt ihren Mann zwar, fühlt sich ihm aber auch überlegen. Eine ebenfalls sehr dichte Kurzgeschichte, die auf ein ungewöhnliches Ende zuläuft.

Karen Blixen (1885–1962), hier unter ihrem deutschen Pseudonym Tania Blixen geführt, verschlägt es mit „Die leere Seite“ nach Portugal, wo in einem Kloster gar wunderliche Dinge geschehen.

Aber es gibt auch Texte, die sich ganz direkt mit dem Thema des eigenen Schreibens auseinandersetzen. Bestes Beispiel dafür ist „Berufe für Frauen“, ein Essay von Virginia Woolf (1882–1941), die von ihren Erfahrungen als schreibende Frau berichtet. Annette Pehnt (1967) setzt sich in ihrem Essay „Am Ende“ mit den Schwierigkeiten auseinander, einen Text mit einem würdigen Schluss zu versehen, während die US-Amerikanerin Sylvia Plath (1932–1963) in „Ein Vergleich“ auf launige Art dem Schreiben von Romanen das Verfassen von Gedichten gegenüberstellt. Noch eine Spur theoretischer wird es im Text von Judith Schalansky (1980): Dieser heißt schlicht „Wie ich Bücher mache“ und beschäftigt sich mit der persönlichen Herangehensweise der Autorin an ihre Werke.

„Ein Haus mit vielen Zimmern“ präsentiert Autorinnen aus verschiedenen Epochen, die sich alle mit ihrer Arbeit auseinandersetzen, jede auf ihre Art. Das klingt vielleicht ein wenig zusammengewürfelt, funktioniert aber allein aufgrund der Qualität der Texte ziemlich gut. Der wirklich schick aufgemachte Band punktet zudem mit einigen eigens angefertigten Übersetzungen von Mitherausgeberin Karen Nölle. So wurde unter anderem der Text von Virginia Woolf neu ins Deutsche übertragen. Unterm Strich eine sehr lesenswerte Anthologie.

 

Rezension: Marc Halupczok
In: Federwelt, Heft 120, Oktober 2016
 

Illu: Das Cover von „Ein Haus mit vielen Zimmern“

Sophia Jungmann und Karen Nölle (Hg.): Ein Haus mit vielen Zimmern

edition fünf: Gräfelfing 2015. 232 Seiten.

Print: 19,90 Euro | E-Book: 11,99 Euro

((5 von 6 Federn ((Federillu))))