
Plädoyer fürs Lektorenflüstern
„Vertrieb und Marketing finden das Cover aber großartig“, meint deine Lektorin sanft am Telefon, nachdem du ihr vorsichtig erklärt hast, dass in deinem Buch, anders als auf dem Coverentwurf, weder Chihuahuas vorkommen noch dass die Zielgruppe – Männer zwischen 50 und 70 – deiner Erfahrung nach auf Pink steht. „Wir können das jetzt nicht mehr ändern“, sagt sie schließlich weniger freundlich, nachdem du dich weiter beschwert hast.
Merkwürdig, denkst du dir. Gerade noch hattest du das Gefühl, deine Lektorin sei deine neue Seelenverwandte, und du hast insgeheim schon eine Rucksacktour durch Nepal mit ihr geplant. Sie fand dein Buch so toll, dass sie es dringender haben musste als einen Teller heiße Kürbissuppe an einem kalten Herbsttag. Und ihr habt bis zu diesem Tag so einiges zusammen durchgestanden: ihre klugen Ratschläge zum Exposé genauso wie die Textarbeit, bei der sie dich behutsam vom Rande des Nervenzusammenbruchs weggeführt und mit guten Ideen nicht gegeizt hat. Und jetzt das. Sie kennt das Buch doch und muss sehen, dass das Cover nicht passt! Wieso ist sie nicht auf deiner Seite?
Es zuckt in deinem Stimmband. Gleich kommt da was raus, das du hinterher wahrscheinlich bereust. Die Worte drängen aus deiner Kehle, und sie lauten: „Das ist ja jetzt wohl nicht dein Ernst!“
Verständlich – immerhin dachtest du, dass der Verlag alles für den Erfolg deines Buches tut, sobald die Tinte unter dem Buchvertrag trocken ist. Nun fühlst du dich auf einmal, als wärest du mit einer Reklamation in einem Callcenter der Deutschen Bahn gelandet. Es gibt kein Durchkommen und deine Meinung scheint nicht zu zählen.
Die gute Nachricht: Du bist nicht allein. Das geht vielen Autoren so. Die schlechte: Auf den Tisch zu hauen macht es nicht besser.
Ich habe den Lektorinnenjob jahrelang selbst gemacht. Lektoren in großen Publikumsverlagen sind Entenmütter, Projektjongleure, Hebammen für den Text und vor allem: Pufferzone zwischen den Verlagsabteilungen und dem Autor.
Die meisten Lektorinnen und Lektoren lieben ihren Job. Sie sind nämlich leidenschaftliche Bücherfreaks. Aber sie sitzen nicht, wie viele vermuten, den ganzen Tag im Ohrensessel und warten gemütlich auf Anrufe von Autorinnen und Agenten, während sie mit einer Tasse Tee im nächsten Bestsellermanuskript schmökern.
Der Lektorenjob ist verdammt hartes Brot, denn das Lektorat ist der Hauptverkehrsknotenpunkt des Verlags, an dem alle Infos über das Buch zusammenfließen. Meist türmen sich Stapel ungelesener Manuskripte auf den Schreibtischen der Lektoren. Das Telefon klingelt ohne Unterlass, und der Kollege aus der Herstellung steht mit grimmigem Gesichtsausdruck an der Tür, weil das Manuskript noch immer nicht im Satz ist. Dabei sind sie doch gerade auf dem Weg in die Konferenz, füllen Marketinginfoblätter aus oder brüten über den Titeln und Klappentexten fürs neue Programm. Außerdem hat der Key-Accounter, der im Vertrieb die großen Buchhandelsketten betreut, eine Mail geschickt und möchte dringend wissen, worum es im neuen Spitzentitel geht. Und zu allem Überfluss hat ein Übersetzer gerade einen Nervenzusammenbruch und liefert das neue Buch einer englischen Bestsellerautorin, auf das alle Welt wartet, erst zwei Monate später.
Wenn du als Autorin oder Autor dann dein Cover nicht magst, ist das für die Lektorin ein Problem – weil noch etwas nicht rund läuft. Im Zweifelsfall ist es auch nicht ihre Entscheidung, wie das Cover aussieht, sondern entweder die der Programmleitung, des Vertriebs oder des Marketings, je nachdem, wie die Zuständigkeiten im jeweiligen Verlag verteilt sind. Trotzdem muss deine Lektorin es dir beibringen.
Und Lektoren sind auch nur Menschen.
Warum ich dir das erzähle? Du hast als Autorin oder Autor nur eine Chance, die Dinge in deinem Sinne zu beeinflussen – und zwar indem du dich auf die andere Seite des Schreibtischs versetzt.
Das weiß ich, weil ich nicht nur lange Verlagslektorin war, sondern auch Autorin bin. Ich kenne also beide Seiten: den Termindruck und die Hakeleien, die Reibereien im Verlag – genau wie die Wünsche, Frustrationen und Sorgen des Autors.
Ob du sauer darüber bist, dass deine Meinung zum Cover nicht zählt oder dir der Verlag deinen schönen Titelvorschlag abgeschmettert hat, eines solltest du jetzt auf keinen Fall tun: auf Facebook lästern. Nein, auch dann nicht, wenn du keine Namen nennst. Irgendwer weiß immer, wen du meinst.
Besser, das wusste schon Rocky Balboa: Geh mit deinem Partner in den Ring. Das heißt aber nicht, dass du auf deine Lektorin einprügeln sollst. Und du sollst sie auch nicht anrufen und dich so laut beschweren, dass du heiser wirst. Auch weinen kommt schlecht –hinterher ist deine Lektorin sauer und damit ist das Einfallstor zu den Abteilungen dahinter versperrt –, denn trotz allem ist sie im Zweifelsfall die Einzige, die sich für deine Belange stark machen wird.
Darum solltest du Lektorenflüsterer werden: Mit ein bisschen Extraenergie kannst du die Lektorin auf deine Seite ziehen. Und dann wird sie sich im besten Falle – das ist nicht garantiert, aber ich habe es schon oft erlebt – noch mehr für dich einsetzen.
Nur: Wie fängst du das an?
Sei freundlich und beharrlich. Eine exzellente Mischung. Trainiere dafür am besten vor dem Gespräch an einer ehemaligen DDR-Servicekraft. Oder am Türsteher vor dem Berghain.
Der Trick? Konstruktive Kritik fängt immer freundlich an und wirft dann Fragen auf. Beispiel: „Also, das Cover gefällt mir grundsätzlich. Aber senden ein blauer Himmel und rosa Herzchen auf einem blutigen Thriller wirklich das richtige Signal an die Zielgruppe?“ Informiere dich, suche Alternativen und vor allem: Bleib sachlich! „Find ich doof“ – das zählt nicht. Hast du einen Agenten? Er muss nicht gleich Rabatz machen, aber er kann zusätzlich auch noch mal freundlich nachhaken.
Wichtig: Mach mit Team bildenden Maßnahmen aus dem Ich ein Wir. Die Lektorin hat dein Buch eingekauft. Es muss ihr folglich gefallen haben und sie muss – wie auch der restliche Verlag – an seinem Erfolg interessiert sein. Also frag: „Was kann ich tun, um unser gemeinsames Projekt noch ein bisschen zu unterstützen.“ Unterstützung ist eh immer super. Keiner hasst Unterstützung.
Was du nicht tun solltest: Jeden zweiten Tag anrufen und kreative Vorschläge bringen, wie der Verlag dein Buch besser vermarktet. Im Zweifelsfall ist es nämlich ein B-Titel (sprich: Es steht in der zweiten Reihe) und dann gibt’s kein Marketinggeld, weil nie genug Budget da ist, um für alle Bücher zu werben. Da hilft nur, selbst aktiv zu werden. Netzwerke, was das Zeug hält. Du trinkst immer mit dem Redakteur der Lokalzeitung ein Bierchen? Sprich ihn an, ob er dich promoten kann. Du bist bei einer Autorenvereinigung aktiv? Mach dir dort Freunde, die gut über deine Sachen sprechen. Und du hast gerade etwas in der Presse entdeckt, das zu deinem Buch passt? Schick es deiner Lektorin, mach sie zu deiner Verbündeten. Zeig ihr, dass sie sich auf dich als Autor verlassen kann.
Und zu guter Letzt: Lerne den Mensch am anderen Ende der Leitung kennen. Es geht nichts über ein persönliches Treffen. Danach läuft alles leichter, weil man das Gegenüber besser einschätzen kann. Du musst nicht gleich mit deiner Lektorin eine WhatsApp-Gruppe gründen oder sie jeden Abend vom Verlag abholen. – Das Prinzip heißt: schmeicheln, nicht stalken. Finde heraus, was dein Gegenüber und die anderen Entscheider im Verlag für Menschen sind. Eine Binsenweisheit, ich weiß. Aber sie ist wahr. Knick die Idee von der Seelenverwandtschaft und der Rucksacktour. Stattdessen geht es darum, dass sie dich und dein Buch toll findet, damit es unter der Vielzahl der Titel eine bessere Chance hast.
Autorin: Anne Weiss | www.bonnerweiss.de
In: Federwelt, Heft 121, Dezember 2016