
Am liebsten will Claudi Feldhaus die ganze Welt retten. Der beste Job dafür? Autorin! Hier erzählt sie von ihrem persönlichen Weg zu den ersten Büchern, erklärt, warum sie Botschaften nur zaunpfahlfrei verpackt und was es dazu braucht.
Liebe KollegInnen, ich bin wie die meisten von Ihnen ein tapferes Schreiberlein, von Geburt an ausgestattet mit dem Willen, die Welt zu retten, und dem Talent zur Wortfindung.
Bevor ich alle Buchstaben schreiben konnte, malte ich Bildergeschichten. Dann schrieb ich Kurzgeschichten und zeichnete Comics, bis mit etwa 16 Jahren auch Romane zu meinem Repertoire gehörten. Mit 17 hatte ich, wie die meisten meiner damaligen Altersgenossen, recht dunkle Gedanken, aber idealistische Zukunftsvorstellungen. Erschwerend kam hinzu, dass mir die ständigen Belehrungen, die einen Jugendlichen wohl zwangsläufig erreichen, restlos zuwider waren – vor allem, wenn solche Menschen mich von oben herab belehrten, mit deren Alter keineswegs Weisheit einherging!
In dieser Zeit entwarf ich in Gedanken bereits meinen Fantasy-Roman „Zimazans“, ehe ich mit 19 anfing, daran zu schreiben. Der Hintergrund: Ich glaube fest an die Evolution, weswegen es für mich nur logisch ist, dass der Homo sapiens nicht das letzte Glied in der Entwicklungskette sein kann. Was wäre, wenn der Homo sapiens von seinem Thron gestoßen werden würde und ein neues Glied in der Kette die Krone der Schöpfung darstellte: der Homo pennatus, ein Mensch mit Flügeln?
Wie würden beide Spezies miteinander umgehen? Was würde auf dem Planeten passieren? Welche Auswirkung hätte diese Machtverschiebung auf die Umwelt, auf die Infrastruktur, auf all die Regeln, nach denen die Menschen bisher lebten?
Ich entschied: Die Pennatus würden unseren Planeten besser behandeln. Sie würden die Gesellschaft neu formen, Kriege ächten, Geburten kontrollieren und sich auf weltweit nur vier Metropolen verteilen, sodass die Ressourcen gerettet werden würden und die Natur sich erholen könnte. Doch auf wessen Schultern bauen sie diesen Luxus auf? ... Unsereins, den Sapiens, bliebe nur noch ein Schattendasein.
Doch gäbe es Liebe zwischen den Spezies? Wäre sie nicht ein Tabu?
Herausgekommen aus all diesen Gedanken ist „Zimazans“: eine Romantasy.
Den ersten Entwurf von „Zimazans“ stellte ich tatsächlich erst vor zwei Jahren fertig. Das Verlagshaus el Gato hatte gerade mein Debüt „Familie, Liebe und andere Sorgen“ herausgebracht, ich kam von meiner ersten Leipziger Buchmesse als Autorin heim und war fähig, den Plot nach über sieben Jahren Pause aufzulösen. Zwischendurch hatte das Projekt komplett geruht, doch eigentlich verging keine Woche, in der ich nicht darüber nachdachte, wie ich meine Helden wieder aus ihrer misslichen Lage herausbekommen könnte. Ich hatte mir mit der Vollendung also wirklich Zeit gelassen, mir den Raum gegeben, technisch und intellektuell zu wachsen. Ich zeigte die finale Erstfassung meiner Verlegerin Andrea el Gato und sie war sofort einverstanden, diese Romantasy herauszubringen.
Botschaften, die die LeserInnen erreichen
Mir war und ist wichtig, tiefergehende Botschaften rüberzubringen, LeserInnen zu erreichen, etwas in ihnen anklingen zu lassen. Fast alle meine Kurzgeschichten und Blogeinträge handeln von mir und meinen alltäglichen Erlebnissen, die mich zu Erkenntnissen bringen. Als ich mir „Zimazans“ nach der langen Pause wieder vornahm, war dieses Gebaren „drin“. Dass der Roman eine wichtige Botschaft im Ganzen ist, stand vorher fest. Da ich mit der Moralkeule aber – wie gesagt – von klein auf schlechte Erfahrungen gemacht hatte, nutze ich eine leisere und wohl auch cleverere Methode: Ich lasse meine LeserInnen die Lösung selbst finden.
Um das zu erklären, möchte ich noch einmal kurz weiter zurückgreifen: Obwohl ich keine 30 bin, kann ich heute froh über den großen Erfahrungsschatz sein, den mir mein Leben mit seinen harten Lektionen geschenkt hat. Obwohl ich viel Schlimmes erlebt habe, gelang es mir, nie den Glauben an das Gute zu verlieren. Es mag abgeschmackt klingen, aber schlussendlich war es das, was mir aus einer krassen Depression heraushalf. Und deswegen merken mir Gesprächspartner wohl an, dass ich mit einer gewissen Weisheit jenseits meiner Jahre spreche.
Ausgestattet also mit jenem Willen, die Welt zu retten, und dem Talent zur Wortfindung, war es mir schon früh vergönnt, anderen Menschen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Freunde (und komischerweise einstweilen Wildfremde) klagten mir ihr Leid. Wahrscheinlich bin ich mit meinem Kuchengesicht – wie ich es nenne – sehr vertrauenserweckend. Zudem wusste und weiß ich: Mag ein Ratschlag noch so richtig sein – kommt der Beratene nicht von selbst darauf, erleuchtet er ihn nun mal nicht. Ebenso wusste ich, dass es leichter ist, etwas zu erkennen, was man schon einmal gesehen, in diesem Falle gehört, hat. (Sie so direkt zu beraten, fühlt sich für mich übrigens recht ungewohnt an.) Es bringt meiner Erfahrung nach wenig, den Leuten einfach Fakten um die Ohren zu hauen, ich muss sie für sie greifbar machen. Ich hörte Leidenden also geduldig zu, reflektierte dann zuerst die Lage für mich und legte ihnen als Nächstes alles noch mal aus meiner Sicht dar. Abschließend sprach ich die Zauberworte: „Wenn ich mich in deiner Situation befinden würde, würde ich ...“ Fast immer gab es bei meinem Gegenüber einen Aha-Effekt.
So erschien es mir beim Schreiben nur logisch, dieses Vorgehen auf meine Helden zu projizieren, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Denken wir an das Sender-Empfänger-Modell von Shannon/Weaver und nehmen an, dass das, was einer versteht, noch lange nicht das sein muss, was der andere gemeint hat, können wir bei allem, was wir schreiben, nur hoffen, dass unsere Botschaften „unverfälscht“ ankommen. Wir helfen den LeserInnen aber, uns richtig zu interpretieren, wenn wir den Helden im Laufe der Handlung in (schwierige) Situationen bringen, die ihnen bekannt vorkommen. – Ich denke, dass kein Autor es nötig hat, die Moralkeule zu schwingen. Wir schreiben, unsere Figur handelt, etwas passiert, sie leidet, sie findet einen Weg aus der Klemme oder auch nicht – eben so, wie es zu ihrem Charakter passt. Wir zeigen die Handlung wie einen Film, erklären müssen wir sie nicht.
Warum Aha-Erlebnisse funktionieren
Warum funktioniert das? Weswegen haben wir im selben Moment Aha-Erlebnisse wie die Helden?
Gefühle sind der Schlüssel zum Leserherz, Empfindungen, die nachvollziehbar sind als Reaktion auf das Erlebte. Mache ich als Autorin dies sinnlich erfühlbar, sage ich den LeserInnen nicht, was sie denken sollen, dann können sie mitfühlen und für sich entscheiden, ob und was sie aus den mitgefühlten Erkenntnissen für ihr Leben mitnehmen wollen. Coming-of-Age-Romane funktionieren auch deshalb so gut, weil wir die LeserInnen dicht an den Helden heranmanövrieren, sodass sie mitgerissen werden, selbst erwachsen zu werden.
Und was gilt es dabei zu vermeiden? Für die Geschichte irrelevante Begebenheiten einzubauen, nur um die Erkenntnisse in den Vordergrund zu schieben.
Sprache (und Sprechweise) als Mittel zur Darstellung
In „Zimazans“ zeichne ich eine sehr düstere Zukunftsvision und kann bestehende gesellschaftliche Missstände krass überzeichnen. Ich beschreibe diese neue Welt aus der Sicht von Ankari, einem Halbling aus Sapiens und Pennatus. Sie ist mit Unbeugsamkeit, Intelligenz und Schönheit gesegnet und eckt seit Kindertagen wegen dieser Eigenschaften überall an – allerdings helfen sie ihr auch aus so einigen misslichen Lagen. Schon als sehr junge Frau fällt ihr die Herrschaft über ein Sapiens-Dorf zu, das tief im Wald vor der Metropole Zimazans versteckt liegt. Die Bewohner dieses Dorfes sind sehr gutherzig, aber ungebildet. – Bücher sind rar, Bildung wurde seit Generationen vernachlässigt. Das stelle ich unter anderem durch ihre rudimentäre Sprache dar:
Nach einer Weile erhob der kräftige Bastian, ältester Sohn des starken Alex, das Wort. „Weißn vorhin necht wie, weil von dir lebenmüde.“
Endo sah ihn komplett überfordert an. Diese Sprache hatte er noch nie gehört.
Die Männer verstanden. „Befehl vom Häuptling: ordentlich sprechen!“, ermahnte Alex die übrigen, „Er mein, der Sache Ankari gegenüber ziemlich gewagtn. Das sich keiner traun.“
Ankari gelingt es, einen gewissen Lebensstandard zu etablieren. Und als die Sapiens Hunger, Überfälle durch wilde Tiere und harte Winter nicht mehr als alltägliche Bedrohungen wahrnehmen, erblüht in Ankari das Bedürfnis nach Höherem. Sie sorgt dafür, dass die Kinder ihres Volkes Lesen und Schreiben lernen, weswegen die jüngeren Dorfbewohner sich schon wenige Jahre später viel besser auszudrücken wissen.
Das ist etwas, wovon ich zutiefst überzeugt bin und was ich in meinen Büchern immer wieder erlebbar machen möchte: Dein Wissen kann dir niemand wegnehmen. Sprache lebt! Der Wert von Büchern und Schrift ist unermesslich. Worte sind die mächtigsten Waffen.
Liegen mir am Herzen: starke Frauen
Mein besonderes Augenmerk liegt auf den Frauen. Ich schreibe über sehr starke weibliche Charaktere. Meine Ankari ist in ihrer Kraft in allen Punkten überwältigend. Sie ist ein Fels, unübersehbar dank Größe, Temperament und Attraktivität. Neben ihr steht meine zweite Heldin: Helene.
Helene wächst als geheimes Kind zweier Sklaven versteckt in einem Haus in Zimazans auf. Mit neun Jahren gelingt ihr die Flucht, Ankari nimmt sie wie eine kleine Schwester auf. Helene ist schüchtern, belesen und schmächtig. Neben Ankari wirkt sie anfangs eher unsichtbar. Helene bewundert und vergöttert Ankari regelrecht, so wie fast jeder, der ihr begegnet. Doch die Irrungen des Erwachsenwerdens, die heimliche Liebe zu einem verheirateten Mann und die sexualisierte Gewalt durch ein Mitglied des Dorfes, zwingen Helene, den sicheren Hafen des Kleine-Schwester-Seins zu verlassen und zu erstarken. Am Ende macht sie Ankari sogar die Stellung streitig.
Helene ist mein „Anschauungsmaterial“: Jeder kann tapfer und unbeugsam sein, notfalls kann er/sie es lernen. Auf einem harten Weg lasse ich die kleine Schwester erwachsen werden, ihre Entwicklung ist aufgrund der Umstände logisch. Ich zeige die Abenteuer der Figur und welche Folgen ihr Handeln hat, ohne dass ein auktorialer Erzähler all das in irgendeiner Form wertet. Ich erkläre ihr Handeln, ihre Entwicklung nicht. Habe ich alles richtig gemacht, dann spricht Helene für sich und ihre Entwicklung ist aus sich selbst heraus verständlich.
So einige LeserInnen haben mir schon gesagt, dass Helene sie sehr überrascht hat und sie sie am Ende lieber mochten als Ankari, weil sie zugänglicher war, man ihre Metamorphose hautnah mitbekam und sie unweigerlich respektierte.
Moral ohne Keule?
Viele meiner LeserInnen finden ihre eigenen Verhaltensmuster in den Figuren wieder und hinterfragen somit nicht selten ihre Einstellung zu gewissen Themen. Sie fragen sich: „Hätte ich ebenso gehandelt?“ Und bestenfalls liefere ich ihnen Lösungsansätze für ihre realen Probleme.
Wollen Sie also auch Ratgeber in Romane verpacken, empfehle ich das berühmte „Show, don’t tell“. Lassen Sie die Folgen von Handlungen und Ereignissen für sich sprechen. Mehr braucht es nicht. Denn letztendlich kontrollieren wir, liebe KollegInnen, nie, was die LeserInnen für sich aus unseren Texten mitnehmen. (Letztlich ziehen sie sich sowieso nur das heraus, was sie brauchen, wollen oder annehmen können.)
Claudi Feldhaus: kakaobuttermandel.jimdo.com
In FEDERWELT, Heft 112, Juni/Juli 2015
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