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Mein Roman als E-Book only: große Chance oder Literatur zweiter Klasse?

Federwelt
Nina George
Illustration zum Artikel "Mein Roman als E-Book only?" von Nina George

Mein Roman als E-Book-only: große Chance oder Literatur zweiter Klasse?
Von Nina George
Digitale Imprints bekannter Publikumsverlage oder neu gegründete, rein elektronisch publizierende Verlage eröffnen Nachwuchs-Autorinnen und -Autoren mehr Möglichkeiten denn je, veröffentlicht zu werden. Allerdings mit einigen Einschränkungen ...

Ob Aufschwung des Online-Buchverkaufs, der Zuwachs an E-Book-Piraterie, die Monopolbildung von Allesverkäufern wie Amazon und Verlagskartellen wie Random House, der Boom und die Flaute des Selfpublishings oder die erst gefeierten und nun ernüchtert betrachteten E-Book-Flatrates: Die USA sind das Großlabor für Experimente im digitalen Buchgeschäft. Was dort als Trend beginnt, rüttelt zwei bis fünf Jahre später unsere Buchbranche aus dem Schönheitsschlaf.

So gehören die „Digital-only“- oder „Digital-first“-E-Book-Programme in den USA seit Anfang 2012 zum Branchenalltag. Unter „digital first“ versteht man Titel, die für zwei Wochen oder einige Monate ausschließlich elektronisch erscheinen. Digital-only-Ausgaben werden nie gedruckt und nur elektronisch veröffentlicht. Der weltweit steigende Gebrauch von Tablets, Handys und Readern hat die Lesegewohnheiten geändert  – und soll AutorInnen und Verlagen neue Chancen bieten. Immer mehr Verlage entdecken seither „digital only“ als „Testmodell“ für neue Stoffe und für eine Leserschaft, die E-Books bevorzugt. In den USA und England erreichen rein digitale Verlagsveröffentlichungen allein mit Random-House- und Amazon-Publishing-Titeln bereits 12,5 (UK) bis 20 Prozent (USA) des gesamten (!) E-Book-Marktes.

In Deutschland kam der E-only-Trend mit Verzögerung an: 2013 waren von allen Verlags-E-Books nur 0,9 Prozent „E-onlys“. Von rund 30.000 Titeln (inklusive Fiction, Kochbuch oder Ratgeber) erschienen also um die 300 Novitäten ausschließlich digital, davon kaum 100 belletristische Titel. 2016 werden belletristische, verlagspublizierte Digital-onlys eine höhere vierstellige Zahl von Neuerscheinungen erreichen: rund 3000 und damit etwa 5 Prozent der elektronischen Novitäten –, was auch auf die zahlreichen neu geklöppelten Mini-Serien zurückzuführen ist und auf hunderte digitalisierte Groschenromane von Bastei Entertainment.

Von der Resterampe zur neuen Literatur

Das Konzept der Digital-Imprints der auf E-Books konzentrierten Tochter-Verlage und E-Labels traditioneller Verlagshäuser ähnelte zu Beginn des E-only-Trends einer Verarbeitung von Resten und vom Print-Lektorat abgelehnten Geschichten. Dabei fielen die finanziellen Risiken weg: der Druck (1 bis 2 Euro pro Exemplar), die Lagerung (2 Euro pro Buch), die Vertriebsprovisionen und das teure, klassische Analog-Marketing. Selfpublisher-Texte, deren Urheber unter dem Dach eines Traditionshauses veröffentlichen wollen, fanden sich dort genauso wie die Backlisttitel ehemaliger „Midlister“ oder Bestseller aus den 90er Jahren.

Das Tempo der Publikation übertrumpfte bald den Papierbuchmarkt um Monate bis Jahre: Storys werden in wenigen Tagen verarbeitet, sofort online geschossen, und dann über alle erreichbaren Social-Media-Kanäle beworben, bis das Trackpad qualmt. Bestseller-me-too’s – die hastigen Kopien von Welthits wie „Shades of Grey“ oder „Ein ganzes halbes Jahr“ –, aktuelle Themen wie Flüchtlinge und Krieg oder das vegane Backen – sie alle sind digital only rascher als jedes papiergeschöpfte Werk auf den hungrigen Markt gestreamt. So räumen E-onlys flugs die erste Leserschicht ab, bevor ein Verlag auch nur die Lektoratsrunde einberufen kann – oder betreiben Preiskämpfe gegen Indie-AutorInnen. Digital-only-Titel sind selten teurer als 5,99 Euro, 2,99-Titel gehören zu den auflagenstärksten der Ruckzuck-E-Ware.

Die dominierenden Genres

Die Genres sind bis heute en gros unterhaltungsnah und kommerzorientiert: Bastei mit seinem auf Romance und Thrill konzentrierten Entertainment-Programm konkurriert mit Droemer Knaur und dessen Digital-only-Reihe feelings (Erotik, Heiteres, Romance). Zu den Carlsen-E-Labels Impress (Paranormal Romance, Coming-of-Age, New Adult) und Instant Books („Thriller, locker-leichte Romane und dramatische Serien“) wurden bald die ersten „Digital-only“-Bestseller aus dem Genre Fantasy vermeldet. Ullstein gründete mit den E-Töchtern Forever (Romance) und Midnight (Krimis, Phantastik) ebenfalls „Hybride“: Auch dort erhalten Selfpublisher die Chance, ihre Werke unter der Dachmarke eines angesehenen Verlags (noch mal) zu publizieren und – je nach ausgehandelten Konditionen – mit einem Profilektorat, Korrektorat oder Cover „ausstatten“ zu lassen. Wer jetzt stutzt und sagt: „Ähm, Moment ... sind Lektorat und Cover denn nicht Verlags-inklusive?!“, kann sofort zum nächsten Zwischentitel „Digital only: Verträge und Bücher zweiter Klasse?“ vorspulen. Oder weiterlesen: Der reine E-Book-Verlag dotbooks füllte sein Programm mit Backlisttiteln und „vorschussfreien“ Debüts, der bookshouse Verlag räumte mit erotischer Romance ab. Einzig Hanser versuchte sich im „literarischen“ E-Label: Bei Hanser Box erscheinen alle 14 Tage elektronische Essays mit Feuilleton-Charakter von namhaften AutorInnen.

Wenn man es weniger diplomatisch sagen will: 2013 und 2014 beeilten sich diverse Verlage panisch, Indie-AutorInnen an sich zu binden, um verlorenes Terrain auf dem von Selfpublishern dominierten E-Markt wettzumachen. Von „aufregend-neuen“ literarischen Wegen war wenig zu lesen. 2015 änderte sich das. Auch durch den künstlerischen Druck, den frisch gegründete, reine E-Book-Verlage wie CulturBooks, mikrotext oder edel & electric aufbauten. Seither werden mehr Nischengenres und experimentelle Formate ausschließlich elektronisch verlegt sowie Titel, von denen man sich als Papierjunkie sehnlichst wünscht, sie gebunden in den Händen halten zu können. Da geht das Konzept auf: E-only wird zum Spielfeld für neue, andere Literatur; bietet aufregende Chancen für DebütantInnen –, wenn nur das Kleingedruckte nicht wäre:

Digital only: Verträge und Bücher zweiter Klasse?

2013 wurden in den USA Digital-only-Verträge geleakt, also unfreiwillig enthüllt, und zwar von den Random-House-E-Imprints Hydra, Alibi, Flirt und Loveswept. Aufgebrachte AutorInnen beschwerten sich über „Verträge zweiter Klasse für Digital-only“. Zu Recht: Es gab keine Garantiesummen oder nicht-rückzahlbare Vorschüsse. Die Autorenbeteiligung lag bei 50 Prozent des Nettoverlagserlöses (was meist 50 Prozent vom Ladenpreis bedeutet, denn vom Verkaufspreis werden zu seiner Errechnung Mehrwertsteuer sowie etwaige Onlinehändler-Rabatte und Kosten für Bereitstellung und Bewerbung abgezogen), aber das Nutzungsrecht wurde exklusiv und unbefristet (!) übertragen. Etwas, was vom deutschen Urheberrecht her nicht möglich ist. Die Imprints erwarben außerdem alle Verlagsrechte und alle Nebenrechte (Film, Übersetzung ...), aber ohne vertraglich gesicherte Zusage, diese Rechte jemals auszuüben, also weder das Buch je zu drucken oder sich um Filmlizenzen zu bemühen. Eine für AutorInnen unfaire Vertragsklausel. Random House besserte schließlich nach.

Doch der Umgang mit Digital-only-AutorInnen ist auch bei anderen Verlagshäusern wenig charmant: Bei den Amazon-Verlagsimprints in den USA richtet sich die prozentuale Höhe der Beteiligungen (=Tantiemen) zum Beispiel danach, ob die AutorInnen ein Cover selbst einkaufen und dann Amazon gratis (!) zur Verfügung stellen, außerdem das Lektorat bezahlen UND sich dann noch dafür entscheiden, das Werk selbst zu vermarkten, ohne dass das Amazon-Imprint auch nur einen müden Werbedollar ausgeben muss. Dafür steht dann Thomas & Mercer, 47 North oder StoryFront drauf.

In Deutschland sieht es bei den rund 110 E-Labels, E-Imprints und E-Book-Verlagen ähnlich aus. Die Garantiesummen für Originalwerke und Erstausgaben, je nach Genre und Textmenge, liegen zwischen 0 (am häufigsten) bis 2000 Euro (für große Namen). Diese Zahlen stammen aus einer anonymisierten, nicht repräsentativen Umfrage der Initiative Fairer Buchmarkt unter Digital-only-AutorInnen der großen Verlags-Imprints wie Midnight, Forever Instant, Impress, books2read oder feelings. Die Tantiemen liegen – im besten Fall – für Digital-only-Verträge bei einer Staffelung von 25 / 35 / 50 Prozent vom Nettoverlagserlös, für Zweitverwertungen und Backlisttitel mitunter bei 10 bis 20 Prozent. Diese Regelungen sind im Detail oft variabel: Die einen zahlen 50 Prozent ab 20.000 verkauften E-Books, die anderen ab 80.000, oder 35 Prozent, wenn die ersten 500 oder 1000 Stück veräußert sind, und danach bis zu 50 oder 60 Prozent. Am häufigsten sind Tantiemen in Höhe von 25 Prozent vom Nettoverlagserlös.

Typische Verlagsleistungen? Nicht immer inklusive!

Doch mitunter ist die Staffelung abhängig davon, was der Autor vom Verlag an Arbeit erwünscht! Ja, richtig gestutzt: Einige Imprints bieten freiwillig ein Korrektorat, das Rechtschreib-, Grammatikprüfung und eventuell einen Faktencheck umfasst, und bezeichnen das höflich als „redaktionelle Überarbeitung“. Das ist kein Lektorat, also keine dramaturgische und stilistische Verbesserung, keine Textarbeit mit mehreren Durchgängen. Und wenn die Autorin auf dem Profi-Lektorat aus dem „richtigen“ Papierdrucklektorat des Hauses besteht –, da sinken flugs die Tantiemen! Auf einmal werden dann nur noch nach verkaufter Auflage gestaffelte 15, 20, 25 oder höchstens 35 statt 50 Prozent vom Nettoverlagserlös gezahlt. Anderswo nennt man diesen Kuhhandel „versteckten Druckkostenzuschuss“!

Autorenverbände wie Das Syndikat oder DELIA haben sich deshalb entschieden, Digital-only-Verträge mit entsprechend bekannten Imprints darauf zu prüfen, ob Verlagsleistungen indirekt von den AutorInnen bezahlt werden. Ist das der Fall, sind deren AutorInnen nicht als Mitglieder zugelassen – und baden damit ungerechterweise aus, was der Verlag ihnen eingebrockt hat.

Die gute Nachricht: Die Nutzungsrechte im Digital-only-Markt werden seitens der AutorInnen befristet übertragen. Die Vertragsdauer liegt zwischen zwei bis drei, selten bei fünf Jahren. (Im Printbereich sind es im besten Fall acht bis 20 Jahre, mitunter fordern Verlage die unnötig lange Rechteübertragung bis 70 Jahre nach Tod.) Oft aber versuchen E-Imprints das Druckrecht mit zu erwerben, ohne es je auszuüben! Hier haben sich befristete Exklusiv-Klauseln über zwei Jahre etabliert: In dieser Zeit darf der Autor das Werk nicht woanders gedruckt veröffentlichen.

Ein Sonderfall sind die als unredlich eingestuften „Total buy-out“-Pauschalverträge. Hier wird eine einmalige Vergütung gezahlt – etwa für 180 Normseiten Erotik oder Fantasy rund 2000 Euro. Dafür werden die Nutzungsrechte komplett, exklusiv und unbefristet übertragen, egal ob für Übersetzung, Film oder Flatrates. Dieses Modell „totaler Ausverkauf ist keine empfehlenswerte Einkommensvariante.

Die meisten Digital-only-AutorInnen werden außerdem innerhalb der großen Häuser stiefmütterlich behandelt, ob vertraglich, künstlerisch oder persönlich. Sie erhalten werden Marketing oder Werbung, keine Pressearbeit und der Verleger kennt sicher kaum ihre Namen. Für sie werden seltener Lesungen arrangiert und sie erhalten auch nur von einigen Häusern wie Droemer Knaur Einladungen zur Buchmesse. Kleine E-Book-Verlage dagegen feiern ihre AutorInnen genauso wie jene, die ihre Worte ins Regal stellen, auch wenn sie ihnen ebenfalls wenig zahlen können. Immerhin hat sich inzwischen in der Kritikerszene durchgesetzt, öfter einmal einen genaueren Blick auf Digital-only-Publikationen zu werfen.

Und so ist es auf dem E-Markt wie im traditionellen Papiergeschäft: Es kommt nicht nur darauf an, was du schreibst. Sondern auch darauf, wer dein künstlerischer Partner ist, der deine Arbeit so gut wie möglich verbessern und unter die Leserinnen bringen will. Und solche sind analog wie digital schwer zu finden.

 

Autorin: Nina George | www.ninageorge.de
In: Federwelt, Heft 117, April 2016
Illustration: Carola Vogt