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Me, myself and I: Wie eine multiple Autorenpersönlichkeit aus mir wurde und was Verlagspolitik damit zu tun hat

Federwelt
Julia Kröhn
Zwei Frauen, die sich gegenseitig die Augen zuhalten

Ein Erfahrungsbericht von Julia Kröhn

Als ich 2004 meinen ersten Verlagsvertrag unterschrieben habe und ein Jahr später bei Random House mein Roman Engelsblut erschien, war klar, dass auf diesem Buch mein Name Julia Kröhn stehen würde. – Julia Kröhn und ihre vielen Pseudonyme.

Warum auch nicht? Als absoluter Buchmarkt-Neuling war ich damals noch überzeugt, dass Pseudonyme vor allem einen Zweck haben – die Identität des Autors zu verbergen. Da ich nun aber keinen Softporno geschrieben hatte, mit dem ich die Erbtante verstören würde und auch nicht im Vorstand des Metzgerverbands war, der einen veganen Love-Interest als geschäftsschädigend betrachten könnte, kam ich gar nicht erst auf die Idee, mir einen Zweitnamen zuzulegen.

Durch Experimentierfreude zu neuen Identitäten
Heute, mehr als 15 Jahre später, sieht die Sache anders aus. Im Buchhandel bin ich nicht nur als Julia Kröhn bekannt – zurzeit sind auch Bücher auf dem Markt, auf denen die Namen Kiera Brennan oder Catherine Aurel stehen. Und man muss nicht sonderlich tief in meiner Vergangenheit graben, um weitere Identitäten zutage zu bringen, zum Beispiel Sophia Cronberg, Carla Federico oder Leah Cohn, allesamt sogenannte „offene Pseudonyme“, unter denen ich schon Lesungen gehalten und Bücher signiert habe.
Habe ich in der Zwischenzeit eine schwere Identitätskrise durchlitten? Erwache ich jeden Morgen mit der Frage: Wer bin ich, und wenn ja wie viele?
Keine Angst, ich weiß sehr genau, wer ich bin, aber auch, was ich schreiben will – und das waren über die Jahre recht unterschiedliche Sachen.
Es gab Phasen, in denen ich sehr experimentierfreudig war. – Nein, nicht was meine Haarfarbe anbelangte. – Meine große Liebe galt und gilt zwar dem historischen Roman, doch von dieser fühlte ich mich nie zur literarischen Monogamie verpflichtet. Nicht nur, dass ich mich in den stark abweichenden Subgenres austoben wollte – neben dem klassischen Mittelalterroman auch im Bereich „Love and Landscape“ oder in „Familiengeheimnis-Romanen“ auf zwei Zeitebenen. Mir war auch eine inhaltliche Bandbreite wichtig, die von eher weichgespülten Büchern voller Küsse bis hin zu archaischen Kriegerepen voller Köpfen (nämlich abgeschlagenen) reicht. Überdies habe ich, die ich oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgegangen bin, auch Testläufe in anderen Genres hinter mir – etwa in der Urban Fantasy oder im Thriller-/Krimibereich.

Warum die vielen Namen?
Warum nun aber habe ich mir für jedes neue (Sub-)Genre einen neuen Namen ausgedacht?
Zum einen ist das einer gewissen Leserfreundlichkeit geschuldet. Wer einen „Stephen King“ liest, möchte, dass sich die Nackenhaare aufstellen und nicht, dass ihm Tränen der Rührung über Wangen perlen. Und es würde irritieren, wenn in Rosamunde Pilchers Cornwall plötzlich ein Axtmörder herumliefe, der auf die abgeschlagenen Arme seiner Opfer den Vornamen seiner Mutter tätowiert.
Bei meinen Büchern ist es ferner so, dass sie sich nicht nur hinsichtlich Genre oder Subgenre unterscheiden, also vom Inhalt her, sondern auch, was den Stil, den literarischen Anspruch, die Tonalität, die Happy-End-Tauglichkeit anbelangt. Die vielen Namen bieten folglich eine Orientierungshilfe für recht unterschiedliche Zielgruppen und beugen enttäuschten Erwartungen vor.
Zum anderen hatte ich schon immer den Anspruch, vom Schreiben leben zu können.
Wer sich als sogenannte Mittelstands- oder Midlistautorin, deren Bücher sich solide bis gut verkaufen, aber nicht über Monate hinweg die Top Ten der SPIEGEL-Bestsellerliste blockieren, über Wasser halten will und das nicht bloß mit Knäckebrot als Hauptmahlzeit, sollte möglichst mehrere Bücher pro Jahr veröffentlichen– und sich auf diese Weise verschiedene Standbeine aufbauen. Nur dann hat man die Sicherheit, dass nicht gleich die gesamte Autorenexistenz begraben wird, sollte eines wegbrechen.
Ich veröffentliche durchschnittlich zwei bis drei Bücher pro Jahr.

Vom Standbeine-Abgrenzen bis zur „Pseudonymeritis“
Diese Standbeine gilt es voneinander abzugrenzen. Und das führt fast zwangsläufig dazu, dass man mit mehreren Verlagen zusammenarbeitet. Die Verlage wiederum beanspruchen einen bestimmten Autorennamen verständlicherweise exklusiv für sich. Nicht zuletzt, um bei der Festlegung von Veröffentlichungsterminen nicht auf die Konkurrenz Rücksicht nehmen zu müssen oder die Chance zu bekommen, „ihre“ Autorinnen jeweils neu am Markt zu positionieren. 
Vor diesem Hintergrund habe ich meine vielen Pseudonyme immer als Chance betrachtet – in kreativer wie karrieretechnischer Hinsicht –, umso mehr, als dass ich stets transparent damit umgegangen bin und mich nie mit erfundenen Biografien geschmückt habe.
Dennoch sehe ich die gängige Praxis, recht schnell zu einem neuen Pseudonym zu greifen, mittlerweile auch kritisch. Das gilt besonders für jene Fälle, wo Autorinnen und Autoren nicht nur zum Pseudonym geraten wird, weil sie nach einem blutrünstigen Kannibalenthriller in literarischen Gefilden die Welt neu vermessen wollen, sondern selbst dann, wenn sie beim gleichen Verlag weiterschreiben, ihrem Genre treu bleiben und ihre Geschichten vor dem gleichen Setting ansiedeln. In diesen Fällen wird klar: Die „Pseudonymeritis“, die um sich greift, ist längst nicht mehr bloß ein Instrument kreativer Selbstverwirklichung, sondern Symptom einer Krise, unter der der Buchmarkt leidet.
Blickt man auf die letzten Jahre zurück, machen mir als Autorin diverse Entwicklungen durchaus Sorgen – und dazu gehört nicht nur eine geschrumpfte Anzahl an Menschen, die lesen, sondern die Art und Weise, wie die Branche darauf reagiert.

Marke, nicht Mensch
Zum Ersten hat sich das kapitalistische „The winner takes it all“-Prinzip durchgesetzt, sprich: Die Kluft zwischen Topsellern, die sechsstellige Auflagen wie warme Semmeln verkaufen, und solchen, für die selbst bei Großverlagen nicht mal die Krumen besagter Semmeln abfallen, scheint sich immer mehr zu vertiefen. Der Bereich dazwischen leert sich. 
Zum Zweiten liegt die Halbwertzeit von Büchern heutzutage deutlich näher an der einer essreifen Avocado als an der eines Cabernet Sauvignon. Der Buchmarkt wird immer schnelllebiger, die Neuerscheinungen verschwinden immer früher von den Ladentischen. Zum Dritten werden Autorinnen und Autoren oft nicht als sich wandelnde Menschen, sondern als wiedererkennbare Marken betrachtet. Die Anforderungen, die an sie gestellt werden, gleichen weniger denen, die ein Sternekoch erfüllen muss, wenn er einzigartige Gerichte kreiert. Eher kommt ihnen die Rolle der Küchengehilfen bei McDonalds zu, die den immer gleich schmeckenden Cheeseburger zu fabrizieren haben.
Und genau diese Entwicklungen manifestieren sich nicht nur in dem immer stärkeren Zwang zum Pseudonym – er wird von selbigem zugleich zementiert.
Es mag die Autorinnen noch geben, die langsam aufgebaut werden, sich über die Jahre entwickeln können, nach längerem Anlauf beim fünften, sechsten Buch den ersten großen Erfolg landen – aber die Regel sind sie nicht. Stattdessen gilt der Name oft schon dann als verbrannt, wenn auch nur ein Buch floppt. Die Gefahr wiederum, dass das passiert, ist auf einem Markt sehr groß, wo alle Marketingmaßnahmen auf den potenziellen Topseller zugeschnitten werden, weil nur mehr dieser in den großen Buchhandelsketten im Erdgeschoss steht, während alle anderen Bücher ferner liefen rangieren – inmitten von Schokolade, Krimskrams und Sprüchekarten.

Pech, das an deinem Namen klebt ...
Auch von fehlender Werbung abgesehen kann der Autor ungeachtet der Qualität seines Manuskript jede Menge Pech haben: Sei es, weil die Lektorin bei der Vertretertagung das Buch nur wenig enthusiastisch rühmt, da sie gerade unter einem eitrigen Backenzahn leidet. Sei es, weil der Graphiker ein Cover erstellte, dessen grüner Hintergrund mit farbigen Pünktchen nicht die Assoziation mit einer Blumenwiese auslöst, sondern eher an Erbrochenes infolge zu üppigem Smartie-Verzehrs denken lässt. Kleben bleibt der Misserfolg aber ausschließlich am Autorennamen – und damit man beim nächsten Buch trotzdem wieder gute Startbedingungen hat und vielleicht doch noch zum Top-Autor aufsteigt, heißt es darum oft sehr schnell: Hinfort damit!
Nicht nur bei dieser Gelegenheit wird der Name der Autorin gleich an die Marke, für die die Bücher stehen sollen, angepasst. Kiera Brennan und Carla Federico sind nicht einfach nur alternative Namen, sie sollten möglichst viel über den Inhalt oder das Setting des Buches – hier Irland, dort Chile – verraten.
Das führt nicht nur dazu, dass man auf Buchpartys schon mal auf Englisch oder Spanisch angesprochen wird oder sich verdutzte Leser fragen: Warum hat die denn einen österreichischen Akzent, wenn sie doch aus Dublin stammt? Weit problematischer ist es, dass dieser Name schnell zum Zaun wird, der künftige Themenfelder stark eingrenzt. Als Carla Federico war ich auf Südamerika abonniert, eventuell noch auf andere spanischsprachige Länder oder exotische Stoffe – aber Mecklenburg-Vorpommern als Schauplatz wäre gänzlich unpassend gewesen. Das wiederum verträgt sich zwar gut mit den Gesetzen des Marketings, nicht aber mit denen der Kreativität, deren wichtigstes Prinzip eigentlich lauten sollte: „Anything is possible!“

Die enge Schublade
Klar, damit der Autor bei der Ideensuche wieder aus dem Vollen schöpfen kann, könnte er sich für jeden „markenkernfremden“ Plot ein neues Pseudonym zulegen. Doch auch wenn man sich so in mehreren Schubladen betten kann, arbeitet es sich in selbigen nicht gerade bequemer, wenn sie immer enger werden.
Meines Erachtens ist es problematisch, dass man Autorinnen  größtmögliche Flexibilität abverlangt, um schnell auf neue Trends zu reagieren und sie zugleich auf eine bestimmte Art des Schreibens festlegt. Man sieht sie weniger als Künstler, denen Geschichten unter den Nägeln brennen, und mehr als Dienstleister, die Publikumserwartungen zu bedienen haben und gnadenlos ausgebuht werden, wenn sie diese nicht passgenau erfüllen. Der individuelle Mensch aus Fleisch und Blut hinter dem Autorennamen lässt sich aber umso leichter vergessen, wenn dieser Name Teil des Gesamtpakets ist und zum Werbeslogan zu verkommen droht. 

Pseudonyme: Fluch, Segen und individuelle Entscheidung
Abschließend stelle ich fest: Pseudonyme bieten vielen Chancen, aber bergen auch Gefahren. Pseudonyme verhelfen zur kreativen Freiheit, weil die darunter veröffentlichten Werke nicht den Parametern vorangegangener Bücher verpflichtet sind, schränken diese Freiheit aber auch ein, weil der neue Name auf ganz bestimmte Geschichten zugeschnitten wird. Dank Pseudonymen halten Verlage an Autoren, an die sie glauben, auch nach großen Flops fest, was bedeutet, dass sich ein Pseudonym schon mal als Defibrillator erweisen kann, der eine Autorenkarriere wiederbelebt. Doch wo der Name, der auf dem Buch steht, beliebig wird, ist auch der Mensch dahinter umso leichter austauschbar. Und manchmal ist es geradezu absurd, wenn der Defibrillator nicht bloß beim Herzstillstand eingesetzt wird, sondern bereits, wenn die Nase juckt.
Von daher möchte ich keine grundsätzliche Empfehlung für oder wider Pseudonyme abgeben. Es gilt, in jeder Situation eine individuelle, gründlich durchdachte Entscheidung zu treffen.

Der rote Karriere-Faden
Ich selbst stehe zu allen meinen Pseudonymen und literarischen Experimenten. Zugleich bin ich stolz darauf, dass es trotzdem einen roten Faden in meiner Autorinnenkarriere gibt, ich nämlich immer noch als Julia Kröhn schreibe und veröffentliche. Bei meinem letzten Buch Das Modehaus – Töchter der Freiheit, bei dem ich Epoche wie Verlag wechselte, habe ich angeboten, ein Pseudonym zu nutzen. Blanvalet hat sich aber dankenswerterweise dagegen entschieden. So kam es, dass ich 15 Jahre nach meinem Debüt und mit dem zwölften Julia-Kröhn-Roman (die Kinderbücher nicht mitgerechnet) zum ersten Mal mit meinem richtigen Namen auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.
Ein paar meiner Pseudonyme mag die Puste ausgegangen sein oder ich habe absichtlich die Luft angehalten – aber hier hat sich der lange Atem gelohnt, und das zeigt: Die oben überspitzt benannten Tendenzen, die die Buchbranche heute prägen, sind keine Naturgesetze. Es geht auch anders.

Autorin: Julia Kröhn | www.juliakroehn.at | facebook.com/julia.krohn.39
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 140, Februar 2020
Blogbild: Daiga Ellaby auf Unsplash

 

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