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Liebe auf den ersten Satz? - Was für die Zusammenarbeit an einem Buchprojekt wirklich wichtig ist

Federwelt
Anne Weiss
Zwei ineinander verschlungene Herzsprechblasen

#4 Micaela Jary alias Michelle Marly und ihre Lektorin Stefanie Werk, Programmleiterin bei Aufbau Taschenbuch, im Gespräch mit Anne Weiss – über ihre Startschwierigkeiten und wie es sie zusammengeschweißt hat, schon mal einen echten Konflikt überwunden zu haben.

Was genau macht ein gutes Elternteam fürs Buchbaby aus? Was müssen Autorinnen und Autoren in der Zusammenarbeit mit dem Lektorat beachten – und umgekehrt?
 
Sätze, die Sie als Autor oder Autorin niemals sagen sollten, wenn Sie Wert auf gute Zusammenarbeit legen
  • Da war noch ein doppeltes Wort im Satz, ich glaub, du hast das Lektorat nur so nebenbei erledigt.
  • (Bei der Verhandlung des Seitenpreises mit Freien Lektorinnen und Lektoren:) Ich bezahl dich dann in Belegexemplaren, okay? Das ist immerhin ein super Buch!
  • Mein Roman ist schon ziemlich sauber. Ich glaube nicht, dass Sie noch viel zu tun haben.
  • Lass uns am besten heute Abend nach 22 Uhr noch mal dazu telefonieren.
  • Ist mir egal, ob ein Happy End zum Liebesroman gehört. Das ist eben ein besonderes Buch.
  • Vergleichsautoren? Seit ich selbst schreibe, lese ich nicht mehr. Ich will schließlich einen eigenen Stil entwickeln.
 
Was Sie als Lektorin oder Lektor während der gemeinsamen Arbeit am Manuskript nie sagen dürfen
  • Ich wollte auch schon immer mal ein Buch schreiben.
  • Das ist alles gut, muss aber noch irgendwie anders werden.
  • Es tut mir leid, ich konnte dein Manuskript nicht lesen. Mein Hamster hat eine Niereninsuffizienz.
  • Es tut mir leid, da waren jetzt erst mal andere Sachen dringender.
  • Ich hab auch schon mal ein Buch geschrieben.
  • Na, wenn du meinst … ist ja dein Name, der auf dem Cover steht.
 
Für die Federwelt habe ich einige Bestsellerautoren befragt – zusammen mit denen, die sonst nie im Rampenlicht stehen: ihren Lektorinnen. Den Auftakt machten in Heft 133 (Dezember 2018) Markus Heitz, der Fantasy und Horror schreibt, und seine Lektorin Hanka Leo – dort findet ihr auch einen längeren Text dazu, was aus meiner Sicht gute Zusammenarbeit im Lektorat ausmacht.
Nach Sabine Städing (Heft 134, Februar 2019) und Sebastian Fitzek (Heft 135, April 2019), geht es diesmal weiter mit Micaela Jary. Sie schreibt sehr erfolgreich für verschiedene Verlage historische Romane, Familiensagas und Romanbiografien. Unter dem Pseudonym Michelle Marly hat sie den Roman Mademoiselle Coco und der Duft der Liebe veröffentlicht – zusammen mit der Programmleiterin des Aufbau Taschenbuchs Stefanie Werk, die ihn strukturell und stilistisch bearbeitete. Es war ihr erstes gemeinsames Buch, das sofort an die Spitze der Bestsellerliste schoss.
Wie jedes Mal findet ihr im Randstreifen einen Giftkasten mit Sätzen, die ihr während der Arbeit am Buch lieber nicht aussprecht. Diese sind zu hundert Prozent wahr. In jedem Fall gefährlich. Und in seltenen Fällen sogar tödlich – zumindest für die Zusammenarbeit.
 
Wie ist das Verhältnis am Anfang gewesen: Hat es gleich bei euch „geklickt“ oder hat sich das erst entwickelt?
Micaela Jary: Für mich war es auf gewisse Weise schon „Liebe auf den ersten Blick“, zumindest fand ich Stefanie Werk sehr sympathisch. Was ich damals nicht wusste, war, dass wir eine ganz unterschiedliche Herangehensweise an die Zusammenarbeit hatten und auch eine andere Vorstellung davon. Anfangs machte es mich ganz wuschig, dass Stefanie offene Fragen oder inhaltliche Diskussionen gerne – auch mal lange – am Telefon klärt. Mit Barbara Heinzius, meiner Lektorin bei Goldmann, kommuniziere ich fast nur via Mail. Inzwischen habe ich mich aber daran gewöhnt und finde den schnellen Griff zum Telefonhörer häufig durchaus entspannter.
Stefanie Werk: Wir hatten tatsächlich ein paar Startschwierigkeiten. Unser erstes gemeinsames Buch war ein Roman über Coco Chanel, der im Rahmen einer Reihe über Künstlerinnen und andere berühmte Frauen erscheinen sollte. Durch die Vorläufertitel hatte ich schon ziemlich konkrete Vorstellungen, wie der Text funktionieren könnte; Micaela musste hingegen erst ihre eigene Form dieses historischen Erzählens auf Grundlage biografischer Eckdaten finden. Coco Chanel ist eine starke, aber auch schwierige Frau mit einer einmaligen Lebensgeschichte, die eigentlich über mehrere Jahrzehnte hinweg geschildert werden sollte. Nur hat sie eben auch ein paar dunkle Seiten, und in den ersten Fassungen des Textes wurde Coco als kreative, faszinierende Frau noch nicht so greifbar, wie wir uns das eigentlich gewünscht hatten. Dann kamen die üblichen Dinge hinzu, mit denen man in solchen Situationen immer zu kämpfen hat – Krankheiten im unpassendsten Moment, Termindruck, Missverständnisse, ungeschickt formulierte Kritik an der Figur meinerseits –, und prompt war unsere Arbeitsbeziehung in der Krise, bevor sie richtig angefangen hatte. Wir haben das Buch dann erst einmal um ein Programm verschoben, was deutlich zur Entspannung beitrug.
Der Durchbruch kam schließlich, als wir ausführlich darüber redeten, was eigentlich der Kern unserer Geschichte ist, und Micaela vorschlug, den Erzählzeitraum auf wenige Jahre zu beschränken. Es war wie ein Befreiungsschlag. Auf einmal entstand da eine Geschichte, an die wir beide glaubten, und schon bald waren wir ganz verliebt in den Text.
Das Wissen, dass man schon einmal einen echten Konflikt überwunden hat, schweißt zusammen, und inzwischen wissen wir, was wir aneinander haben. Schon bei der Redaktion des zweiten Romans über Édith Piaf, bei dem wir wieder unter extremem Zeitdruck standen, haben wir gemerkt, wie sehr wir von unseren Erfahrungen profitieren, und so blicken wir der Arbeit am nächsten Roman über Maria Callas – auch eine faszinierende Frau! – gelassen entgegen. Gegenseitiges Vertrauen macht die Zusammenarbeit um vieles leichter. Da wir in nächster Zeit zwei Bücher pro Jahr miteinander machen, ist es natürlich sehr hilfreich, wenn man sich ohne großes Aufheben aufeinander verlassen kann.
 
Habt ihr schon im Exposé-Stadium zusammengearbeitet oder erst am fertigen Manuskript?
Micaela Jary: Es begann mit einem Vierzeiler. Auf der Suche nach einem zweiten Standbein neben meinen Familiensagas, die bei Goldmann erscheinen, kam mir der Vorschlag meiner Agentin Petra Hermanns gerade recht, es doch mal mit einem Roman für die Künstlerinnen-Reihe des Aufbau Verlags zu versuchen. Ich überlegte mir vier mehr oder weniger berühmte Frauen und deren Schicksale, dann reichte ich vier Teaser à vier Zeilen ein. Stefanie Werk entschied sich für Coco Chanel und wir trafen uns, um den Roman zu besprechen. Es war ein gutes Gespräch. Wir haben dabei eine Geschichte erarbeitet, die zwar nicht das war, was ich mir anfangs gedacht hatte, aber doch meinen Ideen entsprach. Das Problem war nur: Ich stellte relativ bald fest, dass die Handlung so nicht funktionierte. Trotz anfänglicher Meinungsverschiedenheiten – auch mit Stefanie Werk – habe ich weitergeschrieben, war aber nicht immer glücklich damit. Und wenn man als Autor nicht glücklich mit seinem Text ist, ist es meistens kein guter Text! Auf Manuskriptseite 200 gab ich auf. Ich rief Stefanie an, um ihr zu sagen, dass es so nicht geht und dass ich lieber eine etwas andere Geschichte über Coco Chanel schreiben würde als ursprünglich geplant. Das war insofern ein Himmelfahrtskommando, weil der Abgabetermin kurz bevorstand. Wir haben uns dennoch auf den von mir vorgeschlagenen Weg geeinigt – da flogen meine Finger dann nur so über die Tastatur. Das Ergebnis liegt vor.

Bei unserer nächsten Zusammenarbeit bedurfte es nur eines Namens, den mir Stefanie am Telefon nannte. Der Verlag wollte gerne einen Roman über Édith Piaf haben, und sie ist eine so tolle Frau, dass ich keine Sekunde überlegen musste. Mit der Erfahrung, die ich ja nun mit Mademoiselle Coco gesammelt hatte, legte ich bei meinen Recherchen von Anfang an den Fokus auf eine bestimmte Geschichte im Leben der Piaf, suchte also nach etwas Vergleichbaren zu der Erfindung des Parfüms Chanel Nº 5. Das gelang mir, und darauf aufbauend habe ich Stefanie ein kurzes Exposé geschickt, das die Eckdaten meiner Handlung umfasste. Sie war begeistert. Wir führten dann allerdings noch ein Gespräch über den Anfang, nachdem ich ihr die ersten 30 Manuskriptseiten geschickt hatte. Mein erstes Kapitel begann mit einer dritten, eigentlich unbeteiligten Person – und Stefanie wies mich darauf hin, dass es besser sei, mit der Hauptfigur zu beginnen. Das leuchtete mir ein. Da ich bei konstruktiver Kritik genau zuhöre, habe ich den Anfang des Romans geändert. Das allerdings dauerte ewig. Ich hasse es, den Anfang eines Romans zu schreiben, damit tue ich mich immer enorm schwer. Ab Seite 100 läuft es einfacher.
Üblicherweise bekommen meine Verlage eine Leseprobe für die Vertreter, die etwa 50 bis 100 Seiten des zu erwartenden Romans umfasst. Erst danach sieht das Lektorat das komplette Manuskript. Aktuell müssen wir diese Situation aus terminlichen Gründen anders lösen, und ich sende Stefanie meist in Abständen etwa jeweils 150 Seiten zu. Ich kann dann allerdings nicht auf ihre Kommentare dazu warten, das erlaubt der Zeitplan nicht. Also schreibe ich parallel weiter. Früher hätte ich gesagt, dass das eine Arbeitsweise ist, die mir nicht behagt. Heute finde ich das durchaus in Ordnung. Allerdings funktioniert das nur, wenn beide ein großes Vertrauen in die Arbeit des Partners haben, also in meinem Fall in die der Lektorin.

Was schätzt ihr aneinander? 
Stefanie Werk: Micaela ist eine ehrgeizige Autorin, weshalb sie ihre Texte immer wieder kritisch hinterfragt und auch gern mehrfach umschreibt. Das bringt gerade zu Beginn eines gemeinsamen Buches gewisse Schwierigkeiten mit sich, hat jedoch zur Folge, dass man am Ende die bestmögliche Version einer Geschichte bekommt, und das ist natürlich großartig für eine Lektorin. Wenn ich anmerke, dass mich etwas nicht überzeugt, geht sie dem so lange nach, bis sie eine neue Lösung gefunden hat. Das hilft ungemein, einen Text weiterzuentwickeln, und macht großen Spaß bei der Zusammenarbeit. Außerdem kann man sich bei ihrer Recherche hundertprozentig auf sie verlassen, was den Redaktionsprozess ungemein erleichtert.
Micaela Jary: Stefanie Werk lektoriert sehr vorsichtig und umsichtig. Das heißt, sie überlässt die Tonalität der Autorin. Wir akzeptieren gegenseitig die Meinung der anderen, und sie wird nicht nervös, wenn ich mal einen Vorschlag nicht annehmen möchte. In der Regel bin ich bei sprachlichen Korrekturen jedoch auf ihrer Seite – als Autor sieht man einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Was ratet ihr Autorinnen und Autoren, die unzufrieden mit ihrem Lektor oder ihrer Lektorin sind?
Micaela Jary:
Wie gesagt, ein Autor hat eine völlig andere Beziehung zu seinem Text und sieht häufig den Wald vor lauter Bäumen nicht. Wir Autoren haben ja im Kopf, was passiert, wir kennen die Bilder, die wir beschreiben – ob das nun tatsächlich da so steht oder nicht, ob wir uns verständlich ausgedrückt haben oder nicht. Deshalb ist ein Blick von außen auf das Manuskript unabdingbar. Nicht von der Mama, der besten Freundin oder dem Liebsten, sondern von einem Profi. Ein Roman von mir, der ohne gutes Lektorat erscheinen würde, wäre immer ein schlechterer Roman. Wenn man allerdings gar nicht gemeinsam zurechtkommt, sollte der Autor die Probleme offen ansprechen beziehungsweise von seinem Agenten ansprechen lassen. Ein Agent ist weniger emotional belastet und kann als Mediator auftreten, wenn man das als Autorin will. Es ist also manchmal besser, ihn einzuschalten, als es sich mit dem Verlag zu verscherzen. Wenn das Einschalten des Agenten nichts bringt, würde ich darauf dringen, einen anderen Lektor oder eine andere Lektorin zu bekommen.
Stefanie Werk: Aus der Verlagssicht kann ich sagen, dass ich Lektoratskollegen immer wieder als begeisterte und mitreißende Fürsprecher ihrer Autoren erlebe. Auch wenn deren Bücher vielleicht nicht von allen im Haus in gleicher Weise mit offenen Armen empfangen werden, kämpfen die Lektoren für ihre Titel, wenn es beispielsweise um die Aufmerksamkeit der anderen Abteilungen geht, um die Positionierung, die Werbebudgets. Die Autoren bekommen davon naturgemäß wenig mit und mögen bisweilen den Eindruck haben, zu kurz zu kommen, aber das heißt nicht, dass sie in ihrem Lektor nicht ihren stärksten Mitstreiter haben.

Krimiautorin und Verlegerin Zoë Beck und ihre Außenlektorin Catherine Beck (nicht verwandt und nicht verschwägert!) erzählen im Interview, wie die Arbeit an den gemeinsamen Buchprojekten sie so zusammengeschweißt hat, dass sie inzwischen die besten Freundinnen sind. Was sie beachten, um Arbeit und Privates auseinanderzuhalten. Und wie in einem Fall ihre Freundschaft ein Buch gerettet hat.

Linktipps
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL): www.vfll.de
Homepage von Micaela Jary: www.micaelajary.de
Homepage von Michelle Marly: www.michellemarly.de

Autorin: Anne Weiss | www.bonnerweiss.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 137, August 2019
 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 137, August 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-42019
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