
Bestsellerautorin Elma van Vliet und ihre Lektorin Ilka Heinemann im Gespräch mit Anne Weiss – über die Macht einer guten Idee, die Entwicklung weiterer Produkte und ihre Arbeit über Ländergrenzen hinweg
Wie bedeutsam ist das Lektorat für den Erfolg eines Buches? Was müssen Autorinnen und Autoren über die Arbeit mit dem Lektorat wissen?
Für die Federwelt habe ich Bestsellerautoren wie Zoë Beck, Sebastian Fitzek, Markus Heitz und Sabine Städing befragt – zusammen mit denen, die sonst nie im Rampenlicht stehen: ihren Lektorinnen und Lektoren. In Heft 139 erzählte Schriftstellerin und Verlegerin Zoë Beck mit ihrer Außenredakteurin Catherine Beck, wie aus einem Tweet eine langjährige Zusammenarbeit wurde und wie wichtig Ehrlichkeit für das Gelingen einer Arbeitsbeziehung ist.
Sätze, die Sie als Autor oder Autorin niemals sagen sollten, wenn Sie Wert auf gute Zusammenarbeit legen
- Falls Ihnen Passagen meines Buches aus anderen Werken bekannt vorkommen, das nennt sich Sampling und ist eine neue Kulturtechnik.
- Ich habe den Fehler extra eingebaut, wollte nur mal gucken, ob du ihn findest.
- Du brauchst das Manuskript eigentlich nicht zu redigieren. Meine Frau hat es ganz genau gelesen.
- Hast du spätestens Freitagnachmittag. Mein letzter Lektor hat die Textarbeit auch immer am Wochenende gemacht.
Was Sie als Lektorin oder Lektor während der gemeinsamen Arbeit am Manuskript nie sagen dürfen
- Ich hab das lektorierte Manuskript schon mal in den Satz gegeben. Oder wolltest du das noch mal sehen?
- Wenn du den Killer rausnimmst, die Hauptfiguren austauschst und die Handlungszeit ins Mittelalter verlegst, wird ein toller Roman draus.
- Das Buch habe ich dir ja praktisch in die Feder diktiert.
- Hast du spätestens Freitagnachmittag. Alle meine anderen Autoren lesen die Fahnen auch immer am Wochenende.
Diesmal habe ich mich mit einem Team unterhalten, das viel Neues wagt. Mit den Büchern ihrer Erzähl-mal-Reihe, die zum Teilen und Bewahren von Erinnerungen einladen, wurde die Niederländerin Elma van Vliet auf einen Schlag zur Bestsellerautorin. Von Anfang an dabei: Verlagslektorin Ilka Heinemann von Droemer Knaur. Elma und Ilka kennen sich seit fast 15 Jahren und dem Buch Mama, erzähl mal!. Aber wie funktioniert die ungewöhnliche Arbeit über Landesgrenzen und zwei Sprachhintergründe hinweg? Erstmals erzählen die beiden gemeinsam, wie neue Ideen zu van Vliets erfolgreicher Buchreihe entstehen und wie auch andere Produkte sich daraus entwickeln.
Wann habt ihr euch zum ersten Mal getroffen und mochtet ihr euch auf Anhieb?
Elma van Vliet: Mein erstes Buch, Mam, vertel eens, erschien 2004 in den Niederlanden. Es war das erste Buch, das Fragen stellte, statt zu erzählen. Und es war wahrscheinlich das einzige Geschenkbuch der Welt, das man der Person zurückgeben sollte, von der man es bekommen hatte.
Bevor ich mein erstes Buch geschrieben hatte, arbeitete ich bei einem großen Telekommunikationsunternehmen, ich hatte also keinerlei Erfahrung mit der Buchbranche. Aber ich war fest davon überzeugt, dass jedes Kind auf der Welt es verdiente, ein Buch mit den Familiengeschichten seiner Mutter zu bekommen. Also bot ich es Marianne Schönbach an, der besten Literaturagentin der Niederlande. Sie war sofort begeistert und setzte sich mit Ilka Heinemann in Verbindung. Obwohl es so etwas auf dem deutschen Buchmarkt noch nicht gegeben hatte, verliebte sich Ilka auf den ersten Blick in die Idee und überzeugte die Programmleitung, es in Deutschland herauszubringen. Damit begann unsere gemeinsame Geschichte.
Am Anfang arbeiteten wir via E-Mail, was gut funktionierte. Etwa zwei Jahre später wollte ich endlich wissen, wer sich hinter den Namen des deutschen Teams verbarg, mit dem ich arbeitete. Also rief ich Ilka an und fragte sie, ob sie mit mir einen Kaffee trinken mag. Ich setzte mich in mein Auto und fuhr den ganzen Weg nach München. Damals hatte ich keine Ahnung, dass das recht ungewöhnlich ist. Ich folgte einfach meinem Herzen. Es war toll, Ilka kennenzulernen, und nach dem Kaffee gingen wir direkt noch Abendessen. Danach war unsere Beziehung viel persönlicher. Sie ist ein sehr zugewandter, lustiger und inspirierender Mensch – und sie liebt Bücher. Wir hatten viel Spaß bei unserem ersten Treffen und von dem Moment an hielten wir Kontakt.
Ilka Heinemann: Kurzerhand nach München zu kommen war das Beste, was Elma hätte tun können, denn wir verstanden uns auf Anhieb prächtig! Nicht nur haben wir die gleiche Art von Humor – es stellte sich auch heraus, dass eine ganz besondere kreative Energie entsteht, wenn wir uns sehen.
Wie bleibt ihr in Kontakt und welche Vorteile hat der Kommunikationsweg?
Ilka Heinemann: Dem ersten Treffen folgten viele weitere. Oft treffen wir uns irgendwo in einem Ort auf halbem Weg zwischen unseren beiden Standorten und verbringen einen Tag arbeitend im Café, was wahnsinnig ergiebig ist. Doch im Alltag sind wir natürlich darauf angewiesen, uns per Mail, Telefon oder Skype zu verständigen.
Liebe Elma, erzähl mal … von dem Moment, als dir die Idee zu deiner Buchreihe kam. Wie hat sich das entwickelt? Wusstest du von Anfang an, das soll eine Serie werden?
Elma van Vliet: Ich stamme aus einem kleinen niederländischen Dorf, aber ich hatte noch nie das Gefühl, da hinzugehören. Ich träumte davon, zu reisen und die Welt zu sehen. Und das habe ich auch gemacht. Ich habe einen Berufsweg eingeschlagen, der es mir erlaubte. Ich muss meiner Mutter dafür danken, weil sie mir beigebracht hat, wie wichtig es für Mädchen ist, unabhängig zu sein. Dadurch, dass sie mich ermutigte und inspirierte, machte ich die Schule zu Ende und lebte ein schwungvolles Leben, ging viel aus, traf mich mit Freunden und fand meinen Platz in der Welt. Aber je älter ich wurde, umso mehr drifteten meine Mutter und ich auseinander. Wir liebten uns und redeten miteinander, aber wir hatten keine wirkliche Verbindung.
Dann bekam ich einen Anruf, den ich nie vergessen werde und der mein Leben veränderte. Der Anruf führte mich in ein Krankenhaus, wo ich erfuhr, dass meine Mutter krank war und nicht mehr lange zu leben hatte. Ich geriet in Panik, und da wurde mir klar, dass ich wirklich wenig über sie wusste. Dass ich nur an sie als meine Mutter dachte und dass unsere Beziehung sehr einseitig war und nur auf mich ausgerichtet. Mir wurde klar, dass es so viele Fragen gab, die ich ihr nie gestellt hatte. Und mir wurde auch klar, dass ich ihr nicht genug gesagt hatte, wie viel sie mir bedeutet. Darum machte ich ein Buch, das ich Mam, vertel eens nannte. Am Anfang dachte ich gar nicht daran, dass es veröffentlicht werden könnte. Ich habe es nur für sie gemacht. Das war meine Art, ihr zu sagen, dass ich sie liebe und wie gern ich mehr von ihrem Leben wissen wollte.
Als ich ihr das Buch gab, hoffte ich, dass ich einfach Antworten auf meine Fragen bekommen würde. Aber was ich bekam, war so viel mehr. Während sie meine Fragen beantwortete, begannen wir miteinander zu reden. Sie erzählte mir Geschichten, die ich nie zuvor gehört hatte. Geschichten darüber, wer sie früher war und wer sie geworden war. Und ich nahm mir die Zeit, ihr wirklich zuzuhören. Und sie hörte mir zu. Wir verstanden uns besser und begannen, uns wie nie zuvor verbunden zu fühlen. Und was mal ein unbeschriebenes Buch gewesen war, verwandelte sich in das kostbarste Geschenk, das ich je bekommen habe: Die Geschichte meiner Mutter und mir. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, und das Buch, das sie für mich schrieb, ist das kostbarste Buch, das ich besitze und ich liebe den Gedanken, dass ich es mal meinen Söhnen vermachen kann, damit sie es als Familienerbstück genauso in Ehren halten und es von einer Generation in die nächste weitergegeben wird. Davon hatte ich geträumt. Am Anfang hatte ich also noch gar keine Ahnung, dass dies mal eine Buchserie werden würde.
Wann war dir klar, Ilka, was für ein großer Erfolg Elmas Buchreihe Erzähl mal! in Deutschland werden würde?
Ilka Heinemann: Als ich 2006 die Rechte zu Mama ... und Papa, erzähl mal! einkaufte, waren dies Bücher, die man so auf dem Markt nicht kannte – es sind ja Ausfüllbücher, die man weiterverschenkt, damit die Mutter oder der Vater anhand von Fragen ihre Lebensgeschichte und Erinnerungen darin festhalten. So entsteht ein wertvoller Erinnerungsschatz. Ich war von dem Konzept sofort begeistert, und als ich diese Bücher damals den Kollegen im Verlag vorstellte, waren sie aufgeschlossen, sie zu verlegen – aber niemand hätte anfangs mit einem solch unglaublichen Erfolg gerechnet. Elmas Bücher erscheinen inzwischen in zwanzig Ländern und haben sich, ebenso wie die Folgebücher der Reihe, von Jahr zu Jahr immer besser verkauft – mittlerweile allein in Deutschland über drei Millionen Mal – und spätestens 2009 war uns klar, dass wir es hier nicht nur mit großen Bestsellern, sondern auch mit Longsellern zu tun haben. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Ist ein solcher Erfolg aus deiner Sicht planbar?
Ilka Heinemann: Der Erfolg war in diesem Fall nicht geplant, sondern passierte uns einfach. Ich glaube, in diesem Ausmaß kann man einen Erfolg auch gar nicht planen – die Umstände müssen einfach stimmen. Im Fall von Elmas Büchern war es einfach so, dass sie auf das tiefe Bedürfnis der Leute trafen, mehr von den Menschen, die einem nahestehen, erfahren und festhalten zu wollen.
Wie läuft das Marketing für Elmas Buchserie heute – und ist es wichtig, ob sie als Autorin in Deutschland dafür Werbung machen kann?
Ilka Heinemann: Wir präsentieren Elmas Bücher seit einigen Jahren in einer eigenen Vorschau, in der immer auch die gesamte Backlist abgebildet ist. Und wir haben eine eigene Webseite für die Autorin aufgebaut. Wie in den Niederlanden setzen wir auf die sozialen Medien als Multiplikatoren. Für die PR von Elmas neuem Produkt Herzensfragen haben wir eine Agentur engagiert, die einerseits normale PR gemacht hat, aber sich auch stark an Bloggerinnen und Influencer gewendet hat. Und Elma ist in den Niederlanden selbst sehr aktiv auf Instagram und Facebook und hat mittlerweile auch viele Follower aus Deutschland. Das Außergewöhnlichste aber ist: Ihre Bücher erscheinen in Deutschland mittlerweile unter einem eigenen Label – Elma van Vliet. Aus der Autorin ist also nicht nur international eine Marke, sondern in Deutschland sogar ein eigener Verlag geworden. Und neben die Erzähl mal!-Reihe sind viele andere Reihen und Produkte getreten. Das ist also schon eine ganz außergewöhnliche Geschichte.
Ist es schwierig, mit einer Grenze zwischen euch zu arbeiten?
Elma van Vliet: Ja, aus zwei verschiedenen Ländern zu arbeiten ist nicht einfach. Skype, Mail und WhatsApp sind tolle Tools, aber manchmal geht’s einfach so viel besser bei einem gemeinsamen Kaffee. Aber in unserem Fall haben wir immer einen Ausweg gefunden. Und ich glaube sehr, dass die kulturellen Unterschiede einen großen Vorteil gebracht haben.
Ilka Heinemann: Ich empfinde die kulturellen Unterschiede zwischen den Niederlanden und Deutschland in unserer Zusammenarbeit als große Bereicherung. Wir können so viel voneinander lernen! Besonders spannend ist dies mit Blick auf Design-Trends. Die Niederlande sind uns in dieser Hinsicht einfach immer etwas voraus. Wenn dort im gestalterischen Bereich etwas Mode ist, können wir fest davon ausgehen, dass uns in Deutschland der Trend in ein, zwei Jahren auch erreichen wird. Das ist natürlich ein großes Plus, das in die Produktentwicklung einfließt.
Und wie wirkt sich die Sprachgrenze aus?
Ilka Heinemann: Die Tatsache, dass Elma und ich unterschiedliche Muttersprachen haben, hat uns eigentlich nie gestört. Auch wenn wir beide die Sprache der jeweils anderen sprechen, unterhalten wir uns meist auf Englisch – oder in einem lustigen Sprachmix aus Englisch, Niederländisch und Deutsch. Zusammen mit meinem Verlagskollegen Matthias Kuhlemann, der im Außendienst arbeitet, aber ebenfalls Niederländisch spricht, übersetze ich Elmas Bücher ja auch – und kenne sie deswegen in- und auswendig.
Elma van Vliet: Ilka spricht fließend Niederländisch und sie hat die Bücher perfekt an den deutschen Markt angepasst. Ich sage oft, dass Ilka meine deutsche Stimme ist.
Wie läuft eure Arbeit üblicherweise ab?
Ilka Heinemann: Da Elmas Werke ja keine Romane oder Sachbücher sind, sondern Geschenkbücher oder gar Spiele, läuft die Arbeit hier anders ab als für mich sonst üblich. Elma ist nicht nur eine Autorin, sie ist auch ihre eigene Art Directorin. Und sie stellt mir ihre neuen Ideen vor, wenn sie fertig sind. In dem Moment hat sie dann auch schon konkrete Coverentwürfe gemacht – das gehört bei ihr zum kreativen Prozess dazu. Ich gebe ihr dann Feedback, und wir optimieren die Produkte dann gemeinsam. Bei dem Elma van Vliet Familienplaner etwa haben wir ausführlich über die Bedürfnisse von Müttern gesprochen, die ihren hektischen Alltag planen und gleichzeitig Erinnerungen bewahren wollen. ((Illu: Foto „Familienplaner“ © privat, ohne BU)) Dann haben wir lange mit der Herstellung beraten, wie ein solches Produkt aussehen sollte, um praktisch, nützlich und schön designt zugleich zu sein. Bei der Projektentwicklung war es in der Vergangenheit aber manchmal auch schon andersrum – da haben wir als deutscher Verlag konkrete Anregungen oder explizite Produktwünsche an sie herangetragen, die sie dann umgesetzt hat. Wir hatten zum Beispiel die Idee, den Erzähl mal!-Büchern Gesprächskarten an die Seite zu stellen für all jene, die kein Buch ausfüllen können oder wollen, um ihre Erinnerungen festzuhalten. Diese Idee hat Elma aufgegriffen und dann etwas ganz Eigenes daraus gemacht. So sind letztlich die Herzensfragen entstanden.
Wie sind die anderen Projekte aus den Büchern entstanden (etwa die Spiele) und wie arbeitet ihr bei der Entwicklung dieser Projekte zusammen?
Elma van Vliet: Ich bin für meine innovativen Ideen bekannt und liebe es, wenn ich Mails mit Ideen von Fans bekomme. Die Idee für die Quizze kam mir, als ich beobachtete, wie viele Menschen ihre Telefone an Weihnachten benutzen. Ich dachte: Wie viel Spaß würde es machen, auf die „altmodische“ Art Zeit mit der Familie zu verbringen? Zusammen zu lachen, etwas über den anderen zu erfahren und einfach eine schöne Zeit zusammen zu verbringen? Die Quizze waren damals etwas ganz Neues für mich, und auch für das Verlagsteam, also war das ziemlich aufregend. Wenn du etwas erfindest, dann geht es darum, viele unterschiedliche Versionen davon zu machen, und mit anderen darüber zu sprechen, was ihnen daran gefällt, was sie daran lieben und was nicht. Wie ein Quiz funktioniert und was dabei entsteht, unterscheidet sich sehr von einem Buch, demnach sind die Anforderungen andere. Also dauert es länger beim ersten Projekt und man stößt auf vieles, das man erst zusammen erkunden und lösen muss.
Ilka Heinemann: Als sehr deutlich war, wie erfolgreich die Erzähl-mal!-Bücher sind, kamen wir auf die Idee, die den Büchern zugrundeliegende Idee auch auf andere Produkte zu übertragen – das war die Geburtsstunde der Erzähl-mal!-Quizspiele, bei denen es darum geht, dass die Menschen miteinander auf ganz neue Weise ins Gespräch kommen. So entstanden zunächst Erzähl mal! Das Familienquiz, Erzähl mal! Das Freundequiz, Erzähl mal! Das Mädelsabendquiz und Erzähl mal! Das Dinnerquiz. Von den Büchern hierhin war es gar kein so großer Schritt – denn die Bücher bestehen ja ebenfalls aus Fragen. Aber natürlich mussten andere Fragen her – solche, die man in gemeinsamer, größerer Runde gut beantworten kann. Und Elma hat auch „Aktionskarten“ erfunden, die die Spielenden dazu auffordern, in Interaktion mit den anderen etwas Bestimmtes zu tun – ein Spaßelement also, das hinzugefügt wurde. Die großen Unterschiede lagen aber insgesamt weniger im Inhaltlichen – sondern in der Produktform. Elma und ich hatten vorher immer nur Bücher produziert. Und plötzlich machten wir Spiele, mussten die beste Verpackung dafür finden und einen ganz anderen Drucker, der auf so etwas spezialisiert ist. Ein aufregendes neues Feld also!
Was schätzt ihr besonders an der jeweils anderen?
Elma van Vliet: Es gibt viele Dinge, die ich an Ilka schätze. Sie hat so eine fürsorgliche, liebevolle, quirlige, lebendige und humorvolle Persönlichkeit. Und unsere Freundschaft hat sich über die Jahre entwickelt. Im Lauf der Zeit wurden Kinder geboren, meine Mutter ist gestorben, wir haben bis spät in die Nacht und früh morgens zusammengearbeitet. Wenn wir uns besuchen, dann ist es immer aus Arbeitsgründen, aber wir sprechen über Gott und die Welt.
Ilka Heinemann: An Elma schätze ich ihren Humor, ihre Großzügigkeit und ihre professionelle, sehr kreative Arbeitsweise. Sie lässt nicht locker, bis sie das Optimum aus einer Idee herausgeholt hat – das macht ihre Bücher und Produkte auch so unverwechselbar. Und ja, es hat sich über die Jahre definitiv eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. Wir achten mittlerweile sehr darauf, dass wir bei unseren Arbeitstreffen immer auch Zeit haben für private Gespräche oder Unternehmungen. ((Illu: Foto „Plakat“, siehe oben und im Anschluss „am Rhein“ unter Angabe von © privat und mit BU: ... und beim anschließenden gemeinsamen Stadtbummel in Köln.))
Könnt ihr euch an eine schwierige Situation oder ein Problem bei eurer gemeinsamen Arbeit erinnern? Wenn ja, wie habt ihr das gelöst?
Elma van Vliet: Es gibt immer eine natürliche Spannung zwischen Autor und Lektor. Das hängt mit dem Job zusammen, weil es ein Rollengefälle gibt. Und wenn man zusammen an einem Projekt arbeitet, dann kann es sein, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt. Und das ist doch klar. Gute Gespräche machen das Endergebnis immer besser. Ich denke, es ist wichtig zu erkennen, dass Feedback nicht persönlich zu nehmen ist, es ist ein gut gemeinter Ratschlag, um die Arbeit besser zu machen. Und ich kann mich daran erinnern, dass mir das bei den ersten Büchern schwerfiel. Aber so lange man miteinander spricht, um das Problem zu lösen, wird alles gut ausgehen. Es ist mir sehr wichtig, dass meine Lektorin spürt, was ich erschaffen oder schreiben will. Und Ilka tut genau das. Und manchmal muss man als Autorin auch innehalten und über den Rat nachdenken. Und einen Weg finden, damit umzugehen. Wir haben immer unseren Weg gefunden.
Ilka Heinemann: Natürlich läuft in einem so intensiven Arbeitsverhältnis nicht immer alles glatt. Wir diskutieren zum Beispiel immer wieder leidenschaftlich über Strategiefragen. Etwa: Wollen wir nur Bücher und Spiele machen oder auch andere Produkte – und wenn ja, welche? Hier sind wir beide ganz Profi: Wir tauschen alle Argumente aus und am Ende versuchen wir uns gemeinsam für das zu entscheiden, was für die Marke Elma van Vliet am besten ist. Das heißt: Wir würden nie etwas machen, was nicht zur Marke passt, allein weil es sich gut verkaufen könnte. Aber wir diskutieren auch genauso leidenschaftlich über Fragen des passenden Designs für den deutschen Markt. Sollen die Produkte hier genauso aussehen wie in den Niederlanden oder hat das Publikum hier einen anderen Geschmack? Nur über den Text haben wir uns noch nie gestritten …
Liebe Ilka, gibt es etwas, das bei Elma und dir in der Zusammenarbeit so gut funktioniert, dass du es unseren Leserinnen und Lesern, die ja auch schreiben, als Anregung mitgeben möchtest?
Ilka Heinemann: Ich glaube, was unsere Zusammenarbeit so fruchtbar macht, ist die Tatsache, dass wir einander zuhören und vertrauen. Auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, nehmen wir den Punkt der anderen immer ernst uns schlafen erst einmal drüber, bevor wir eine Entscheidung treffen. Und Elma vertraut mir blind, dass ich ihre Bücher textlich behutsam so verändere, dass sie für ein deutsches Publikum passen. Wir sind Komplizen in der Arbeit. Ja, das ist es, was ich Autoren empfehlen möchte: Strebt nach Komplizenschaft mit dem Lektor! Das allerdings ist natürlich nur möglich, wenn man als Autorin oder Autor darauf vertrauen kann, dass der Lektor mit ihr/ihm an einem Strang zieht und das Bestmögliche aus dem Buch herausholen möchte.
Welchen Rat könnt ihr Autorinnen und Autoren für den Umgang mit ihren Lektorinnen oder Lektoren geben?
Elma van Vliet: Ich glaube, dass eine gesunde und glückliche Beziehung zwischen Autor und Lektor entscheidend für die Qualität der Veröffentlichungen ist, also sollte man nicht lange im Unglücklichsein verharren. Du beschäftigst dich sonst die ganze Zeit damit und das beeinflusst die Qualität deiner Arbeit. Und wie mit jeder anderen Beziehung in deinem Leben musst du das in der Art und Weise lösen, die am besten für dich funktioniert. Die Art wie du das machst, hat damit zu tun, was für ein Typ du bist und von der Beziehung, die ihr habt. Mails funktionieren, wenn es sich nur um eine Arbeitssache handelt, wenn du präzise beim Thema sein musst. Aber wenn es um etwas Persönliches geht, dann ist ein persönliches Treffen besser, glaube ich.
Ilka Heinemann: Die Frage ist ja, warum ein Autor mit der Lektorin oder dem Lektor unzufrieden ist. Setzt er sich nicht genug für das Buch ein? Ist er schwer zu erreichen oder kommuniziert zu wenig? Hat er von dem Text eine völlig andere Auffassung als man selbst? In jedem Fall würde ich raten, ein offenes und ehrliches Gespräch zu suchen – auf welchem Wege auch immer. Denn einen begeisterten, guten Lektor zu haben, ist eine große Chance für das entstehende Buch. Der Lektor trägt seine Begeisterung für das Projekt in den Verlag, steckt Marketing, Vertrieb und Presse damit an und kann auf diese Weise viel bewirken.
Da ich den Beruf der Lektorin schon seit vielen Jahren ausübe, habe ich schon Etliches erlebt – von super-professionellen, unheimlich netten Autoren bis hin zu solchen, die einen als eine Art Dienstleister sehen, an dem sie ihre Launen ausleben können. Letzteres steckt man natürlich weg und arbeitet professionell weiter – aber Feuer und Flamme ist man natürlich mehr für jene Bücher und Autoren, bei denen man sich als Komplizin empfindet und mit denen man an einem Strang zieht.
Linktipp
Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL): vfll.de
Autorin: Anne Weiss | www.meinlebenindreikisten.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 143, August 2020
Blogbild: Privat
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