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Kick-Start-Methoden - Mentalcoaching für Autoren #2

Federwelt
Andreas Gruber
Mentalcoaching für Autoren - ein Erfahrungsbericht von Andreas Gruber

Teil 2 des Erfahrungsberichtes von Andreas Gruber und welche Methoden ihm geholfen haben, direkt mit dem Schreiben loszulegen und im Schreibfluss zu bleiben.

Sofort anfangen! Aber wie?
Das Sprichwort „Aller Anfang ist schwer“ gilt vermutlich für alle Dinge im Leben, aber besonders für die Arbeit des Autors oder der Autorin. Damit meine ich nicht den Beginn eines Romans, sondern den Beginn der morgendlichen oder abendlichen Schreibphase – jenen Moment, in dem ich den PC hochfahre und den nächste Satz des Manuskripts schreiben soll. Ist diese Hemmschwelle erst einmal überwunden, dann ist der Rest – das ist zumindest meine Erfahrung – kein Problem mehr, denn wie Hermann Hesse schon sagte wohnt jedem Anfang ein Zauber inne. Aber meine Schwierigkeit liegt darin, erst einmal in den Schreibfluss zu gelangen, mich jeden Tag von Neuem zu motivieren weiterzuschreiben.
Hier nun ein Best-of an Kick-Start- oder Einstimmungs-Methoden zum Schreiben:

Morgendliches Ritual
Vermutlich haben alle Schreibenden ihre eigenen kleinen Rituale, die ablaufen, bevor sie den ersten Satz schreiben. Das ist gut so, denn damit konditionieren wir uns und bereiten uns auf den Arbeitstag vor. Ich beispielsweise lüfte das Büro zunächst einmal gut durch und stelle mir einen Krug mit frischem, kaltem Leitungswasser auf den Schreibtisch, weil ich draufgekommen bin, dass ich zu wenig trinke, da ich ständig vergesse, darauf zu achten. So kann ich gut kontrollieren, ob ich täglich meine zwei Liter Flüssigkeit während des Arbeitens trinke.
Danach gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie ich mich weiter einstimme. Um die richtige Übung für mich zu finden, musste ich mir erst einmal klar darüber werden, welche Probleme mich am Schreiben hindern.

Der innere Text für den Morgen
Eine häufige „Autorenkrankheit“, die ich auch aus eigener Erfahrung kenne, ist mangelndes Selbstbewusstsein, was die eigene Arbeit betrifft. Ist der Text gut genug für die Lektorin? Ist er spannend und dramatisch genug für die Leser? Werden mich die Rezensenten dafür in der Luft zerreißen? Wird mir auch heute eine gute Szene einfallen? Wie soll dieses Kapitel eigentlich beginnen? Wann und wo spielt diese Szene überhaupt?
Fragen, die ständig in mir ablaufen, mich lähmen und jeden lockeren, kreativen Beginn im Keim ersticken.
„Darüber machst du dir Gedanken?“, werde ich manchmal gefragt. „Deine Bücher verkaufen sich doch eh tausendfach.“
Aber das ist ja gerade das Paradoxe daran! Früher, als ich Kurzgeschichten für Magazine mit einer Auflage von achtzig Stück geschrieben habe, hatte ich keine Selbstzweifel. Ich schrieb hobbymäßig, unbeschwert und locker drauflos. Zweifel und Unsicherheit kamen erst, als die Leserschaft größer wurde und die Auflagen höher. Als die Erwartungshaltung stieg, erfolgreiche Romane schreiben zu müssen. „Gegen diese Zweifel hilft nur eine positive Programmierung“, erklärte mir Christoph Wudy. Und wir haben versucht, einen motivierenden Text zu verfassen, den ich vor jedem Schreibtag laut lese, damit er mir Kraft und Zuversicht gibt:

Zum professionellen Schreiben gehören Bewegung, frische Luft, ein Krug Wasser und ein leer geräumter Schreibtisch.

Inspiration und Muse sind wie treue Haustiere, und ich kann mich darauf verlassen, dass sie neben mir sitzen und mich mit guten Ideen versorgen, sobald ich schreibe. Was ich schreibe, muss gar nicht perfekt sein. Aber das, was ich heute schreibe, ist der Grundstein für das, was ich morgen überarbeite. Ich unterschätze, was ich in einer Woche schaffen kann. Stück für Stück, Seite für Seite entsteht das nächste Werk. Heute trage ich einen Teil dazu bei. Dabei schreibe ich so befreit und unbeschwert wie früher.

Selbstzweifel? Sollen sich hinten anstellen! Ich habe mich permanent weiterentwickelt und bin besser, routinierter und professioneller geworden. Durch ständige Fort- und Weiterbildung und das Tanken von Kreativität, wodurch ich fantastische Ideen habe, und durch Selbstdisziplin. Denn ich spüre, dass diszipliniertes Arbeiten motiviert.

Und dieser persönliche innere Text motiviert mich, den Tag zu beginnen, indem ich mich nach dem Frühstück mit meinem Laptop in den Wintergarten setze und einfach drauflosschreibe. Damit ist schon mal die halbe Miete eingefahren.

Der innere Text für den Abend
Dieser innere Text funktioniert oft, aber nicht immer. Habe ich den Vormittag trotz Wochenplan und Einstimmung doch noch mal mit Blödsinnigkeiten verplempert, fällt es mir am Nachmittag umso schwerer, in einen kreativen Schreibprozess einzusteigen und jetzt ein paar gute Seiten aufs Papier zu bringen. Zu den Selbstzweifeln kommen Frust, weil ich noch nichts zusammengebracht habe, und Druck, dass ich bald in die Gänge kommen sollte. Schlechte Voraussetzungen für ein entspanntes Arbeiten. Daher habe ich für speziell solche Situationen einen eigenen inneren Text kreiert:

Okay, ich habe heute nicht geleistet, was ich mir vorgenommen habe.
Ich verzeihe mir.
Es war nicht schlimm – locker bleiben. Denn diese „Zeitverschwendung“ war in Wahrheit keine verschwendete Zeit. Es hat mir Spaß gemacht, ich habe recherchiert, Ideen gesammelt und kreative Energie getankt. Warum jetzt in Panik ausbrechen? Ich weiß, ich brauche keine langen Schreibphasen, um an einem Text weiterzuarbeiten. Ich nutze den Rest des heutigen Abends. Ich kann jetzt noch viel leisten. In einer Stunde konzentrierter Arbeit kann ich viel erreichen, und morgen werde ich stolz auf das sein, was ich heute noch geschrieben habe.
Aus Erfahrung weiß ich, wenn ich einmal schreibe, habe ich Spaß daran und bin voll auf Touren wie eine Concorde, die mit Überschallgeschwindigkeit die Reiseflughöhe erreicht hat. Internet, Facebook und Outlook können mir gestohlen bleiben, bis ich mein Schreibpensum erfüllt habe. Dann belohne ich mich, indem ich meine E-Mails abrufe oder meine Lieblingsforen besuche.
 
Vielleicht brauche ich eines Tages auch einen dritten inneren Text für eine weitere spezielle Situation. Wichtig ist nur, dass ich den Grund für meine Blockade herausfinde und einen passenden Text schreibe, der mir dagegen hilft. Sollte klappen, schließlich bin ich Autor.
 
Scrabble
Ausgesprochen gut gefällt es mir, mich mit „Autoren-Scrabble“ positiv auf den bevorstehenden kreativen Tag einzustimmen. Dazu musste ich erst einmal für mich wichtige Wörter finden, die mir guttun:
  • Fantasie
  • Zuversichtlichkeit
  • Ausgeglichenheit
  • Lebensfreude
  • Leichtigkeit
  • Mühelosigkeit
  • Kreativität
  • Inspiration
  • Disziplin
  • Motivation
Will ich motiviert schreiben, suche ich zuerst aus einer alten Scrabble-Schachtel die Buchstaben A bis Z inklusive Umlaute heraus, die ich in willkürlicher Anordnung vor mir auf den Schreibtisch lege. Dann geht’s los: Ich schreibe diese Wörter nach, indem ich der Reihe nach die einzelnen Buchstaben suche und mit dem Stift darauf tippe.
 
Durch diese Konzentrationsübung verankere ich die Wörter tief in meinem Unterbewusstsein. Beweisen kann ich das nicht. Ich weiß nur: Die großen Wettkämpfe im Spitzensport werden heute nicht mehr mit dem Körper gewonnen, sondern mit dem Geist. Und speziell diese Übung hat mich bereits nach wenigen Wochen ruhiger und zuversichtlicher werden lassen.
Manchmal variiere ich sie, indem ich – als Rechtshänder – die Wörter mit der linken Hand tippe oder, indem ich die Reihenfolge der Wörter ändere und sie von unten nach oben nachschreibe.
Wie bei allen Übungen liegt der Erfolg in der mehrmaligen Wiederholung und Routine.
 
Die Tür
Sebastian Fitzek hat ein eigenes Schreibbüro, zu dem er hinfährt. Ich habe mir in meinem Einfamilienhaus ein eigenes Zimmer zum Arbeiten eingerichtet. Die übliche Das-Haus-verlassen-und-das-Büro-betreten-Routine fällt in meinem Fall weg, und genau das könnte meine Kreativität hemmen. Ich kann nämlich nicht in derselben Umgebung auf Kommando von privater Freizeit auf Arbeitszeit umswitchen. „Ein paar Schritte genügen, und schon bin ich beim Kühlschrank oder im Wohnzimmer“, habe ich Christoph Wudy erzählt. „Dort könnte ich erst mal fernsehen. Und dann: das Haus putzen, Essen kochen, die Wäsche aufhängen und tausend andere Tätigkeiten verrichten.“
Was also tun, um den Weg zur Arbeit zu simulieren, ohne in die heimatliche Freizeitfalle zu tappen? Ich könnte am Morgen gemeinsam mit meiner Frau das Haus verlassen, die Tür zusperren, und während sie nach Wien ins Büro fährt, ein paar Schritte draußen laufen, das Haus wieder betreten und schnurstracks zum Schreibtisch gehen, mit folgenden laut ausgesprochenen Gedanken: „Ich habe jetzt meinen Arbeitsplatz betreten und werde die nächsten drei, vier Stunden konzentriert arbeiten.“
Nach der verrichteten Arbeit darf ich allerdings nicht vergessen, den Arbeitsplatz wieder zu verlassen und für Freizeit und Familie „heimzukommen“. Sollte das nichts nützen, könnte ich noch eins draufsetzen und mir frisch geduscht eine eigene Arbeitskleidung anziehen. Vielleicht ein Lieblingshemd oder einen bestimmten Trainingsanzug, den ich immer beim Schreiben trage. Oder, wie einer meiner Autorenkollegen, einfach nur ein schwarzes T-Shirt mit speziellem Autoren-Aufdruck: Genie bei der Arbeit!
Christoph Wudy, Grubers Mentalcoach
Wudy hat seine Ausbildung am Mentalcollege Bregenz absolviert. In Kooperation mit der Universität Salzburg erlangte er den Titel „akademischer Mentalcoach“. Seit 2015 arbeitet er selbstständig, wobei er Autoren, Musiker, Pflegepersonal aus dem Gesundheitswesen sowie Studierende in Prüfungssituationen unterstützt, das eigene Verhalten zu analysieren und zu verändern, um ein gewünschtes Ziel zu erreichen.
Durch teilweise spielerische Techniken und Übungen kann schon innerhalb von drei Monaten eine Veränderung vonstattengehen, die nachhaltig wirkt. Die Dienstleistung kostet je nach „Problemthema“ zwischen 60 bis 120 Euro pro Termin. Ein Termin dauert 90 Minuten und kann auch per Skype abgehalten werden.
 
Anker setzen
Eine Technik, mit der sich positive und motivierende Gefühle im Unterbewusstsein verankern lassen, nennt sich Ankern.
Dazu setze ich mich bequem an den Schreibtisch, nehme den Schalter meiner Schreibtischlampe in die Hand, schließe die Augen und denke an meine schönsten Erfolgserlebnisse. Ich erlebe noch mal, wie ich meine erste Kurzgeschichte für fünfzig Euro an einen Verlag verkauft habe, wie ich das Wort „Ende“ unter mein erstes Manuskript geschrieben habe, wie mein erster Vertrag für einen Roman mit der Post ins Haus geflattert kam, wie mein erstes erfolgreiches Gespräch mit meinem Literaturagenten in München abgelaufen ist und ich danach freudig meine Frau angerufen habe. Wie ich mit wichtigen Verlagsleuten auf der Buchmesse ins Gespräch gekommen bin, wie ich meine erste große Lesung auf der CRIMINALE im Hochsauerland gehalten habe und wie mein erster Roman für einen Literaturpreis nominiert wurde.
Sobald ich die großartigen Gefühle von damals noch einmal durchlebe und ein Lächeln im Gesicht habe, knipse ich die Lampe an. Dann beginne ich zu schreiben.
Ich wiederholte diese Übung vor jedem Schreibabend. So lange, bis das Klicken des Lichtschalters untrennbar mit meinen positiven Gefühlen verbunden war. Irgendwann stellte sich ein Routineeffekt ein: Eines Morgens vergaß ich in der Eile die positive Meditation, knipste die Lampe an, hörte das Klicken, und ich fühlte mich automatisch voller Selbstvertrauen. Der Anker war gesetzt.
Das Ankern, das nachhaltige Verknüpfen guter Gefühle mit einer Handlung oder einem Gegenstand, hätte auch mit dem Schließen der Bürotür oder dem Drücken des PC-Startknopfs funktioniert, aber am wohlsten fühle ich mich mit meinem Lichtschalter. Wie Aladin bei seiner Wunderlampe.
 
Der perfekte Tag
Eine für mich ähnliche Methode ist der sogenannte perfekte Tag. Dazu brainstormte ich mit Christoph Wudy zunächst sämtliche Ideen und Situationen, wie mein perfekter Tag ablaufen könnte. Danach schrieb ich folgenden Text:
 
Du bist eben erst aufgewacht und fühlst dich munter und ausgeschlafen. Bevor du aufstehst, fühlst du in dich, und da sind keine Rückenschmerzen und auch keine lästigen Kopfschmerzen.
Nachdem du aufgestanden bist und dich frisch gemacht hast, gönnst du dir ein gutes Frühstück. Während du so deine Mahlzeit im Wintergarten genießt, lässt du dir die Sonne angenehm aufs Gesicht scheinen. Das Fenster ist gekippt, und du hörst leises Vogelgezwitscher. Du gehst in deinem Kopf schon mal den bevorstehenden Tag durch und weißt, dass dich keine bürokratischen Arbeiten belästigen werden. Denn die erledigst du am Samstag. Auch musst du heute nichts Altes überarbeiten. Du hast den ganzen Tag Zeit, um befreit drauflosschreiben zu können. Ein motivierendes Gefühl.
Nach dem Frühstück setzt du dich an deinen Laptop. Heute hast du Zeit, du kannst das schreiben, was du schon immer schreiben wolltest. Dich in ein neues Projekt stürzen, so wie du es dir schon seit vielen Jahren gewünscht hast. Allein bei diesem Gedanken beginnt deine Kreativität zu sprudeln, und die Inspiration lässt deine Hände kribbeln. Die Worte und Sätze kommen nur so herausgeflogen, direkt auf den Bildschirm. Mit jedem weiteren Absatz spürst du, dass heute einfach alles perfekt ist.
Während du auch am Nachmittag fast wie im Rauschzustand schreibst, gehen dir diese Gedanken durch den Kopf: „Das Buch wird super. Das ist genau das, was ich schon immer machen wollte!“ Im Nu ist dein geplantes Pensum erfüllt. Sogar eine Stunde früher als erwartet, aber du schreibst weiter. Du empfindest ein wohliges Gefühl, weil du heute gut vorangekommen bist.
Am Abend, wie du so im Bett liegst, lässt du den Tag Revue passieren und merkst, dass du innerlich und äußerlich zufrieden lächelst. Es war ein toller Tag! Und morgen machst du genau da weiter, wo du heute mit deinem Projekt aufgehört hast.
 
Ich bin noch einen Schritt weitergegangen und habe diesen Text auf Band gesprochen, während im Hintergrund am PC angenehme Mediationsmusik mit Vogelgezwitscher gelaufen ist. Manchmal höre ich den Text morgens noch im Bett liegend über meinen MP3-Player und lasse zu diesem „Perfekten Tag“ Bilder in meinem Kopf entstehen. Ich bin davon überzeugt: Die Art und Weise, was und wie ich es visualisiere, beeinflusst, mit welcher Einstellung ich in den Tag gehe und Dinge anpacke, wodurch sich vieles leichter erreichen lässt. Der perfekte Tag wird möglicherweise nie eintreten, aber es hilft schon, wenn zumindest einige Teile davon Realität werden.
 
In der nächsten Folge gehe ich auf Techniken für zwischendurch ein, die mir meinen Arbeitsalltag erleichtern.

Autor: Andreas Gruber | www.agruber.com
Erschienen in: Federwelt, Heft 130, Juni 2018
Blogbild: Photo by travelnow-or-crylater on Unsplash

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