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Karla Paul hat nachgefragt: Wo, wie und weshalb kauft mare ein?

Federwelt
Karla Paul
Meerblick von oben mit einsamem Schwimmer

„Es ist auch übrigens gar nicht so leicht, deutsche Autor*innen aufzubauen“

Im Gespräch mit Karla Paul: Katja Scholtz, zum Zeitpunkt des Interviews mare-Programmleiterin, heute Cheflektorin, und Übersetzerin Nicole Seifert, die regelmäßig für mare arbeitet

Wo, wie und weshalb kauft mare ein? Welchen Anteil haben Übersetzer*innen am späteren Verkaufserfolg? Und was muss ich als hiesige*r Autor*in mitbringen,
um ins Programm zu kommen? Karla Paul hat nachgefragt.

Seit 2008 verantwortet Katja Scholtz das Programm von mare, früher war sie unter anderem für Heyne oder Suhrkamp tätig. Die Übersetzerin und Autorin Nicole Seifert kennt sie seit 25 Jahren. Auf einer Buchmesse wurden sie einander vorgestellt. Zuletzt hat Nicole Seifert Gezeitenwechsel von Sarah Moss für mare übersetzt. Ein Buch, so die Übersetzerin, „dass das Wunder vollbringt, am Ende tröstlich zu sein, obwohl nie wieder alles so sein wird, wie es einmal war“. Ein halbes Jahr hat sie daran gearbeitet und immer wieder mit der Autorin Rücksprache gehalten, die ein bisschen Deutsch kann und in Zweifelsfällen gerne erklärt hat, wie etwas genau gedacht war. Ein Glücksfall. Denn nicht alle Autor*innen sind so offen oder haben die Zeit dafür, wenn eine Übersetzung zeitgleich zum Erscheinen der Originalausgabe herauskommen soll. In diesem Fall waren Autorin und Übersetzerin ein Team ...

Nicole, welchen Anteil haben Übersetzer*innen deiner Meinung nach am Erfolg des Buches in einem anderen Kulturraum?
Das lässt sich schwer bemessen, weil man ja nicht weiß, wie gut das Buch sich verkauft hätte, wäre es anders übersetzt worden. Aber wenn man davon ausgeht, dass ein wichtiges Erfolgskriterium die gute Lesbarkeit eines Buches ist, ein guter Stil, der das Verständnis erleichtert, dann dürfte der Anteil der Übersetzer*innen ziemlich hoch sein, denn die Sprache ist ja ihre.

Katja, anders als bei vielen anderen Verlagen, stehen die Übersetzer*innen bei euch mit auf dem Cover. Seit wann macht ihr das und warum habt ihr euch dafür entschieden?
Das ist tatsächlich seit dem allerersten mare-Buch so, das hatte mein Vorgänger Nikolaus Hansen gemeinsam mit dem Verleger entschieden, und ich fand es großartig und genau richtig.

Wie ist da so das Feedback dazu? Und seht ihr, Nicole und du, Gründe, warum andere Verlage das nicht machen?
Katja: Das Feedback ist durchgängig positiv, nicht nur bei Übersetzerinnen und Übersetzern. Dass andere Verlage davon absehen, hat nach außen hin meist mit ästhetischen Gründen zu tun, es heißt dann: „Das Cover ist schon so voll, Titel, Motiv, Autoren- und Verlagsname – und jetzt noch den Namen des Übersetzers oder der Übersetzerin draufpacken...?“
Es geht also um den Platz auf dem Cover, aber letztlich ist es natürlich eine mangelnde Wertschätzung gegenüber den Übersetzer*innen.
Nicole: Und die Grafiker*innen selbst argumentieren ja auch gar nicht so. Die würden das, denke ich, eher als Herausforderung sehen und dafür kreative Lösungen finden, wie es sie zum Beispiel im englischsprachigen Raum gibt.
Katja: Natürlich, genau. In den Augen vieler haben die Übersetzer*innen schlicht einen kleinen Dienstleister-Job erfüllt, für den sie auch bezahlt wurden. Und das ist ja ganz eindeutig nicht so.

Habt ihr einen Pool mit Expert*innen? Bei euch sind es neben der Gegenwartsliteratur ja oft auch Sachbücher, die es zu übersetzen gilt, die vielleicht nautische Fachbegriffe, historische Begriffe enthalten: Woher wisst ihr, wen fragen wir da an und wen nicht?
Katja: Das ist natürlich gewachsen mit der Zeit; man hat herausgefunden, wer wo seine Stärken und besondere Expertise hat, und gelegentlich läuft es auch über Empfehlungen. Wir haben beispielsweise einen Übersetzer, den wir als unsere Wunderwaffe bezeichnen, wenn es um nautisches Wissen geht, Rudolf Mast. Er war früher Segellehrer und Segelmacher und kennt wirklich jedes kleinste nautische Detail: Heißt es nun Gaffel- oder Besansegel? Und was ist ein Toppnant? Er weiß so etwas immer, und davon abgesehen ist er einfach ein brillanter Übersetzer. Daneben steht uns natürlich unser Verleger Nikolaus Gelpke, der Meeresbiologe ist, als Experte zur Verfügung. Im Lektorat sind wir allesamt Geisteswissenschaftlerinnen und tun uns schon schwer mit dem Unterschied zwischen Muschel und Schnecke ... Wir haben aber auch schon, zum Beispiel bei der Entwicklung der mare-Wissen-Reihe, Hilfe beim Alfred-Wegener-Institut gesucht und verschiedene Expert*innen Korrektur lesen lassen, um uns abzusichern. Denn bei so viel Spezialwissen können sich leicht Fehler einschleichen, die uns selbst nicht auffallen würden.

Katja, du bist ja selbst auch Übersetzerin: Hilft das in der Zusammenarbeit mit anderen Übersetzer*innen oder hat das auch Nachteile, dass du fachlich so drin bist?
Katja:
Es hat Vorteile, weil ich mich gut in die Übersetzer*innen hineinversetzen kann und zum Beispiel weiß, wie unfassbar lange es dauern kann, eine einzige Seite oder auch nur einen Satz zu übersetzen. Der Nachteil ist, dass ich bei Honorarverhandlungen immer zwiespältig bin: Ich bin, damit der Verlag gut über die Runden kommt, gezwungen, gut für mare zu verhandeln. Gleichzeitig ist mir vollkommen bewusst, dass eine angemessene Vergütung der Übersetzungsleistungen kaum im Bereich des Möglichen liegt. Immerhin haben wir als einer von wenigen Verlagen 2014 die Gemeinsame Vergütungsregel mit unterzeichnet, was für die Übersetzer*innen in den meisten Fällen eine erhebliche Verbesserung bedeutet.

Jetzt sind natürlich die lizenzierten Titel viel teurer als die deutscher Autor*innen: Die müssen erst aus dem Ausland eingekauft werden, die Übersetzerin, hier, Nicole, muss auch bezahlt werden, das Lektorat ist aufwendiger, warum konzentriert ihr euch nicht mehr auf deutsche Autor*innen?
Katja:
Weil ich es wichtig finde, eine Vielfalt abzubilden. Es ist auch übrigens gar nicht so leicht, deutsche Autor*innen aufzubauen. Und schon mal gar nicht, wenn du einen Verlag hast, bei dem auch ein thematischer Schwerpunkt eine Rolle spielt. Am Anfang habe ich ganz oft gehört: „Aber wie kann ich denn wissen, ob ich in Zukunft immer ein Buch schreibe, das mit dem Meer zu tun hat?“ Das hat sich zum Glück gelegt, weil die meisten (zu ihrer eigenen Überraschung, glaube ich) festgestellt haben, dass es doch relativ gut funktioniert und keine so große Herausforderung darstellt. Inzwischen haben wir doch eine Reihe von festen Autor*innen im Programm. Umgekehrt schreiben die deutschen Autorinnen und Autoren gar nicht immer unbedingt die Bücher, die man sucht und möchte. Und mich interessiert schlicht auch die Literatur aus anderen Sprach- und Kulturräumen ...
Nicole: ... ein bisschen bunter als üblich...
Katja: Ja, und gerade aus dem englischsprachigen Sprachraum, der ist mir nah, und er ist groß. Lustigerweise haben wir allerdings auch großen Erfolg mit finnischen Autoren in unserem Programm, da haben wir (vor allem dank Stefan Moster) ausgezeichnete Kontakte – aber eben auch eine Leserschaft, die die finnische Literatur liebt. Grundsätzlich bin ich neugierig auf Entdeckungen. Natürlich sind bestimmte Länder und Sprachen schwieriger: Kürzlich zum Beispiel bekam ich ein Angebot aus China. Da überlegt man dann schon, ob sich der Aufwand und das Risiko lohnen, denn angefangen vom Gutachten über die Übersetzung bis hin zum Lektorat müssten wir in so einem Fall ausschließlich mit Freien zusammenarbeiten, mit denen wir bislang nie zusammengearbeitet haben und die vielleicht auch unser Profil und unseren Geschmack (noch) nicht gut kennen. – Das ist dann alles schon recht risikoreich, vor allem finanziell, zumal man ja auch nie weiß, wie dieses Buch vom Markt später aufgenommen wird. In vielen anderen Ländern (nicht nur in Finnland) kann ich die Dinge meist besser einschätzen. Dann macht mir die Akquise viel Spaß, ich verhandele übrigens auch sehr gerne; manchmal gelingt es mir, ausländische Titel für wirklich sehr kleine Vorschüsse einzukaufen. Wenn wir dazu noch Übersetzungsförderungen aus dem Ausland bekommen, geht die Rechnung hier oft gar nicht unbedingt schlechter auf als bei deutschen Titeln.

Was braucht ein Buch, das Übersetzungsförderung erhält?
Nicole:
Es sollte wohl eine gewisse Relevanz haben, und eine „besondere Schwierigkeit“ hilft dem Antrag auf Übersetzungsförderung auch. Bei Gezeitenwechsel war zum Beispiel viel Fachwissen gefragt. Da geht es um den Bau einer Kathedrale inklusive vieler Details, der Herstellung der Buntglasfenster etwa, außerdem geht es viel um Medizinisches. So konnte ich mit dem Extraaufwand argumentieren, den die Recherche mit sich bringt und der oft wirklich enorm ist, weil das Internet allein eben oft doch nicht weiterhilft, wenn es wirklich um Fachwissen geht und man auf Nummer sicher gehen will.

Wie groß ist euer Jahres-Programm im Verlagsbereich? Und wie viele Titel daraus sind Übersetzungen und wie viele von deutschen Autor*innen?
Katja:
Wir haben ein verhältnismäßig kleines Programm, wir bringen ungefähr 20 Bücher im Jahr heraus. In der Vergangenheit war es so, dass davon ungefähr ein Viertel oder ein Drittel von deutschen Autorinnen oder Autoren stammte. Das scheint sich gerade etwas zu verschieben, im Herbst 2020 hatten wir zum ersten Mal ein Verhältnis von Hälfte-Hälfte. Trotzdem vermute ich, dass der Anteil deutscher Literatur immer ein wenig geringer sein wird.

Aber das liegt einfach am Angebot oder ist eine Strategie?
Katja:
An beidem, wobei Strategie vielleicht nicht das richtige Wort ist. Wir sind, wie gesagt, interessiert an einer bestimmten Vielfalt.

Was muss man denn als deutsche Autorin, deutscher Autor mitbringen, um für euch zu schreiben?
Katja:
Es hängt einfach immer vom Text ab, ich muss ihn gut finden und er muss etwas mit dem Meer zu tun haben. Das ist manchmal mehr, manchmal weniger der Fall, und dann wird bei uns zuweilen heftig diskutiert, ob der Meeresbezug ausreichend ist oder nicht ... Im Wesentlichen muss es ein Buch sein, das mich überzeugt, das mir selber Spaß macht und hinter das ich mich stellen kann. Ich denke, das merken wir im Literaturbetrieb alle, dass sehr viel von unserer Leidenschaft abhängt, davon, ob wir für etwas glühen oder nicht. Wenn ich selbst schon keine Lust habe auf ein bestimmtes Buch, dann werde ich es meinen Kolleginnen nicht gut vorstellen und später auch den Vertretern nicht schmackhaft machen können. Dafür ist die Bandbreite dessen, was uns bei mare begeistern kann und darf, wunderbar groß: Wir haben das Meer als Klammer, aber ansonsten ... können wir eigentlich alles machen, Literatur, Sachbuch, Graphic Novels, Reiseliteratur, Bildbände, Lyrik ... Wir sind also sehr frei.

Und wann macht dir ein Buch Spaß? Was macht einen Text aus deiner Sicht gut? Oder anders herum gefragt: Was ist der häufigste Grund dafür, dass du ein Buch ablehnst?
Katja:
Ein Text muss mein Interesse wecken, und idealerweise schon auf den ersten Seiten. Was genau das dann ist – ein Thema, eine Figur, eine Frage, ein Ereignis, eine Landschaft oder auch etwas rein Sprachliches –, das ist eigentlich egal, aber sobald ich Lust habe weiterzulesen, ist es ein gutes Zeichen! Wenn umgekehrt kein Funke überspringt, keine Musik drin ist, wenn ich mich langweile oder einen Text stilistisch lau finde, dann lege ich ihn beiseite und sage ihn ab. (Wobei wir im Lektorat die meisten Texte zu zweit oder sogar zu dritt lesen, um uns gegenseitig abzusichern.)

Wie sieht denn das Verhältnis von Männern zu Frauen aus im Programm?
Katja:
Bislang hatten wir einen kleinen männlichen Überhang. Das mag hier und da mit den Themen zu tun haben, aber in erster Linie natürlich mit dem Angebot. Allerdings ändert sich hier gerade etwas, und ich schätze, 80 Prozent der zuletzt akquirierten Titel stammen von Autorinnen! Wo es wirklich kompliziert ist, darüber haben Nicole und ich erst neulich gesprochen, ist unsere Klassiker-Reihe, weil früher einfach nicht viele Frauen geschrieben haben, sie hatten nicht die Möglichkeit.
Nicole: Na ja, ganz so kann man es eigentlich nicht sagen. Frauen haben schon immer geschrieben, auch erfolgreich, sie sind nur in Vergessenheit geraten, weil ihre Werke nicht kanonisiert wurden. Was nichts mit ihrer Qualität zu tun haben muss, sondern vor allem mal damit, wer diese zuschreibt und aufgrund welcher Kriterien. Dasselbe gilt für Malerinnen oder Komponistinnen. Das erschwert es natürlich enorm, diese Werke zu finden. Man muss mehr suchen, es gibt da eine ganze Welt zu entdecken. Ich glaub, man muss auch anders suchen. In der Backlist der Verlage, in den Archiven, kleinen Hinweisen in Biografien und Literaturgeschichten nachgehen ...
Katja: Völlig richtig. Einer der wichtigsten Übersetzer in unserer Klassiker-Reihe, Alexander Pechmann, hat neulich auf eine einzige Nachfrage hin gleich zwei vergessene Autorinnen aus dem Hut gezaubert ... Und der erfolgreichste Titel von allen Klassikern stammt übrigens von einer Frau, Mercè Rodoreda, übersetzt von Kirsten Brandt. Also: Wir bleiben dran.

Wir machen den mare-Budget-Topf unendlich auf: Welche Traumautorin, welchen Traumautor würdest du gern mal zu mare holen, wenn du es dir leisten könntest?
Katja:
Da gibt es natürlich viele, Mareike Krügel zum Beispiel oder Susann Pásztor, Julian Barnes oder Meg Wolitzer oder, oder ... Also wenn ich im Urlaub Bücher aus anderen Verlagen lese, und das Meer kommt vor, dann werde ich schon mal eifersüchtig. Lucy Fricke war so ein Fall, ich war wirklich sehr begeistert von ihrem Roman Töchter, und es gibt darin eine wichtige Szene am Meer. Da habe ich gedacht: „Schade, das hätte sehr gut zu uns gepasst ...“, aber die Autorin hatte schon vorher einige Bücher bei Rowohlt ... und natürlich zahlen die meisten Verlage, die großen allemal, sehr viel besser als wir.

Liegt’s dann tatsächlich oft am Geld, wenn es nicht klappt? Oder gibt es da auch andere Faktoren? Ich würde ja sagen, ach Mensch, bei mare, das sind auch einfach unfassbar schöne Bücher, Menschen werden geschätzt, es gibt ein tolles Team, ihr habt auch einen guten Vertrieb, finde ich, so deutschlandweit ... Worin ist mare so richtig gut, wenn es nicht gerade die großen Finanzen sind?
Katja:
Die wesentlichen Punkte hast du jetzt eigentlich schon genannt. Aber es hapert gar nicht immer nur am Geld (und sooo schlecht zahlen wir auch wieder nicht). Manchmal werden uns bestimmte Sachen gar nicht erst angeboten; ich glaube, das passiert anderen Verlagen auch, obwohl wir mit einem Scout in New York arbeiten und gute Kontakte zu den Agenturen haben. Manchmal geht es auch einfach irre schnell, da liest jemand über Nacht und macht am nächsten Morgen ein Pre-empt – so war es zum Beispiel bei dem Buch vom Meer von Morten A. Strøksnes, das wunderbar zu mare gepasst hätte – ... und dann kommt es natürlich vor, dass wir Auktionen verlieren. Tja, und außerdem haben viele Autorinnen oder Autoren eben ihre Stammverlage, denen sie treu bleiben, und das finde ich vom Prinzip her auch richtig. Ich möchte ja, dass unsere auch treu bleiben.

Linktipps

Autorin: Karla Paul | www.buchkolumne.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 145, Dezember 2020
Blogbild: Mohamed Nashah auf Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 145, Dezember 2020: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-42020
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