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"Ich schreibe nicht mehr!" - Literaturschaffende geben verzweifelt auf

Federwelt
Mara Laue
Verwelkte Blumen als Sinnbild für Aufgeben

„Wann erscheint denn dein neues Buch? Das ist doch längst überfällig“, fragte ich neulich eine Kollegin.
Ihre Antwort: „Ich schreibe nicht mehr.“
Ich, irritiert: „Du hast das Projekt aufgegeben?“
Sie: „Nicht nur das Projekt. Ich schreibe überhaupt nicht mehr. Gar nichts.“
Ich, fassungslos: „Warum?“
Ein leidvoller Blick. „Ich kann nicht mehr vom Schreiben leben, und da macht mir das keinen Spaß mehr. Mein Verlag wollte für den neuen Vertrag die Tantiemen von acht auf fünf Prozent drücken, keinen Vorschuss zahlen und nur noch fünf Belegexemplare rausgeben. Ich hab’s bei anderen Verlagen versucht, da sieht es ähnlich aus.“

„Selfpublishing“, schlug ich vor, denn sie ist etablierte Autorin.
Sie, niedergeschlagen: „Ist nicht mein Ding.“
Ende des Gesprächs: Sie weinte.
Über diesen Vorfall erschüttert hörte ich mich um und erfuhr, dass diese Kollegin kein Einzelfall ist. Viele andere klagten über Kürzungen an allen Enden, teils sogar bei Lektorat und Korrektorat. Der Grund dafür war in keinem Fall, dass ein Vorgängerwerk sich schlecht verkaufte, sondern die betreffenden Verlage begründeten diese Schritte mit „allgemeinen Sparmaßnahmen“.
Bitteres Fazit unisono: „So treibt man uns ins Selfpublishing oder in den Ruin!“ Von 51 AutorInnen, mit denen ich gesprochen habe, hatten acht das Schreiben bereits komplett aufgegeben, 24 waren ins Selfpublishing abgewandert. Und alle waren mit ihren (Ex-)Verlagen unzufrieden. Interessant: Die meisten Klagen kamen von „GroßverlagsautorInnen“.

Das Kernproblem
In diesen Gesprächen kam auch zum Ausdruck: Schreibende fühlen sich schon seit Längerem von Verlagen nicht (mehr) wertgeschätzt (siehe auch Heft 135, Beitrag von Maxi Musterautorin). Was neben den Sparmaßnahmen alle ärgert, sind inhaltliche Vorgaben, die ein Manuskript auf Mainstream nach Schema F trimmen wollen. Rhetorische Frage eines Autors: „Warum nehmen die ein Manuskript überhaupt erst an, wenn sie doch ein ganz anderes wollen?“
Eine Autorin rätselt: „Sehen die Verlage denn nicht, dass sie mit dem dadurch erzeugten Einheitsbrei die Leserschaft übersättigen und langweilen?“
Ich ergänze: Und dass Verlage wie Schreibende dadurch ihre individuelle „Stimme“ verlieren oder sich von vornherein keine schaffen? Diese Autorin steht mit ihrer Meinung übrigens nicht allein. Denn mir haben schon mehrfach Lesende rückgemeldet, wie sehr sie es begrüßen, wenn ein Buch sich aus der Masse heraushebt. Auch laut einer 2018 vom vss verlag durchgeführten Umfrage lehnen rund 76 Prozent der Teilnehmenden „08/15-Geschichten“ und 71 Prozent Mainstreamwerke ab.*
Literaturagent Gerd Rumler hat für die Verlagsvorgaben folgende Erklärung: „Verlage wissen in der Regel aus Erfahrung, was gut läuft und was nicht, und halten deshalb ihre Autoren dazu an, marktkonform zu schreiben. Wenn die Verlage ihre Änderungswünsche gut begründen, sollte man darauf hören.“
Doch gerade mit der Begründung hapert es allzu oft. So fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen zu „Befehlsempfängern“ degradiert à la: „Da muss ein Hund rein, das verkauft sich besser.“ Werden solche Forderungen gestellt, bevor ein Werk unter Vertrag genommen wird, können wir entscheiden, ob wir dies bedienen können. In den beklagten Fällen wurden die Werke aber erst hundlos akzeptiert und die Änderungsforderung danach gestellt. Verständlich, dass das Unmut erregt, vor allem, wenn es zu dem Gefühl führt: Das ist so aber nicht mehr meins.
Gerd Rumler rät: „Wenn einem eine Verlagsvorgabe komplett gegen den Strich geht, sollte man das Gespräch mit dem Verlag suchen und notfalls auf das eigene Bauchgefühl hören.“ Ich ergänze: Denn Texte, die zu schreiben man sich zwingen muss, geraten immer suboptimal.
Der einzige Verlag, der sich (anonym) dazu äußern mochte, begründete Vorgaben so: „Wenn ich Mainstream bediene, bin ich auf der sicheren Seite, weil ich weiß, dass das gekauft wird, so lange der Trend dauert. Das Risiko, dass andere Werke floppen, ist mir zu groß.“
Unmut erregt auch die Praxis, im Bereich der Spitzentitel öfter ausländischen Werken den Vorzug vor deutschen zu geben.
Gerd Rumler meint dazu: „Lizenzen für Bestseller aus dem Ausland sind teuer. Obendrauf kommt noch das Übersetzungshonorar. Und es ist nicht gesagt, dass ein solches Buch hier genauso einschlägt. Für das Geld könnte man ein bis zwei deutschsprachige Anfängerautoren mit anständigen Verkaufszahlen und Honorarprozenten aufbauen oder bereits etablierte Autoren eine Runde weiterbringen. Außerdem kann der Verlag von Originalmanuskripten selbst Lizenzen ins Ausland verkaufen, was auch den Autoren zugutekommt.“
Ferner sagt er: „Verlage sollten wieder mehr in (deutsche) Hausautoren investieren und diese nachhaltig aufbauen. Das gibt den Autoren eine längerfristige Zukunft und bietet den Lesern Kontinuität. Auch finanziell rechnet sich das.“
Kurzum: Was immer mehr Schreibende dazu treibt, ihren Beruf aufzugeben, ist die mangelnde Wertschätzung der Verlage in Verbindung mit restriktiven Vorgaben und Sparmaßnahmen, die auf ihrem Rücken ausgetragen werden. Nur: Mit allen, die aufgeben, wird die Literaturlandschaft ärmer und obendrein an dem Ast gesägt, auf dem die Verlage sitzen.
Verlegerinnen wie Andrea el Gato sind offenbar eine Rarität. Sie sagt: „Unsere Autoren erhalten einen fest vereinbarten Prozentsatz [Anmerkung der Autorin: der über dem Durchschnitt liegt], der nicht geändert wird. Der Autor ist letztendlich der Urheber. Seiner Kreativität, seinem Fleiß und seiner Geduld haben wir das Werk erst zu verdanken.“ So denken leider viel zu wenige!
Deshalb müssen Lösungen her. Dringend! Aber welche?

Was können wir Autorinnen und Autoren tun?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir wissen, warum die Verlage überhaupt sparen. Eine Ursache sieht Gerd Rumler im Wegfall der Einnahmen von der VG WORT: „Gerade bei großen Verlagen sind das Verluste von Tausenden Euro im sechsstelligen Bereich. Und die KNV-Insolvenz wird die Situation zusätzlich verschärfen. Bei kleineren und Kleinverlagen sind die Verluste zwar proportional geringer, aber mindestens genauso dramatisch.“ Dass unter solchen Umständen Sparen nottut, versteht sich. Doch das sollte offen kommuniziert werden.
Allerdings ist ein Honorar immer Verhandlungssache und der Normvertrag nur eine Grundlage dafür, aber nicht in Stein gemeißelt. Das heißt, auch wer nicht von einer Agentur vertreten wird, sollte verhandeln.
Hinsichtlich inhaltlicher Vorgaben sollten wir versuchen, Verlage zu überzeugen, dass sie Innovationen Raum geben. Trendsetter, die zu Bestsellern werden, sind im Regelfall nicht das x-te Werk nach Schema F, sondern neue Konzepte. Außerdem: Verkauft sich ein Buch gut, heißt das nicht zwangsläufig, dass es dem Gros der Lesenden gefallen hat. Wenn ich Äpfel essen möchte, bekomme aber überall nur Birnen angeboten, kaufe ich natürlich Birnen, bevor ich verhungere. Daraus abzuleiten, ich würde Birnen mögen, wäre ein Trugschluss. Gäbe es wieder größere Vielfalt auf dem Buchmarkt, würde sich der Absatz der „Birnen“ vermutlich erheblich reduzieren.
Bieten wir Innovationen doch einfach zusätzlich an, denn wenn alle nach Schema F schreiben, fehlt auch den Verlagen die Auswahl. Oft genügen schon kleine Veränderungen im Plot oder in der Figurenkonstellation, um etwas Altes (gut Verkäufliches) im neuen Gewand zu haben: Als Marion Zimmer Bradley die schon zigfach erzählte Artus-Sage aus der Perspektive der Frauen schilderte, wurde das Buch ein Bestseller, obwohl sie die bekannte Geschichte inhaltlich nicht verändert hat.

Offen miteinander reden
Meiner Überzeugung nach ist ein wichtiger Schritt zur Lösung des Problems, dass wir offen mit den Verlagen kommunizieren. Wer in Folgeverträgen grund- und/oder kommentarlos die Prozente oder Vorschüsse gekürzt bekommt, sollte das persönliche Gespräch suchen, die Gründe erfragen und zum Beispiel darlegen, dass die Kürzungen seine Existenz bedrohen. Wenn alle schweigend „leiden“, sehen die Verlage keine Veranlassung, die Kürzungen zu überdenken.
Persönliche Erfahrung: Bewährt haben sich Treffen in zwangloser Umgebung etwa zum Essen. In den meisten Fällen lohnt sich das!
Mein Tipp: Wer nicht nur für einen einzigen (Groß)Verlag schreibt, sondern für mehrere Verlage, ist in jedem Fall besser aufgestellt, denn nicht alle Verlage kürzen beim Honorar. Außerdem hat man es leichter, ein Projekt bei einem Verlag unterzubringen, der einen bereits kennt, als wenn man sich neu bei einem bewirbt. Günther Wildner, Inhaber der Literaturagentur Wildner aus Wien, meint allerdings: „HausautorIn zu sein, hat viele Vorteile. Und solange die Veröffentlichungen zu aller Zufriedenheit laufen, sollte man die Zusammenarbeit mit dem Verlag fortführen. Wenn der Hausverlag andere Publikationen der Autorin oder des Autors nicht verlegen kann oder will, dann sucht man einen anderen Partner, der für dieses Genre oder Sachgebiet Spezialist ist. Das Parallel-Fahren sollte man kommunizieren, absegnen lassen und die zukünftigen Aktivitäten gut absprechen, sodass aus dieser Vorgehensweise Synergien und Vorteile erwachsen und keine Probleme.“
Einige AutorInnen wandern auch deshalb ins Selfpublishing ab, weil ihnen die angebotenen Verträge nahezu sämtliche Rechte-Hoheit über ihre Werke nehmen. Persönliche Erfahrung: Auch in diesem Punkt lassen viele Verlage mit sich reden, weil sie von vornherein gar nicht die Absicht haben, manche Rechte selbst wahrzunehmen.

Verleger Torsten Low (www.verlag-torsten-low.de): „Mein Motto lautet: Fair verlegen. Das bedeutet für mich, dass es mir nicht (nur) um Geld geht, sondern um Menschen. Von Anfang an sollte mein Verlag dafür bekannt sein, dass er die Projekte macht, an die sich die rein gewinnorientierten Verlage nicht trauen. Ein Verlag, der Mut beweist, auch mal sperrige, aber wichtige Projekte anzupacken. Meine Aufgabe als Verleger sehe ich darin, meine Autoren zu ermutigen, zu blühen und Frucht zu tragen, und sie selbstverständlich auch fair zu bezahlen. Sie zu ermutigen, ihre Herzensprojekte zu planen und umzusetzen. Und ein Verlag zu sein, der genau deswegen gleichermaßen von den Autoren wie von den Lesern geliebt wird.“

Eine Autorin: „Was Verlage uns aktuell zumuten: Absprachen werden kommentarlos nicht eingehalten, Veröffentlichungstermine willkürlich nach hinten verschoben – manchmal um ein ganzes Jahr, was zu unseren finanziellen Lasten geht –, zugesagte Lesungsakquise wird nicht durchgeführt, Werbung nicht gemacht, bei Titeln und Covern über unseren Kopf hinweg bestimmt, oft zum Nachteil des Buches ... Ich hab’s Schreiben aufgegeben. So eine miese Behandlung muss ich mir nicht antun.“

Literaturagent Günther Wildner: „Der zunächst wichtigste Punkt ist, möglichst viele Rechte und Pflichten ausdrücklich im Verlagsvertrag zu regeln: Wie lange kann der Verlag ein Buch schieben, ohne dass ein Rechterückfall erfolgt et cetera? Auch wenn man keine in Zahlen gegossenen Marketingausgaben im Vertrag festlegen kann, sollte man eine bindende Absprache (mit schriftlichem Protokoll) für alle wesentlichen Bereiche treffen, für: Medienarbeit, Marketing (also Werbung, Handelsmarketing und Point-of-Sale-Aktivitäten, Gewinnspiele, Firmenpartnerschaften), Lesungsakquise und so weiter. Auf eine Einhaltung der jeweils übernommenen Pflichten ist beidseitig zu achten. Ein paar Monate nach Buchveröffentlichung sollte es einen persönlichen Termin mit Manöverkritik geben: Hier sind Versäumnisse der Vertragspartner anzusprechen und für kommenden Projekte zu optimieren.“

Literaturagent Gerd Rumler: „Ich würde Kürzungen der Vorschüsse nur dann für meine Autoren akzeptieren, wenn es sich um Folgeverträge handelt und das Vorgängerwerk seinen Vorschuss nicht eingebracht, der Verlag also Verlust gemacht hat. In diesem Fall wäre eine Kürzung berechtigt. Aber auf eine komplette Streichung des Vorschusses oder Kürzung der Tantiemenprozente, nur weil der Verlag sparen will, würde ich mich nie einlassen.“

Ein Autor: „Ich hatte schon lange die Schnauze voll von den ewigen Verlagsvorgaben, nach denen ich schreiben sollte, was nicht mehr ‚meins’ ist. Als dann auch noch der Verlag einen Mehrbuchvertrag in Einzelverträge umwandeln wollte und für diese die Vorschüsse reduzieren, reichte es mir. Ich mache nur noch Selfpublishing. Als bekannter Autor verdiene ich damit sogar mehr als vorher beim Verlag.“

Eine Autorin: „Mein Verlag hat wegen ‚allgemeiner Einsparungen‘ bei den Neuverträgen nicht nur den Vorschuss auf nur noch 20 Prozent der vorherigen Summen gekürzt, sondern auch die Tantiemenprozente drastisch reduziert, obwohl meine Bücher sich immer sehr gut verkauft haben. Deshalb musste ich statt vorher zwei Romanen pro Jahr mindestens fünf schreiben, um überhaupt noch über die Runden zu kommen. Das Ergebnis: ein Burnout nach drei Jahren im ‚Hamsterrad‘. Seitdem bin ich nicht mehr in der Lage, zu schreiben und lebe mehr schlecht als recht von einer Berufsunfähigkeitsrente, die ich zum Glück in guten Zeiten abgeschlossen hatte.“

Eine Autorin: „Ich bin seit 35 Jahren Berufsautorin und habe für einen großen Verlag etliche sich gut verkaufende Frauenromane geschrieben. Nach 20 Jahren hieß es plötzlich, ich sei zu alt dafür! Eine Unverschämtheit! Die ich aber geschluckt und mich auf historische Liebesromane verlegt habe, die auch erfolgreich wurden. Dann stellte ich fest, dass der Verlag für meine Romane überhaupt keine Werbung mehr machte. Ich schreibe nicht mehr für Verlage, denn gerade für die Großen ist man offensichtlich nur eine ‚Nummer‘ unter vielen.“

Günther Wildner: „Immer wieder wechseln ErfolgsautorInnen zwischen Großverlagen, und das ist auch gut und legitim, wenn sich die richtige Verlagsheimat noch nicht gefunden oder die Zusammenarbeit abgenützt hat. Verlag und AutorIn haben im Idealfall die gleiche Sicht auf das Werk und seine Vermarktung, eine klare Vision des zu gehenden Weges. Das ist gar nicht so leicht und braucht viel gegenseitiges Verständnis. Schließlich müssen den Worten und Konzepten auch die entsprechenden Taten folgen. Daran ist die Partnerschaft zu messen.“
 

Anmerkungen
* https://autorentipps.blogspot.com/2019/02/groe-umfrage-fur-leserinnen-und-leser.html 
Teilnehmende: 1438 Personen, darunter 742 (51,60 Prozent) „nur“ Lesende; während 487 (33,90 Prozent) auch AutorInnen waren.
 

Autorin: Mara Laue | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 136, Juni 2019
Foto: Annie Spratt/Unsplash

 

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