
Der Mentor oder die Mentorin, das ist eine meist ältere, beruflich erfahrene Person, die einer jüngeren Wissen weitergibt und deren Entwicklung fördert. In der Definition klingt das trocken, gelebt sieht es anders aus: Eine Mentorin oder ein Mentor ist oft die Schlüsselfigur in der Berufsbiografie eines Menschen.
Welche Bedeutung haben sie für Schreibende? Was können sie in einem Umfeld leisten, wo es scheinbar immer nur individuelle Talente, Handschriften, Schreibbiografien gibt? Oder umgekehrt gefragt: Klappt eine vernünftige Autorenkarriere auch ohne eine Mentorin oder einen Mentor im Hintergrund? Diesen Fragen bin ich für die Federwelt auf den Grund gegangen.
Mein Weg
Hilfreiche Geister, die mir positive Karriere-Impulse schenkten, gab und gibt es schon einige: angefangen mit der Lehrerin meines Deutsch-Leistungskurses, die mich ermunterte, bei einem Literaturwettbewerb einen Text einzureichen, bis hin zu den Hörerinnen und Hörern, die mir neulich mailten, mein Feature habe ihnen viel Freude gemacht. Schön, doch das ist die Abteilung Motivation und Seelenmassage!
Die Mentorin oder der Mentor zeichnet sich vor allem durch eine Eigenschaft aus: Sie oder er ist der Karriere-Booster. Ich hatte das Glück, während meines Studiums am Deutschen Literaturinstitut Leipzig (DLL) einen Mentor zu finden. Manche sagen, dieses Studium sei schon allein der Karriere-Booster, aber das stimmt nicht ganz: Der Literaturbetrieb menschelt wie alle Betriebe (und so stark wie vielleicht sonst nur der Politikbetrieb), er funktioniert in weiten Teilen über Beziehungen, Empfehlungen, Netzwerke. Und diese werden auch in Leipzig, weiß ich heute, erst durch die Mentorin, den Mentor aktiviert, weshalb manche der Studierenden dort weiter kommen als andere. Vorausgesetzt, sie schreiben in etwa gleich gut, was man wegen der rigiden Aufnahmekriterien sogar annehmen kann.
Ich hatte irgendwann zu Beginn meines Studiums den Wunsch, ein Hörspiel zu schreiben, aber noch kaum Kenntnisse auf diesem Gebiet. Also ging ich in die Sprechstunde eines unserer Gastprofessoren. Dieser, ein erfahrener Hörspielautor, wurde bei der Schilderung meines Schreibwunsches hellwach, denn sein Genre hatte ihm bisher noch keine Mentees zugetrieben. Ja, auch der Mentor profitiert von seinen Mentees, begriff ich später – baut er sich doch so ein Netzwerk jüngerer Kolleginnen und Kollegen auf, die seine eigene Autorenlaufbahn in Zukunft einmal unterstützen können.
Fragenkatalog zu Autor-Mentor-Beziehungen
Ich habe einer Reihe Autorinnen und Autoren, die ich persönlich kenne, den gleichen Fragenkatalog geschickt, um Licht ins Dunkel des Phänomens „Mentoring in der Literatur“ zu bringen. Denn Folgendes ist mir damals, einige Monate nach jener DLL-Sprechstunde, aufgefallen: Zwar wirkte sich der Mentor auf meine Karriere tatsächlich belebend aus, mein erstes Hörspiel sollte in Kürze von einer ARD-Anstalt realisiert werden, aber gleichzeitig war ich völlig überrascht von diesem Mechanismus. Ich wusste also noch nichts über die Wichtigkeit von Netzwerken, und, ganz wichtig: Ich hatte schlichtweg noch nie etwas von anderen Autor-Mentor-Beziehungen gehört! Und das war übrigens bis zu meiner Arbeit an diesem Beitrag so geblieben.
Die Chemie
„Hat es mit der Zusammenarbeit sofort funktioniert? Wenn nicht: Was hast du getan?“, lautete eine meiner Fragen an die KollegInnen. Bei mir stimmte die Chemie von Anfang an. Ich glaube auch, dass es nur so laufen kann. MentorInnen und Mentees müssen in sich gegenseitig etwas erkennen, das sie zur Zusammenarbeit animiert: Neben reiner Sympathie ist das vor allem natürlich ihr Schreiben. Dorothea Renckhoff hat ihren Mentor in dem Intendanten Burkhard Mauer gefunden. „Peter Zadek hatte Mauer 1973 als Chefdramaturgen ans Schauspielhaus Bochum geholt, wo ich im Anfängerengagement als Regieassistentin und zeitweilig als Disponentin arbeitete. Nach ersten Begegnungen bei Ensembleversammlungen und Direktionssitzungen lud Mauer mich ein, mit ihm in der Dramaturgie zu arbeiten“, berichtet sie und dass es mit der Zusammenarbeit ebenfalls sofort funktioniert habe. Letzteres war auch bei Andra Joeckle und ihrer Mentorin Stefanie Hoster so. Wie sie zusammengekommen sind? „Nach sechs Jahren als Lektorin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an französischen Universitäten nutzte ich ein DAAD-Stipendium, um 2004 zurück in Deutschland den Fuß in die Tür zum Rundfunk zu bekommen. Meine Bewerbung bei Deutschlandradio Kultur (heute: Deutschlandfunk Kultur) stieß auf Anklang. Stefanie Hoster, der Leiterin der Abteilung Hörspiel, war ich als literarische Übersetzerin, Radio-Essayistin und Hörspielautorin willkommen, da sie das deutsche Rundfunkprogramm mit auf französischen Originalen beruhenden Hörspielen bereicherte. Die Erscheinung meines Debütromans 2002 dürfte bei der Bewerbung in der Waagschale gelegen haben ...“
Bei Reinhard Bernhof lief es ein wenig anders ab. Als er in der ehemaligen DDR in Leipzig studierte, erlebte er bei der AJA, der Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren, „einen Literaturwissenschaftler, der einen Vortrag über Gerhard Hauptmann hielt“. Diesen sprach er an. „Er war anfangs gegen mich ein wenig abweisend“, erinnert Bernhof sich. „Von ‚Zusammenarbeit‘ war nicht gleich die Rede. Er könne mir nur einige Tipps geben, sagte er. Ich glaube, er wollte sich durch mich ideologisch keine Laus in den Pelz setzen ... In der AJA war ich schon einige Male mit pazifistischem Gedankengut aufgefallen.“ Manchmal dauert es eben etwas länger mit der Entdeckung der gegenseitigen Sympathie, mit der Bereitschaft der Älteren, die Jüngeren zu fördern, was ja immer auch ein Risiko bedeutet, da sie oft nur Talentproben von ihnen haben.
Hast du einen Mentor, eine Mentorin gefunden, Martin?
Martin Beyer erzählt1995 ist meine erste Erzählung erschienen, im kleinen Stuttgarter Alkyon Verlag, den es heute nicht mehr gibt. Und das kam so: Der russische Lyriker Wjatscheslaw Kuprijanow, der dort auch publiziert hatte, war zu Gast an unserem Gymnasium und hatte Verlagsprospekte ausgeteilt. Ich hatte gerade an Fragezeichen gearbeitet, der Geschichte über einen jugendlichen Außenseiter (sehr dicht an meine Biografie angelehnt), und hatte das dann an die auf dem Verlagsprospekt verzeichnete Adresse geschickt. Nach einiger Zeit rief Rudolf Stirn an, der inzwischen verstorbene Verleger des Alkyon Verlages, und meinte, wir könnten daraus ein Buch machen. Er war also mein erster Mentor, könnte man sagen, weil er mir zu einer Veröffentlichung verhalf und zu einer ersten Lesung in Stuttgart zusammen mit Imre Török (ich bin vor Aufregung fast gestorben). Vielleicht war er auch eher ein Förderer? Denn es ging weniger um die Arbeit am Text, um die Entwicklung meiner Fähigkeiten als Autor, dafür hatte Rudolf Stirn, der alles allein gemacht hat, kaum Zeit. Bei ihm erschien noch eine weitere Erzählung, eine dritte lehnte er ab mit der Begründung, ich würde mich literarisch verrennen. Der neue Text war weniger klassisch aufgebaut, ein bisschen atemloser, wilder. Ich kam damit beim noch kleineren Eskapis-Verlag in Hamburg unter, erfuhr hier zum ersten Mal ein intensives Lektorat und merkte, was es mit dem Text macht. Ich war als Autor aber auch in der Mitverantwortung, mich um vieles zu kümmern, Pressekontakte, Lesungen ... Es war also eher ein gemeinsames Lernen, nicht die Situation „erfahrene Mentorin / erfahrener Mentor und unerfahrener Novize“.
Als ich dann mit dem Roman Alle Wasser laufen ins Meer zu Klett-Cotta kam, hatte ich mich darauf gefreut, in sehr erfahrene Hände zu kommen und mich in Ruhe entwickeln zu können. Leider war es nach diesem einen Buch schon wieder vorbei, weil das nächste dort keinen Anklang fand. Dann kam ich zu asphalt & anders, auch hier fand ich eigentlich keine klassische Mentoratssituation vor, sondern es entwickelte sich eine Freundschaft und – ähnlich wie bei Eskapis – ein gemeinschaftliches Wirken für das Buch auf Augenhöhe.
Schließlich fand ich mit Daniel Wichmann von der Agentur Petra Eggers einen Agenten, der auch nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch den Glauben an mich behielt. Bei Und ich war da hat es dann geklappt, ich bin zu Ullstein gekommen, habe einen tollen Lektor, fühle mich gut beraten und aufgehoben, aber wie lange wird diese Konstellation bestehen bleiben? Vielleicht ist eine langfristige Mentoratsbeziehung gar nicht mehr in solchen (Verlags-) Konstellationen möglich, da die Fluktuation und der ökonomische Druck zu groß geworden sind? Womöglich ist sie eher in privaten Beziehungen oder den etablierten Studiengängen zu finden?
Wenn ich also auf die vergangenen 25 Jahre zurückblicke, gab es nie eine langfristige Mentoratsbeziehung, eine feste Instanz, die mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden hätte, sondern eher ein Mentoratspatchwork: Immer wieder habe ich Unterstützung, Fürsprache und Impulse erfahren, habe während der Lektorate kritisches Feedback zu meinen Texten bekommen; als Mentor würde ich auch Prof. em. Dr. Wulf Segebrecht bezeichnen, meinen Doktorvater. Er hat mir viele großartige Texte zugänglich gemacht (Können andere Texte auch Mentoren sein?) und mich durch seine Art, über Literatur zu sprechen, begeistert und damit beeinflusst. Aber im Hinblick auf die Planung einer Autorenkarriere, die Entwicklung einer eigenen Stimme gab es keine feste Instanz, eher sehr viele „Resonanzen“.
Was habe ich dadurch verpasst?, frage ich mich oft. Vielleicht hätte ich mit Mentorin oder Mentor an manchen Vorhaben noch länger gearbeitet. Habe ich manches zu früh angeboten und so Absagen kassiert? Vielleicht habe ich mir als Autor gelegentlich ein bisschen die Finger verbrannt – vielleicht wäre ich gerade so mit Mitte 20 auch etwas weniger verbohrt gewesen. Vielleicht hätte ich weniger die Neigung entwickelt, das Meiste mit mir auszumachen.
Einerseits, andererseits sollte eine Mentorin auch nicht immer verhindern, dass der Mentee Fehler macht. Denn Fehler muss man ja selbst machen, um sich zu entwickeln. Und vielleicht sind es, aus einer anderen Perspektive betrachtet, auch nicht immer Fehler, die gemacht werden, sondern Entwicklungsschritte, die ihre Berechtigung haben. Vielleicht habe ich ohne Mentor mehr Arbeitsschritte rund um das Schreiben und Büchermachen selbst ausprobieren dürfen. (Zwischendurch habe ich ein Kinderbuch nahezu allein veröffentlicht und vermarktet.) Vielleicht hätte ich mich mehr auf das Schreiben konzentrieren müssen, um noch besser zu werden? Wer will das entscheiden? Ambivalenz allenthalben.
Die Verlockung der Abkürzung. Der Gedanke, schon viel weiter sein zu können, woanders zu stehen, nagt immer mal wieder an mir. Aber solche Gedanken sind, da ich nichts mehr rückgängig machen kann, müßig. Sehnsucht nach einer Mentoratsbeziehung, die mich weiterbringt, habe ich gelegentlich noch immer, auch wenn ich schon nicht mehr als „junger Autor“ gelten darf. Aber es ist für mich nie zu spät, zu lernen, Rat zu empfangen, ich fühle mich noch längst nicht fertig – und würde mir das auch von einer Mentorin wünschen, nicht nur das Bekannte abzuspulen.
Ich bin nun im Studiengang „Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus“ selbst in die Rolle des Mentors geschlüpft. Und bin, da ich so eine lange und enge Mentoren-Bindung nicht kenne, sehr vorsichtig, wie ich diese Rolle interpretiere. Vielleicht ist es aber auch gut, hier wiederum kein großes, leuchtendes Vorbild zu haben, sondern offener agieren zu können. Wiederum gibt es keine Abkürzung. Alles will gelernt, alle Fehler wollen gemacht werden.
Die gemeinsame Arbeit
Bei der Zusammenarbeit mit meinem Mentor blieb das Handwerkliche außen vor. Was daran liegt, dass mein Leipziger Studium schon eine Schreibausbildung war. Vernetzungstechnisch – und das ist das Entscheidende, der Karriere-Booster – geschah eigentlich nur, dass der Mentor (neben unseren inspirierenden Gesprächen über Literatur, neben seinen unterhaltsamen, lehrreichen Einblicken in den Literaturbetrieb) sein Adressbuch für mich öffnete und mir seine Kontakte zu Hörspielredaktionen mitgab. Er handelte im Folgenden aber wie ein kluger Mentor und ließ mich diese Kontakte selbst knüpfen, was mit dem Verweis auf meinen Mentor auch sehr gut klappte. Und so waren die Kontakte von Anfang an auch meine eigenen, was sie viel nachhaltiger gestaltete.
Andra Joeckle dagegen hat mit Stefanie Hoster in erster Linie daran gearbeitet, möglichst gute Texte zu schreiben. „Was auch bedeutete: dem akustischen Medium gerecht zu werden, also stärker auf Dialoge zu bauen und geraffter und mit kürzerem (einstündigen) Atem zu schreiben als bei meinen Texten für ein Daheim zwischen zwei Buchdeckeln.“
Und Dorothea Renckhoff erzählt: „Mauer führte mich in alle Bereich der Dramaturgie ein, angefangen bei der Pressearbeit über die Redaktion von Programmheften bis zum ästhetischen Gesamtkonzept für den öffentlichen Auftritt eines Theaters. Im zweiten Schritt vermittelte er mir dramaturgisches Denken an sich bei der Beschäftigung mit und der Beurteilung von Texten, Stücken und Aufführungen – und dann im Aufbau eines ganzen Spielplans mit innerem gedanklichen Zusammenhang. Ebenso bei eigenem Schreiben, wo er mich zu Klarheit, Knappheit und, wo sinnvoll, Dialektik ebenso erzog wie zu fantasievollen gedanklichen Sprüngen. Hier lernte ich viel von seinen Texten und wurde von ihm immer stärker zu eigenem Schreiben ermutigt.
Vernetzungstechnisch gesehen hat Mauer mich immer zu wichtigen Gesprächen mitgenommen, wodurch ich sehr viele im Theater- und Literaturbereich wichtige Persönlichkeiten kennenlernte und gleichzeitig lernte, wie man Kontakte knüpft.“
Die Tipps
Vielleicht das Wichtigste, was mein Mentor mir mit auf den Weg gegeben hat, war: „Du bist gut. Du darfst niemals aufgeben.“ Er hatte recht. Und doch: Sonst hat das niemand gesagt. Genau dafür sind Mentoren da: Bestärkung der Begabten, damit sie sich nicht auf ihrem Weg verirren, was allzu leicht geschehen kann.
Auf die Frage, welche Tipps sie von ihrem Mentor bekommen hat, erwidert Dorothea Renckhoff: „Die werde ich ganz bestimmt hier nicht verraten.“ Aber dass es diese Tipps gab, sehr brauchbare dazu, streitet sie nicht ab.
Andra Joeckle ist da offener. „Stefanie Hoster setzte mich wiederholt in ein realistisches Bild vom dornigen Pfad, auf dem ich unterwegs sei. So gewarnt, glaubte ich mich nicht auf Rosenblättern wandelnd. Und als ich dann auf die Nase fiel (als Stefanie Hoster ein Skript von mir ablehnte), war das hart, aber: wieder aufstehen, Dorn aus der Nase ziehen, Krone zurechtrücken und weiter. Das hieß: eine völlig neue Version schreiben. Die Chance gab sie mir zum Glück – und das war dann eine Sache von Monaten. Stefanie Hoster bahnte mir allerdings auch Abzweigungen von diesem dornigen Pfad durch die Kontakte, die sie mir verschaffte, etwa zum Heidelberger Verlag Das Wunderhorn.“
Alle Vorschläge umsetzen?
Ich konnte und wollte nicht alles umsetzen, was mein Mentor mir vorschlug. – In unserem Fall waren das wie gesagt keine Vorschläge zur Textverbesserung, sondern Ideen für gemeinsame Projekte. – Mentoren und Mentees müssen nicht in allen Punkten einer Meinung sein, aber doch in den wesentlichen; sie müssen dieselben Grundpositionen teilen (künstlerisch und menschlich), dann kann Widerspruch ihre Beziehung sogar beleben.
Reinhard Bernhof erzählt: „Mit der Umsetzung von Dr. B.’s Vorschlägen haperte es noch eine Weile. Doch durch die Beschäftigung mit Hauptmanns Die Weber konnte ich einige Assoziationsketten für meine theoretische Arbeit, sagen wir mal, in Gang bringen. Einen Monat später schickte ich per Post meine ersten 20 Seiten an ihn. Bei einem weiteren Gespräch war er mit meinem Entwurf so weit einverstanden ... Den künstlerischen Beitrag – parallel zur theoretischen Arbeit – hatte Dr. B. aber nur zur Kenntnis genommen. Ich hatte nämlich über meine Fahrradtouren nach Spanien und Italien geschrieben: mediterrane Gespräche, lyrische Texte, die ich schon in meinen vielen Kladden fixiert hatte.“ Mentor und Mentee scheinen sich hier, trotz gegenseitigem Bemühen, nicht recht gefunden zu haben – was auch passieren kann.
Andra Joeckle schwärmt im Gespräch von Stefanie Hosters Menschenkenntnis. „Sie machte mir nur Vorschläge, von denen sie wusste, dass ich sie freudig annehmen würde. Nur auf einen einzigen Vorschlag bin ich nicht eingegangen: meinen Debütroman Laura und die Verschwendung der Liebe in ein Hörspielskript umzuarbeiten.“ Das bereut sie bis heute.
Was hat die Beziehung gebracht?
Mir, ganz konkret: meine erste große Hörspielproduktion bei einem öffentlich-rechtlichen Sender. Ich bin mittlerweile ein vielbeschäftigter Rundfunkautor und auch sonst „gut im Geschäft“, das ist natürlich auch mein eigenes Zutun, aber wer weiß: Ohne meinen Mentor wäre es vielleicht nie zu den ersten Weichenstellungen gekommen.
Andra Joeckle jedenfalls ist sicher: „Ohne Stefanie Hoster hätte ich keinen Fuß in den Rundfunk bekommen und wäre wahrscheinlich weder Hörspielautorin noch literarische Übersetzerin geworden.“
Dorothea Renckhoff hat die Beziehung zu ihrem Mentor „eine kaum vorstellbare Erweiterung“ ihres „geistigen Horizonts“ gebracht: „einmal durch Literaturtipps des ungeheuer belesenen Mauer, zum anderen durch die Begegnungen mit hochinteressanten Persönlichkeiten, zu denen er mich mitnahm, etwa Autoren wie Tankred Dorst, Botho Strauß, Martin Walser oder Regisseure wie George Tabori, Helmut Käutner, Rosa von Praunheim, um nur einige zu nennen.“
Sie empfand es als ungeheuer wertvoll, „immer jemanden zu haben, der mehr wusste als ich, den ich jederzeit um Rat fragen konnte und der es gut mit mir meinte, also eine absolute Vertrauensbeziehung. Er hat bis zu seinem Tod immer alles gelesen, was ich geschrieben habe, und sich immer dazu geäußert.“
Weiter erzählt sie: „Mauer vermittelte mir auch die ersten Übersetzungsaufträge, was für meine Entwicklung als Autorin besonders wichtig war, da der Weg zu eigenem belletristischem Schreiben für mich sehr stark übers Übersetzen ging. Auch die Veröffentlichung meiner ersten langen Erzählung (Vergiftet) erfolgte durch Burkhard Mauer.“
Hat man eine Mentorin fürs Leben?
Meine Umfrage hat ergeben, dass man – bleibt man im Geschäft – eine Vielzahl von Kurzzeit-, Teilzeit- oder auch gegebenenfalls Lebensabschnitts-Mentoren hat, die zwischendurch immer wieder hilfreiche Kontakte eröffnen, wobei es da höchst unterschiedliche Personen und Intensitäten gibt. Während es die Langzeit-Mentoren, die, zu denen man eine „absolute Vertrauensbeziehung“ hat, wie Dorothea Renckhoff es nennt, doch meist tatsächlich nur einmal im Leben gibt. Welche MentorInnen sind nun mehr wert? Ich denke, sie ergänzen sich sinnvoll. Und sie zu finden hängt wie bei Freundschaften letztlich auch immer von glücklichen Umständen ab.
Worauf achten, wenn man einen Mentor, eine Mentorin sucht? Was ist förder-, was hinderlich, auch für die Zusammenarbeit?
Dorothea Renckhoff: „Ich halte eine gewisse Wesensverwandtschaft sowie Nähe der Anschauungen, ästhetischer Standpunkte und der Fantasie für wichtig.“
Martin Beyer: „Ein selbst noch lernbereiter Mentor, dazu würde ich raten.“
Jan Decker: „Man sollte sich Mentorinnen und Mentoren unter den Leuten suchen, die das eigene Schreiben kennen und sich schon einmal positiv dazu geäußert haben. Der Umgang miteinander sollte immer offen und fair sein, menschlich und unbedingt auch künstlerisch wertschätzend, gern auch freundschaftlich, aber bloß nicht unterkühlt oder erotisch aufgeladen, sonst gerät man in ungute Abhängigkeiten.“
Klappt eine vernünftige Schreibkarriere denn auch ohne eine Mentorin oder einen Mentor?
Meine Meinung: Natürlich, aber vielleicht dauert alles doppelt so lange und ist dreimal so anstrengend und kompliziert; was man sich alles gar nicht antun muss, wenn man gut schreibt. Andererseits: MentorInnen findet man eben nicht auf der Straße!
„Da spielt das Zufallsprinzip eine entscheidende Rolle ...“, meint auch Reinhard Bernhof und hinterfragt gleichzeitig das Konzept MentorIn. „Sympathie ist die Brücke zu allem. Ich suche doch nicht nach einem Mentor, wenn ich was schreibe. Da suche ich vielleicht Freunde, denen ich mal was vorlesen kann. Den Mentor, der mich auf die richtige oder falsche Fährte führen würde, habe ich im Kopf. Mentor klingt heute – angesichts der PC-Technik – sogar monokelig. Vielleicht ist das Gewissen der eigentliche Mentor ...“
Dorothea Renckhoff denkt, dass die Ausbildung an einem Literaturinstitut einer Autorenkarriere „in den meisten Fällen erst mal hinreichenden Anschub geben kann“, also mittlerweile ein Mentorat ersetzt.
Und Andra Joeckle zieht bei der Frage, ob’s auch ohne klappt, die Ironie-Karte: „Ja, klar, natürlich. Es gehört nur eine gehörige Portion Glück dazu“, sagt sie. „Und außerdem Verzicht auf Familie, Kinder, Kuchen, Freunde, Hunde, Auto, Urlaub, alljährlich oder überhaupt. Tägliches Ackern, auch fruchtlos, auch sonntags, rund ums Jahr, auch an Heiligabend, auch im Schlaf. Schlechter Schlaf. Abgründe, Löcher, Täler, Tunnel (mit und ohne Licht am Ende). Fortblühende Zweifel – die an der Sprache, die an sich, die an der Welt, am Acker, aber tapfer weiterackern! Hartnäckigkeit, Starrköpfigkeit und der Hals ist auch beteiligt: Halsstarrigkeit, runtergeschluckte Klöße und Frösche darin. Händeringen, Schreibfingerspitzengefühl, Bauchgrummeln, kalte Füße. Grau im Herzen. Alter-vergessen-Können (Bei deinem Alter?! – Kannste vergessen.) Was doch gleich vergessen? Klee wächst auf jedem Acker, ein Vierblättler sicher dabei, Vogelmiere auch und Gras drüber und Bäume heraus in den Himmel auch ohne Mentorin oder Mentor. Nicht zu vergessen: Verlust von Glaube, Liebe, Geld, Hoffnung, Zeit – Zeit, die man doch so wahnsinnig braucht, auch für die Axt im Keller, um Holz zu hacken. Dann noch das Pech, dass einem sein Debütromanverlag verkauft wird, just nach Zusage der Veröffentlichung des zweiten Romans. Dann noch: Manuskript unbedingt einem kleinen Verlag ohne eigene Marketing-Abteilung anvertrauen. Dabei ackern immer noch, auch wenn der Ackerboden unter den Füßen weggezogen ist.“
Welche Bedeutung haben Mentorinnen und Mentoren?
Martin Beyer: „Ich denke schon, dass im MentorIn-Haben zumindest eine große Chance steckt, gerade zu Beginn der Laufbahn, wenn alles noch sehr fragil ist und ein falsches Wort zu existenziellen Zweifeln führen kann – und Bestätigung und Wertschätzung sehr wichtig sind. Oder wenn man vielleicht eine gewisse Arroganz entwickelt hat, den eingeschlagenen Weg für den besten hält und sich ein bisschen für den Größten. Dann kann man wieder geerdet werden und eine gesunde Distanz zu sich behalten.“
Andra Joeckle: „Junge, angehende AutorInnen ahnen nicht, wie entscheidend so eine fördernde Person für die Karriere sein kann und wie ausschlaggebend es ist, dass die Wegbereitung in jungen Jahren geschieht. (Man denke nur an die zahllosen Stipendien oder Förderprogramme, die ältere AutorInnen ausschließen.) Allein schon weil es Jahr für Jahr mehr belletristische Bücher auf dem Markt gibt, was den Konkurrenzdruck erhöht, dürfte die Bedeutung von KarrierehelferInnen zugenommen haben – welcher Couleur auch immer: Mentoren, Literaturagentinnen, schreibende Mitstreiter, Fürsprecherinnen oder Mäzene. So gibt es etwa das Mentoring-Programm der BücherFrauen nicht schon seit eh und je, sondern erst seit 1999.“
Statistisch betrachtet hat meine Fragebogen-Aktion ergeben, dass Mentorschaft unter AutorInnen kein Tabuthema ist. Aber vielleicht waren die KollegInnen einfach nett zu mir? Unter acht angefragten AutorInnen war nur eine, von der ich gar keine Rückmeldung bekam. Weitere drei AutorInnen konnten aus einem nachvollziehbaren Grund nichts mit dem Thema anfangen: weil sie nie einen Mentor oder eine Mentorin hatten. An einem bestimmten literarischen Genre scheint das nicht zu liegen.
Fazit: Beziehungspflege
Autor-Mentor-Beziehungen gestalten sich immer individuell und haben nicht unbedingt Textarbeit zum Schwerpunkt, auch wenn das möglich ist. Nein, hier geht es um Beziehungen: Kontakte austauschen, sich Türen in den Literaturbetrieb öffnen. Und diese Beziehungspflege beginnt natürlich bei MentorIn und AutorIn selbst. Mein Ratschlag ist also: Telefoniert miteinander! Trefft euch, zoomt euch zusammen! Nur so werdet ihr gegenseitig zum Karriere-Booster. Denn in der Person der Mentorin oder des Mentors menschelt der Literaturbetrieb auf die angenehmste Weise.
Wie und wo MentorInnen finden? Das hilft:
- Mut! Sich gezielt mit der Bitte um Ratschläge und Kontaktvermittlungen an KollegInnen wenden, die über viel Berufserfahrung verfügen und deren Schreiben man wertschätzt.
- Fleiß! Fortbildungen, Seminare, Studiengänge et cetera besuchen, bei denen Menschen aus dem Literaturbetrieb unterrichten, und dort schauen, ob sie als MentorInnen zu einem passen würden, und gegebenenfalls Kontakte zu ihnen knüpfen.
- Offenheit! Über die Autorenwelt (www.autorenwelt.de) oder Suchmaschinen nach Mentoring-Programmen suchen.
- Netzwerke! Für Autorinnen von Kriminalliteratur ist das Mentoring-Programm der Mörderischen Schwestern von besonderem Interesse, für schreibende Frauen die entsprechenden Angebote der BücherFrauen (als ein berufliches Netzwerk von Frauen aus allen Bereichen rund um Bücher): www.moerderische-schwestern.eu, www.buecherfrauen.de.
Linktipps
www.jungeautoren.org/mentoringprogramm
https://akademie.montsegur.de/organisation/mentorenprogramm
www.jungeverlagsmenschen.de/karriere/mentoring
www.buchreport.de/news/tag/serie-mentoring-im-publishing/
www.carl-auer.de/media/carl-auer/sample/LP/978-3-89670-789-5.pdf
Autor: Jan Decker | www.decker-jan.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 147, April 2021
Blogbild: Carola Vogt
SIE MÖCHTEN MEHR LESEN?
Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 147, April 2021: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-22021
Sie möchten diese Ausgabe erwerben und unsere Arbeit damit unterstützen?
Als Print-Ausgabe oder als PDF? - Beides ist möglich:
Sie haben gerne etwas zum Anfassen, und es macht Ihnen nichts aus, sich zwei, drei Tage zu gedulden?
Dann bestellen Sie das Heft hier: /magazine/magazine-bestellen
Bitte geben Sie bei »Federwelt-Heft-Nummer« »147« ein.
Download als PDF zum Preis von 4,99 Euro bei:
- beam: https://www.beam-shop.de/sachbuch/literaturwissenschaft/678950/federwelt-147-02-2021-april-2021
- umbreit: https://umbreit.e-bookshelf.de/federwelt-147-02-2021-april-2021-16340793.html
- buecher: https://www.buecher.de/shop/fachbuecher/federwelt-147-02-2021-april-2021-ebook-pdf/decker-jan-weber-martina-weiss-anne-waldscheidt-stephan-schikaneder-emmanuelle-segebade-insa-drews-christine-rossi-michael-laue-mara-mattfeldt-uli/products_products/detail/prod_id/61376607/
- amazon: https://www.amazon.de/Federwelt-147-02-2021-April-2021-ebook/dp/B091D4YRQ9/
Oder in vielen anderen E-Book-Shops.
Suchen Sie einfach mit der ISBN 9783967460155.