Frau Leo, die Kinderbücher, ein roter Sessel und ganz viele Bookups
Stefanie Leo darüber, wie sie zu ihrem heutigen Beruf kam, über buecherkinder.de, Bookups und weitere Vernetzungs- und Marketing-Möglichkeiten, die soziale Netzwerke für alle AutorInnen mit sich bringen.
„Frau Leo, was genau machen Sie eigentlich beruflich?“ – ZACK, da ist sie wieder, diese unangenehme Frage, bei der ich mir wünsche, ich könnte sie locker und verständlich in ein, zwei Sätzen beantworten. Kann ich aber leider nicht, denn bei dem, was ich so mache, handelt es sich um keinen klassischen Ausbildungsberuf, sondern um eine berufliche Nische, die ich mir selbst erschaffen und – bildlich gesprochen – mit Kinderbüchern, rotem Ohrensessel und jeder Menge Kaffee gemütlich eingerichtet habe. Wie schön also, dass mir bisweilen neben Zeit auch ausreichend Raum gegeben wird, um obige Ausgangsfrage angemessen zu beantworten, so wie hier in der Federwelt.
Ganz klassisch beginnt meine Geschichte mit „Es war einmal ...“ Denn angefangen hat alles vor langer, langer Zeit, nicht bei Adam und Eva, aber immerhin bei meinem ersten internetfähigen Rechner. Das muss etwa 1995 gewesen sein. Schon damals wuselte ich begeistert im Netz umher und chattete per AOL weltweit mit meinen Freunden. Diese Leidenschaft für das Internet habe ich nie wieder abgelegt. Es folgten HTML-Selbstlernkurse, erste Programmierversuche und 2002 die „Geburt“ der Webseite Buecherkinder.de, auf der ich damals noch sehr rudimentär die mit meinen Kindern gelesenen und für gut befundenen Bilderbücher empfahl. Es erschien mir derzeit als gelungene Verbindung meines alten und neuen (Berufs-)Lebens und ließ mich auch technisch am Ball bleiben.
In den nächsten Jahren wuchs der Internetauftritt stetig heran. Kontakte zu Kinderbuchverlagen wurden geknüpft und vertieft, erste Testleserinnen und -leser nahmen ihre „Arbeit“ auf, die Webseite wurde renoviert und mit einer Datenbank versehen. Heute – gut 13 Jahre später – bin ich Chefin einer 60-köpfigen Redaktion aus Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen sieben und 20 Jahren. Im Bereich der Bilderbücher werde ich von erwachsenen Leserinnen und Lesern unterstützt. Manche Redakteure begleiten mich schon über zehn Jahre und haben für die Webseite unzählige Titel gelesen und rezensiert.
Wie wir an unsere Bücher kommen
Die Bücher für diese Redaktionsarbeit werden mir von vielen deutschsprachigen Publikumsverlagen auf Wunsch zugesandt und „wandern“ anschließend in die Datenbank. Bei der Auswahl stütze ich mich auf die halbjährlich erscheinenden Verlagsvorschauen und lasse Buch- oder Genrewünsche der Nachwuchsredaktion einfließen. Gelegentlich rutscht auch der ein oder andere Titel nach, nachdem mich eine Autorin oder ein Autor per Mail auf ihr oder sein Buch aufmerksam gemacht hat. Hierbei prüfe ich allerdings vorab, ob das Buch aus einem Publikumsverlag stammt und sich derzeit überhaupt ein passender Testleser in der Redaktion befindet. Anschließend erstellen die Redaktionsmitglieder, die sich im ganzen Bundesgebiet verteilen (und mittlerweile sogar bis Mexiko), in einem Bereich der Webseite, der ausschließlich ihnen vorbehalten ist, eine Bücherwunschliste, anhand derer ich die Bücher verschicke. Nach dem Lesen tragen die Kinder und Jugendlichen ihre Meinung zum Buch online in die Verwaltungsseiten ein, wo ich diese kurz prüfe und freischalte.
Habe ich in den ersten Jahren noch selbst rezensiert, geschieht dies heute nur selten und wenn, dann ausschließlich im Blog, der seit dem letzten Relaunch Bestandteil der Webseite ist. Dort gibt es neben meinen Beiträgen inzwischen häufig Artikel der Nachwuchsredakteure, deren Lese- und Schreibbegeisterung ich auch in diesem Bereich gerne fördere. Die Webseite selbst liegt inhaltlich nun schon lange in den Händen der Kinder- und Jugendredaktion, deren Mitglieder pro Jahr zwischen 600 bis 800 Bücher lesen und bewerten.
Für selbstverlegte Titel fehlt die Zeit
Die Titel, die auf buecherkinder.de rezensiert werden, sind ausnahmslos den Programmen der hiesigen Publikumsverlage entnommen, auf deren geschultes Lektorat wir uns verlassen. Sicherlich gibt es auch in Eigenverlagen manche Buchperlen, ich sehe es jedoch nicht als Aufgabe der Bücherkinder-Redaktion an, diese herauszufischen. Dafür fehlt uns die Zeit und letztlich auch das Know-how.
Wohnzimmerlesungen, Bookups und „Rotation Curation“
Große Veränderungen brachte mein Schritt in die sozialen Netzwerke mit sich, den ich vor gut sechs Jahren vollzog. Drehte sich bis dahin alles um die vom heimischen Büro aus betreute Webseite und die zweimal im Jahr stattfindenden Kinderbuchausstellungen in den Kitas meiner Heimatstadt, fand ich mich plötzlich in einem virtuellen „Großraumbüro“ voller neuer Eindrücke wieder. Innerhalb kürzester Zeit lernte ich die unterschiedlichsten Menschen aus verschiedensten Branchen kennen, spann die verrücktesten Ideen, und ließ einige von ihnen (Wohnzimmerlesung, Bookup, „Rotation Curation“) Wirklichkeit werden.
Zu der Veranstaltungsreihe „Wohnzimmerlesung“ kam ich ein wenig wie die Jungfrau zum Kinde. Auf Facebook folgte ich einem begeisterten Bericht über eine Wohnzimmerlesung und dachte mir: Das will ich auch! Allerdings dachte ich laut beziehungsweise machte einen Facebook-Eintrag daraus, auf den sich zügig eine Autorin aus Düsseldorf mit „Komme!“ meldete und wir innerhalb weniger Wochen zur ersten Wohnzimmerlesung über Facebook einluden. Das war im Januar 2012 und die Autorin war Gina Mayer. Mittlerweile sind 28 weitere Lesungen mit namhaften Autorinnen und Autoren hinzugekommen. Und ebenso wie beim Publikum gibt es auch unter ihnen bereits „Wiederholungstäter“. Dabei schätzen die Autorinnen und Autoren die heimelige und publikumsnahe Atmosphäre sicher ebenso wie die Berichterstattung in den sozialen Medien, allen voran auf Facebook, wo die Lesungen als Veranstaltung angekündigt werden. Bei der Auswahl des Buches nebst seinem Verfasser achte ich darauf, dass beide zum roten Ohrensessel und seinen Gästen passen, damit ich jedem ein mit Lesungsgästen gut gefülltes Wohnzimmer bieten kann. Dabei ist es unerheblich, wie viele Bücher diese Person schon herausgebracht hat. Doch auch hier gilt: kein Selfpublishing-Buch. Den Kontakt mit der Autorin oder dem Autor stelle ich dabei meist selbst her oder erhalte Anfragen von den Pressestellen der Verlage. Eher selten bewerben sich Autoren direkt bei mir.
Als begeisterte Teilnehmerin zahlreicher, meist branchenfremder Barcamps (www.barcamp-liste.de) brachte mich der sprichwörtliche Blick über den Tellerrand auf die Idee, Bookups zu veranstalten. Auslöser waren diverse Tweetups bei kulturellen Veranstaltungen, denen ich beiwohnen durfte, also reale Treffen, zu denen man sich per Twitter verabredet und vor Ort, live per Smartphone, in die sozialen Netzwerke berichtet. Dafür nutzt man einen zuvor verabredeten Hashtag, in unserem Fall #bookupDE, um alle Beiträge der Teilnehmer zu bündeln. Bei den Bookup-Treffen besuchen wir beispielsweise Buchhandlungen, Verlage oder Bibliotheken und werfen einen Blick hinter Türen, die für „Normalsterbliche“ in der Regel verschlossen bleiben. Dabei versorgen wir nicht nur das Netz mit zahlreichen Postings und Fotos von der Veranstaltung, sondern lernen nebenbei so manchen liebgewonnenen Facebook-Freund oder Twitterer ganz real kennen. Seit dem Start dieses Veranstaltungsformats im Juli 2014 in der Essener Kinderbuchhandlung Schmitz Junior haben über 30 weitere Treffen an den verschiedensten Orten im Bundesgebiet stattgefunden. Mittlerweile ist sogar ein regelrechter Bookup-Tourismus entstanden, der hartgesottene Fans auch mal von Hamburg in den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch reisen lässt. Ein Bookup hält einfach für jeden etwas bereit: Buchinteressierte genießen den Blick hinter die Kulissen und freuen sich über analoges Netzwerken, der Veranstalter selbst bringt sich und seine Botschaft vor Ort an die Teilnehmer – und über das Handy ins Netz, ein nicht zu unterschätzender Marketing-Effekt.
Last but not least entstand im Sommer 2015 die Idee, auf meiner Facebook-Seite „Ich mach was mit Kinderbüchern“ im wöchentlichen Wechsel Kuratoren zur Betreuung der Seite einzusetzen. Bekannt wurde das Prinzip der „Rotation Curation“ durch den Twitter-Account @sweden, auf dem seit Dezember 2011 jede Woche ein anderer Schwede über sein Land twittert.
Mein Account als Präsentationsplattform
Der Kuratorin oder dem Kurator von „Ich mach was mit Kinderbüchern“ biete ich die Möglichkeit, die „Filterblase“ seines eigenen Accounts zu verlassen und für eine Woche die rund 4.500 Abonnenten meiner Facebook-Seite über ihr oder sein Schaffen rund um die Kinder- und Jugendliteratur zu informieren. Im letzten Jahr nutzten bereits sechzehn ganz unterschiedliche Kinderbuchmenschen (vom Autor bis zur Illustratorin, vom Pressesprecher bis zur Hörbuchverlegerin, von der Buchhändlerin bis zum Team einer Stadtbibliothek) die Möglichkeit, sich einem großen, digitalen Publikum zu präsentieren, neugierig zu machen und sicherlich auch weitere „Fans“ zu gewinnen. Auch für 2016 ist der Kuratoren-Dienstplan schon gut gefüllt. Bewerbungen können aber jederzeit per Mail mit einer kurzen persönlichen Vorstellung und Links zu vorhandenen Social-Media-Accounts abgegeben werden.
Facebook, Twitter und Co. bieten für social-media-affine Menschen der Buchbranche zahlreiche Möglichkeiten, sich privat wie beruflich zu vernetzen und sich selbst und sein Schaffen klug zu präsentieren. Dabei ist jedoch der Grat hinüber zum plumpen Marketing ein schmaler, der niemals überschritten werden sollte.
Ich sage immer: Keine Frage, die Menschen mögen Ihre Bücher, sonst hätten sie ja nicht „Gefällt mir“ geklickt, noch mehr sind sie aber an Ihrem kreativen Schaffen und an Ihnen interessiert. Da macht es einen riesigen Unterschied, ob Sie auf Ihr neuestes Werk per Link zur Verlagsseite aufmerksam machen oder Ihre Abonnenten mit einem Unboxing-Video der ersten Lieferung Belegexemplare beglücken.
Und übrigens, wer nun – um die 10.000 Zeichen später – die Ausgangsfrage beantworten kann, und vielleicht sogar noch eine passende Berufsbezeichnung für mich gefunden hat, der darf mich gerne auf einem meiner zahlreichen Kanäle kontaktieren.
Autorin: Stefanie Leo | www.buecherkinder.de | www.facebook.com/buecherkinder | www.facebook.com/wasmitkinderbuechern | www.facebook.com/wohnzimmerlesung | www.lesenlebenlachen.de
In: Federwelt, Heft 117, April 2016
Foto: Katrin Zipse, copyright Patrick Leo
Infos über #bookupDE: www.lesenlebenlachen.de/tag/bookupde | www.papiergefluester.com/papiergefluester-podcast-nr-11-ist-ein-bookup/
Infos über die Wohnzimmerlesung: www.lesenlebenlachen.de/tag/wohnzimmerlesung
Checkliste für Tweetup-Veranstalter: http://kulturkonsorten.de/all-you-tweet-is-love/tweetup-checkliste (Lässt sich auch für Bookups nutzen ...)
Infos „Rotation Curation“: www.buecherkinder.de/blog/2016/01/rotation-curation-vieler-kinderbuchmenschen/