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Flyer im Wind

Federwelt
Ben Weber

Flyer im Wind
Ein Brief und ein Erfahrungsbericht von Ben Weber
Ben Weber hat ein Buch darüber geschrieben, wie er zu seinem (Pflege-) Sohn gekommen ist. Zuerst erschien „Papa-Probetraining“ als E-Book bei Droemer Knaur. Heute liegen die Rechte dafür wieder bei Weber und er vertreibt den Titel selbst: über BoD. Welche Erfahrungen er damals, als Verlagsautor, mit dem Werbemittel namens „Flyer“ gemacht hat, beschreibt er hier.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

schon vor dem Erscheinen meines E-Books hatte ich beim Verlag nachgefragt: Ob man mir Werbematerial zur Verfügung stellen könne? Ich ging davon aus. Irgendetwas musste ich den Leuten doch in die Hand drücken können! Und warum sollte man nicht – da, wo es möglich war – Werbeflyer auslegen, zum Beispiel im Supermarkt, in der Stadtbücherei oder im Fitnessstudio?

„Werbeflyer sind nicht das adäquate Mittel zur Bewerbung eines E-Books“, lautete die Antwort aus der Marketingabteilung. Sie versprächen wenig Erfolg.

Doch ich fragte mich: Wäre es nicht ein gutes Gefühl, etwas in der Hand zu haben, das ich persönlich überreichen konnte? Bei Lesungen verteilen? Einen Flyer zu besitzen, den Freunde und Bekannte auch weitergeben oder an anderen Orten auslegen würden?

Ich habe schließlich Werbeprospekte in Eigenregie entworfen und gedruckt. Während eines Interviews, das ein Zeitungsredakteur mit mir führte, wurde ich mit meinem Flyer in der Hand abgelichtet. Redakteur und Fotograf waren zufrieden, weil das bunte Cover in Papierform den Bericht sehenswerter machen würde. Auch hat so mancher Bücherfreund, der keinen E-Reader besaß, die Textprobe in meinem Prospekt mit Vergnügen gelesen und mich nach dem Erscheinungsdatum der Druckfassung gefragt. So kamen wir ins Gespräch und ich konnte auf meine Homepage und die Facebook-Seite hinweisen, auf denen es immer aktuelle Hinweise dazu gibt. (Die entsprechenden Links standen natürlich auf dem Flyer.)

Wäre es nicht die Aufgabe des Verlags gewesen, Werbematerial für mein E-Book-Debüt zu entwerfen? Eine ansprechende Vorlage für einen Flyer zum Beispiel, den ich im Bedarfsfall selbst hätte vervielfältigen können? Einen aktiven Autor, der ganz persönlich für sein Buch wirbt – mehr kann sich eine Marketingabteilung doch nicht wünschen, oder?

Ich denke: Auch wenn Werbeflyer nur eine Möglichkeit von vielen sind, sollte man sie nicht von vornherein ausschließen. Denn letztendlich geht das Werk eines Debütautors unter, wenn es nicht mutig beworben wird. Die Alternative wäre, es ständig „unter Wert“ zu verkaufen, um irgendwann einmal in den Charts aufzutauchen. So wie es Amazon fördert – eine sehr fragwürdige Entwicklung! Ich würde mir doch wünschen, dass mein Roman eine Würdigung erfährt, und das durchaus auch in materieller Hinsicht: bei über zweitausend unbezahlten Arbeitsstunden meinerseits und angesichts der großen Mühe und dem Engagement der Lektorin und Korrektorin des Verlages andererseits.

PS: Jetzt habe ich mich wieder dabei ertappt ... bei einem kurzen (wirklich nur ganz kurzen) Blick auf das Ranking meines Buches. Obwohl ich doch weiß, wie es um die Seriosität dieser Plattform bestellt ist. Aber auch, dass sich die eigene Leistung gar nicht in Verkaufszahlen messen lässt. Weil sie der Anstrengung nicht gerecht werden. Der Ausdauer und Geduld, über Jahre an dieser einen Geschichte gefeilt zu haben. Lektorat, Korrekturen, mehrfache Überarbeitung. – Ist es ein gutes Buch geworden? Der Absatz oder Listenplatz eines Buches wird mir nur wenig über seine Qualität verraten, die Rückmeldung der LeserInnen und RezensentInnen bedeutend mehr.

PPS: Mögen Sie mir noch in eine Buchhandlung folgen, in der ich meine Flyer gern auslegen wollte? – Falls ja, dann hereinspaziert:

 

„Ding-Dong!“ Eine Türglocke – wie ungewöhnlich! Mit einem fröhlichem Klang. Etwas altmodisch vielleicht, aber irgendwie ... beruhigend. Beruhigend? Warum sollte ich nervös sein? Hier würde man mich willkommen heißen. Schließlich hatte ich es vor einigen Wochen im Lokalteil der Zeitung gelesen: Die Besitzerin dieser kleinen Buchhandlung engagierte sich sehr für die ortsansässigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller.

Nun allerdings, so mitten im Laden, zwischen all den Büchern der anderen Autorinnen und Autoren, da fühlte ich mich doch ein wenig verloren. Für einen Moment war ich unsicher. Sollte ich an einem anderen Tag ...? Aber dann siegte mein Stolz! Ich war ja jetzt einer von ihnen, Ben Weber – der Schriftsteller, jetzt gehörte ich dazu! Fast vier Jahre hatte ich an diesem Roman gearbeitet. Und in meiner Hand hielt ich nun einen kleinen Stapel selbst gefertigter Werbeflyer, deren Papier sich bereits wellte, weil ich vor Aufregung schwitzte. Und da stand sie bereits vor mir: Die Herrscherin über Blätter und Buchstaben, die sich mit der Buchhandlung „Goldtaler“* als Förderin lokaler Literatur einen Namen gemacht hat: Frau Erbacher-Wittefeld!* Auf den ersten Blick etwas unnahbar und kühl hinter ihrer geschminkten Fassade. Trotzdem, jetzt war der Augenblick gekommen, ihr das zu sagen, was ich zu Hause vor dem Spiegel eingeübt hatte: „Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen! Mein Name ist Ben Weber, ich bin ein Bochumer Autor. Das hier auf dem Flyer, das ist mein Debütroman „Papa-Probetraining“. Ein E-Book, verlegt vom Knaur Verlag. Ich möchte Sie fragen, ob die Möglichkeit besteht, diese Prospekte hier im Laden auszulegen?“

Die Ladenbesitzerin beäugt zuerst misstrauisch mich, dann die Flyer. Nach längerem Hin- und Herwenden hält sie plötzlich inne.

„Das ist doch ein Schwindel, da hat jemand den Namen des Verlags missbraucht!"

„Äh, wie bitte ...?“

„Ja, dieser Name. Knaur – das kann ja nicht wahr sein!“

„Wie, was ... nicht wahr sein?“, stammelte ich.

Frau Erbacher-Wittefeld sah mich streng an. „Diesen Verlag kenne ich sehr gut. Knaur – ein alteingesessener, renommierter Verlag ist das! In München. Die machen so etwas nicht!“

„Ja, Knaur, so heißt der Verlag, der bringt mein E-Book heraus.“

„Nein, auf keinen Fall, mein Herr! Die machen so etwas nicht! Nicht einmal das Logo ist echt, das sieht in Wirklichkeit ganz anders aus!“

„Ja, aber ich habe doch einen Vertrag mit denen gemacht, schriftlich, ich besitze doch eine Kopie und überhaupt ...“, versuchte ich zu widersprechen. Ein paar vorwitzige Schweißperlen machten sich auf den Weg zu meinem Kinn.

Frau Erbacher-Wittefeld wendete sich angewidert ab. „Hören Sie mir mal zu! Ich bin eine erfahrene Buchhändlerin und ich sage Ihnen: So etwas machen die nicht! Ein E-Book ohne Druckfassung – nein, so etwas gibt es da nicht! Das ist schließlich ein großer renommierter Verlag, in München, den kenne ich sehr gut!“

„Aber die haben doch mein Buch, der Verlag und die Lektorin ...“

„Das Logo ist gefälscht! Das habe ich sofort erkannt! Eine Unverschämtheit ist das! Und überhaupt, was heißt hier schon Lektorin? Wie soll die denn heißen, diese Lektorin?"

„Äh, die heißt Mariendorf ... also, Anna Mariendorf*.“

„Das notiere ich mir aber. Auf jeden Fall. Anne-Maria Torf. Ha! Eine Lektorin, was ...? Gibt´s doch gar nicht! Und nehmen Sie gefälligst Ihre Zettel wieder mit, ein Schwindel ist das! So geht das ja nicht! Guten Tag und auf Wiedersehen!“

Mit hängenden Schultern schlurfte ich zur Tür hinaus. In meinem Rücken glaubte ich die Empörung der Verkäuferinnen und Kunden zu spüren, die mir, dem Schwindler, jetzt wohl liebend gerne die preisreduzierten Bücher vom Wühltisch hinterhergeworfen hätten.

Draußen musste ich mich erst einmal setzen. Einfach so, mitten auf den Bordstein vor der Eingangstür. So niedergeschlagen war ich, dass mir die Werbeflyer langsam aus der Hand glitten.

Eine Windböe hob sie auf, ließ sie eine Weile wie Schmetterlinge tanzen und verteilte sie nach und nach in der Umgebung. Ein kleiner Junge, der aus der Bäckerei kam, sammelte einige vom Boden auf. Das Titelbild mit dem fröhlich lachenden und Eis essenden Burschen darauf hatte ihn wohl neugierig gemacht und er packte die bedruckten Blätter in seine Schultasche. Ich stutzte. Dort hinten, vor dem Supermarkt, diese Oma ... hatte sie nicht auch mein Faltblatt in der Hand? Sie überflog den Text und schmunzelte. Dann strich sie den Flyer sorgfältig glatt und verstaute ihn in ihrer Tasche.

Nur der Besitzer der Dönerbude auf der anderen Straßenseite, der gerade etwas Laub zusammenfegte, der warf das Papier achtlos in den Mülleimer ... oder etwa doch nicht? Er zögerte noch und dann? Begann er tatsächlich zu lesen ...

Autor: Ben Weber | www.ben-weber-bochum.de
In: Federwelt, Heft 117, April 2016

 

 

* Der Name wurde vom Autor geändert.