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Der innere Monolog

Federwelt
Nachdenkliche junge Frau als Metapher für inneren Monolog

Welche Aufgabe hat er? Wie gestaltet man ihn realitätsnah? Wie verzahnt man ihn mit dem Dialog? Unsere Autorin Shirley Michaela Seul hat drüber nachgedacht ...

Das ist schon eine Herausforderung, so ein richtig guter innerer Monolog. Zumal er ja oft als Lückenbüßer missverstanden wird. Oder behandelt wird wie ein ungezogenes, lautes Selbstgespräch. – Diese blöde Waschmaschine, dass die immer so stressig piept, wenn sie fertig ist. Naja, sollte dankbar sein. Könnte auch mit der Hand waschen müssen, dann würde ich zu gar nichts kommen, schon gar nicht zu ... ach so, ja, der innere Monolog ...

Der innere – stille – Monolog hat nichts mit einem meist langweiligen – lauten! – Monologisieren gemein!
Ein Monolog ist kein Sumpfgebiet, in dem die Gedanken versickern. Idealerweise treibt er die Handlung voran, eröffnet neue Perspektiven, charakterisiert den Monologisierenden, sorgt für Spannung und/oder schenkt der Leserin die Illusion der Nähe. Auch wenn das Selbstgespräch eine nahe Verwandte des inneren Monologs ist, sollte doch in keinem Buch die Wirklichkeit eins zu eins abgebildet, sondern verdichtet werden.
„Aber wer sagt, dass es die Wirklichkeit überhaupt gibt?“
„Das weiß doch jeder.“
„Vielleicht irrt jeder? Bloß weil alle was glauben, heißt das ja nicht, dass es auch wahr ist.“
„Wahr oder wirklich?“

Eine solche Dialog-Sequenz könnte auch in einen inneren Monolog verpackt werden. Da braucht es keine Anführungszeichen und kein fragte und sagte. Eine Figur denkt so rum, es tritt kein Dialog-Partner auf, der erst umständlich an der Tür klingelt oder gar eine ganze Szene für seinen Besuch benötigt: 
Und wenn alles ganz anders gewesen wäre? Wenn das, was ich für wirklich halte, gar nicht wirklich ist? Wenn ich mir das nur einbilde. Ist das dann nicht genauso wahr? Ich könnte doch einfach so tun, als wär gar nichts gewesen, ich könnte doch ...
... könnte eine Figur denken und damit auch etwas über sich selbst preisgeben und, ganz wichtig: dem Text eine neue Richtung weisen. Denn der innere Monolog ist immer auch ein ...

... Blick durchs Schlüsselloch
Was ist intimer als ein Blick in die Gedanken eines anderen Menschen? Wir wüssten alle hin und wieder nur zu gerne, was andere denken. Im inneren Monolog werden wir Zeuge solcher höchst geheimen Unterhaltungen. Das kann uns für die Figuren einnehmen – oder uns empören oder für große Spannung sorgen. Denn das, was wir als Leser mitgelauscht haben, ahnen die anderen Figuren in einem Buch ja nicht. Sie glauben, X wäre ihnen freundlich gesinnt. Aber wir haben es mit eigenen Augen gelesen, dass X sich über Z lustig macht ... oder sie gar zu töten beabsichtigt:
Wenn sie wüsste, was ich mit ihr vorhabe. Ach, wie ich mich auf den Moment freue, wenn ich ihr den Dolch ... oder nehme ich lieber ein Messer ... ob das Blau ihrer Augen milchig eintrübt, wenn ich sie dann ausbluten lasse ...
Der innere Monolog schafft Nähe zu einer Figur, ob wir diese nun mögen oder nicht. Aber er darf nicht langweilen.

Die Regie im inneren Monolog
Der innere Monolog spricht nicht. Also nicht laut. Er denkt. Und er fühlt. Ein komisches Wesen, dieser Monolog. Vor allem mono. Ich persönlich habe ihn nicht selten stereo und surround und mit Echo. Deshalb lese ich Bücher, in denen Figuren ständig dasselbe denken, nicht so gern – außer es gehört zu ihrer Charakterisierung. Doch manchmal wirkt ein Text, als hätte die Autorin, der Autor, die Regie abgegeben. Der innere Monolog ist nicht bewusst gesetzt, sondern irgendwie passiert. Darauf sollten wir achten. Lieber alles in einem extra Korrekturdurchgang noch einmal überprüfen, als schlampig zu arbeiten.

Der innere Monolog ist keine Rechtfertigung
Oft wird ein innerer Monolog eingesetzt, um ein bestimmtes Verhalten einer Figur zu rechtfertigen. Dazu genügt der innere Monolog allein nicht. Das Verhalten einer Figur muss in ihrem Gesamtauftritt überzeugen. Auch Unsicherheiten von Autoren finden sich häufig in Monologen. Da möchte zum Beispiel eine Hobbyermittlerin eine verdächtige Person befragen. Anstatt nun einfach damit anzufangen, wird drei Absätze lang monologisiert: 
Darf ich denn das überhaupt, so als Privatperson, einfach jemanden befragen, was mach ich, wenn sie meinen Ausweis sehen will, und was ist, wenn sie mich zum Beispiel fotografiert, soll ich dann wegrennen oder sage ich einfach, ich komme von den Stadtwerken, nein, das ist blöd. Vielleicht lieber Journalistin? Aber wofür schreibe ich und was soll ich fragen?
Wenn ein solcher innerer Monolog nicht wirklich witzig ist oder noch eine andere Funktion hat, sollte man ihn lieber weglassen und der Fährte seiner Story folgen. Oder den inneren Monolog extrem kürzen: Wird schon gutgehen!

Mit Vorsicht zu genießen: innere Monologe von Psychopathen
Viele Krimis der letzten Jahre beginnen mit einem Kursivtext, in dem ein vermeintlich psychopathischer Mörder Leserin oder Leser einen Blick in seine verstörende Gedankenwelt gestattet. Ich selbst habe einen meiner Kriminalromane so begonnen:
Es gibt wunderschöne Folterinstrumente. Was ja schon im Wort steckt. Das Instrument bringt den Körper zum Klingen. Man kann Erstaunliches mit ihnen erschaffen. Nicht nur handwerklich, auch künstlerisch. Folter ist ein ästhetisches Balancieren auf dem Rückgrat, wie es alle wirklich großen Kunstwerke vollbringen. Gerade die kleinen Fingerknöchelchen sind sehr empfindlich, und der Schaden, der dort angerichtet werden kann, ist beeindruckend. Was einmal zu Mehl zerrieben, wächst nicht mehr nach. (In: Musikantenknochen)
Doch nicht jeder Mord kann mit einem irgendwie verrückten Monolog erklärt werden – der innere Monolog muss durch weitere Charaktermerkmale einer Figur gestützt sein. Einen „normalen“ Menschen einfach hin und wieder krude monologisieren zu lassen, macht noch keinen glaubwürdigen Serientäter!

Was unterscheidet den inneren Monolog vom Dialog?
Die Anzahl der Personen ist das eine, wobei manche innere Monologe damit spielen, dass es gleich mehrere Stimmen gibt.
Ein geschriebener Monolog sollte nach denselben Gesetzmäßigkeiten funktionieren wie der Dialog. Es werden also nicht einfach Wörter verschlissen, damit man Zeilen füllt. Das Ziel, wohin der Monolog führt, sollte der Autorin, dem Autor allgegenwärtig sein. Sonst verliert er seine Existenzberechtigung. Der innere Monolog kann zum Beispiel zu einem Geistesblitz führen – eine Figur ändert ihr Verhalten. Man kann sich auch in ein Jammertal hineinmonologisieren. Oder eine Entscheidung abwägen, Pläne für die Zukunft schmieden oder sich so richtig runterziehen, indem man sich Vorwürfe macht: Warum hab ich nur ... Die Art des inneren Monologs erzählt viel über die Figur. Ist sie aufrichtig mit sich selbst? Bemüht sie sich, ein guter Mensch zu sein? Hat sie heimtückische Absichten? Setzt sie in ihren Gedanken ständig andere herab?

Der innere Monolog ergänzt den Dialog
Höchst vergnüglich sind Passagen zu lesen, in denen ein innerer Monolog das Gegenteil dessen ausdrückt, was die Figur im Dialog von sich gibt.
„Ich habe alle deine Bücher verschlungen! Ich liebe die Art, wie du schreibst“, sagte ich.
Sie riss die Augen auf. „Ach, das ist lieb! Welches hat dir denn am besten gefallen?“
„Ich liebe sie alle“, beteuerte ich seufzend, während ich überlegte, ob ich
Liebe am Meer oder Betrug in den Bergen sagen sollte, irgend so was Ähnliches hatte sie bestimmt in ihrem Kitsch- und Schund-Oeuvre verbrochen. Und da sie die Tinte nicht halten konnte, war anzunehmen, dass sie selbst nicht mehr wusste, was sie alles abgesondert hatte.

Machart
Der innere Monolog findet immer in der Gegenwart statt. Dabei kann er durchaus Themen aus der Vergangenheit behandeln. Hätte ich doch nur ...
Wir denken in der Regel in kurzen, einfachen Sätzen, oft sogar nur in einzelnen Begriffen, nicht so kompliziert, wie wir manchmal sprechen. Ein glaubwürdiger innerer Monolog verzichtet auf Schachtelsätze und andere Verkünstelungen. Wer sich selbst einmal beim Denken belauscht, wird feststellen: Da wird geflucht, geächzt, komische Worte werden wiederholt. Die kurzen Sätze werden in Alltagssprache formuliert, oft wird von einem Gedanken zum nächsten gesprungen. Eine Figur denkt nicht anders als sie spricht. Das heißt, jemand, der durch eine sachliche Art zu sprechen bereits in der wörtlichen Rede charakterisiert ist, wird nun nicht plötzlich blumige innere Monologe führen. Nur wenn alle Eigenschaften stimmen, ist eine Figur überzeugend. So darf, ja muss ein innerer Monolog manchmal die Regeln brechen, aber dann eben bewusst.
Und Vorsicht: Bei der Konstruktion einer Figur sind Abweichungen vom Holzbrettschnitt einzubauen, sonst mag zwar alles übereinstimmen, doch man hat keine Figur zum Leben erweckt, sondern ein Klischee kopiert.

Wie der innere Monolog etwas über eine Figur verraten kann
Angenommen meine Figur ist eine Frau, die an ihrem Schreibtisch sitzt und einen Artikel über innere Monologe verfassen soll, dabei aber ständig abdriftet – sie hört die Waschmaschine, sie holt sich etwas zu trinken, sie überlegt, dass sie mal wieder Fenster putzen könnte und so weiter –, verrate ich damit, dass sie an Konzentrationsproblemen leidet.

Der innere Monolog als Kamera
Geschmeidig lässt sich im inneren Monolog auch eine Begebenheit erzählen: Das glaub ich jetzt nicht! Was macht der mit dem Benzinkanister? Das gibt’s doch nicht. Um Gottes Willen! Wieso schüttet er jetzt das Benzin über den Kinderwagen?
Bei einer solchen Gedankenfolge darf man ruhig ein wenig begriffsstutzig sein, das ist nur realistisch, da wir auf solche Ereignisse verzögert reagieren.

Ruck, zuck
Ein Dialog kann nicht einfach so im Raum, sprich Text stehen. Die Sprecher müssen vorgestellt werden, es gibt eine Situation, in der sie sich treffen und dieses Gespräch führen. Das alles birgt die Gefahr der Langatmigkeit. Der innere Monolog erledigt so etwas ruck, zuck. Er benötigt keine Einleitung, niemand muss fragen „Möchtest du was trinken?“, da er keine Nahrung zu sich nimmt, allein von Luft und Buchstaben lebt, er trägt auch keine Klamotten oder hat Mimik. Er ist pur und nackt und ruckzuck auf dem Punkt. Und dann sollte man auch mal einen Punkt machen.
Einer der berühmtesten Monologe der Literatur wird von Molly Bloom gehalten, einer Figur von James Joyce aus Ulysses. Sie monologisiert schier ohne Luft zu holen. Manche sind davon begeistert, andere gelangweilt. Und manche sagen, das sei gar kein Monolog, sondern ein Bewusstseinsstrom: ein stream of consciousness.
Soll ich das jetzt auch noch erklären? Nein, das würde wahrscheinlich den Rahmen sprengen. Überhaupt habe ich das Buch nie gemocht. Es gibt halt solche Klassiker der Weltliteratur, deren Bedeutung sich mir nicht erschließt. Aber ich muss ja nicht alles versehen, es gibt auch welche, die verstehen nicht, warum ich Marcel Proust so schätze. Die beiden, Joyce und Proust, sollen sich ja mal begegnet sein ... Ist das jetzt innerer Monolog, was ich hier mache, oder stream of consciousness oder bin ich im Unterzucker?

Fazit: Der innere Monolog ist keine hohe Literatur, wenngleich er genau gearbeitet ist. Wir denken nun mal Kraut und Rüben. Und wir bringen nicht jeden Satz zu Ende. Aber wenn es gelingt, in einem inneren Monolog eine Figur spürbar werden zu lassen in ihren Ängsten, ihren Fragen, ihrer Freude, ihrem ganzen Sein, ihrer Entwicklung, dann sind wir dicht bei ihr. Und vielleicht sogar berührt von dieser Nähe zu einer fremden Gedankenwelt, die uns genau so viel verrät, wie wir interpretieren können.
Jetzt piepst die Waschmaschine schon wieder! Wo hab ich eigentlich die Gebrauchsanweisung? Das muss man doch irgendwo abstellen können ...

Autorin: Shirley Michaela Seul | www.Shirley-Michaela-Seul.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 137, August 2019
Blogbild: Autri Taheri auf Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 137, August 2019: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-42019
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