
Corona ist allgegenwärtig. Seit einigen Monaten gibt es Lockerungen der Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen. Trotzdem: Veranstaltungen mit unbegrenzt vielen Gästen sind weiterhin untersagt und beim Einkaufen muss man noch Maske tragen und Abstand wahren. Wäre doch naheliegend, dass sich dieser Zustand auch in Romanen, die im Hier und Jetzt spielen, niederschlägt. Vielleicht so?
„Felix stieg aus und ging auf den Unterstand mit den Einkaufswagen zu. Dann verdrehte er die Augen, kehrte um, öffnete die Autotür und anschließend das Handschuhfach. Plötzlich Stimmen. Er zuckte zusammen, schaute sich hektisch um, aber die Leute waren zu weit entfernt, als dass sie den Revolver hätten sehen können. Er schob ihn beiseite und nahm den Mund- und Nasenschutz aus dem Fach.“
Oder sollte man doch lieber ganz darauf verzichten? Das habe ich Akteurinnen und Akteuren der Buchbranche gefragt.
Corona im Roman? – Wie die Verlage darüber denken
Auch manchen Verlagen verursacht die Pandemie Kopfzerbrechen. Da niemand weiß, wie sie sich weiterhin entwickelt, ist man sich bei Piper ob des weiteren Vorgehens unsicher. Zwar gebe es keine Verbote für die Autor*innen, über Corona und die Zeit des Lockdowns zu schreiben, sagt Andrea Müller, Programmleitung Unterhaltung.
„Aber wir fragen uns gemeinsam mit unseren Autoren schon, ob Ende 2021 – und wir sind planerisch bereits im Herbst 2021 beziehungsweise Frühjahr 2022 – und darüber hinaus Corona als Thema Leser nicht vielleicht eher abschreckt.“ Entweder könne die Bedrohung noch zu nah sein oder das Thema langweilen, weil es zu abgegriffen oder zu lange her sei. Doch dann bezieht Müller Stellung. „In Romanen, die klaren Gegenwartsbezug haben, wird sich die Erwähnung der Pandemie aber kaum vermeiden lassen – sie ist schließlich ein prägendes Ereignis unserer Zeit.“
„Tatsächlich erreicht uns diese Frage inzwischen auch vereinzelt aus dem Kreise unserer Autorinnen und Autoren, die just in diesem Moment mitten in der Arbeit an einem neuen Roman stecken oder diesen gerade abliefern“, berichtet Marco Schneiders, Verlagsleiter Programm bei Bastei Lübbe. Ein zeitgenössischer Roman solle zwar immer auch Teile der Lebenswirklichkeit abbilden. Trotzdem betont er: „Wir raten momentan dazu, Corona NICHT zu erwähnen oder gar zum Thema oder Nebenthema eines ganzen Romans zu machen.“ Der Grund: Leserinnen und Leser von Unterhaltungsromanen, wie sie bei Bastei Lübbe erschienen, erwarteten von der Lektüre gerade eine Rückzugsmöglichkeit aus der Wirklichkeit. „Und die schnöde, teils deprimierende Corona-Realität ist nicht dazu angetan, diesem Wunsch zu entsprechen.“ Als eine virenbedingte Ausnahmesituation gehöre die Pandemie in die Tagespresse und nicht in eine Geschichte, die man auch in fünf oder zehn Jahren noch gerne lesen wolle.
So eindeutig formuliert es Claudia Senghaas, Programmleiterin bei Gmeiner, nicht. Beides hat ihr zufolge seine Berechtigung: die Flucht vor Corona in die Welt des Romans, aber auch die Abbildung der Wirklichkeit darin. „Wird Corona mit angesprochen, könnten die Leserinnen und Leser auch Hilfe oder Kraft aus der einen oder anderen beschriebenen Situation ziehen“, meint sie. Denkbar sei zum Beispiel eine Szene in einem Krimi, in der der Ermittler einen Verdächtigen mit Mundschutz befragt oder mit dem entsprechenden Abstand. „Gerade bei Krimis ist man immer um Glaubwürdigkeit bemüht. Wir als Verlag machen es jedoch nicht zur Voraussetzung, dass Corona in irgendeiner Art und Weise in zeitgenössischer Belletristik auftaucht.“
Tatsächlich bekam Gmeiner schon etliche Corona-Krimis angeboten. Keiner davon hat bislang Eingang ins Verlagsprogramm gefunden, „weil ja nicht nur das Thema überzeugen muss, sondern auch Sprache, Stil und die Serienfiguren“, betont Senghaas. Dann offenbart sie: „Geplant ist aber momentan, dass wir eventuell noch in 2021 einen Thriller dazu veröffentlichen.“
Corona im Roman? – Was Autor*innen dazu sagen
„Meinen nächsten Roman wird Heyne im März 2021 herausbringen. Es wird ein Thriller sein, der einige gesellschaftliche Probleme anreißt, Corona ist nicht darunter“, sagt Krimiautor Horst Eckert. Sollte die Pandemie nicht zumindest im Hintergrund eine Rolle spielen? „Ich habe mich dagegen entschieden, denn ich bin ein hoffnungsloser Optimist.“ Vielleicht gebe es bis zum Veröffentlichungstermin einen Impfstoff oder ein Medikament. Und wenn nicht? „Nichts gegen einen guten Pandemie-Thriller“, stellt Eckert klar. „Aber um zeitlos zu sein, sollte der Erreger darin besser namenlos und furchterregend bleiben.“
Oliver Pötzsch schreibt historische Romane. Und doch ist er auch in literarischer Hinsicht von der Pandemie unmittelbar betroffen. Denn sein aktueller Roman Die Henkerstochter und der Fluch der Pest, erschienen im Mai 2020, hat durch Corona einen Verkaufsschub erfahren. Dem Autor ist es aber wichtig hervorzuheben: „Ich habe erst das Buch geschrieben, und dann kam Corona. Ich habe sogar darauf gedrängt, dass es früher als ursprünglich geplant im September erscheint, denn ich wollte Corona nicht für meinen Bucherfolg nutzen.“ Das Nachwort habe er entsprechend umgeschrieben. Pötzsch rät davon ab, in einem Roman, der nicht Corona zum Thema hat, etwa in einem Liebesroman, Corona zu erwähnen. „Ich will ja, dass mein Buch auch in drei Jahren noch gelesen wird und dann ist Corona schon längst vorbei.“
Petra Schier schreibt ebenfalls historische Romane, aber auch Liebesromane und Kinderbücher. Sie meint, man müsse die Erwähnungsfrage je nach Genre entscheiden. Insbesondere seien ihr aber die Vorlieben der Leser*innen wichtig. „Ich habe mich dazu schon mehrfach unter Blogger*innen und Leser*innen umgehört. und der allgemeine Tenor war, dass sie alle lieber nichts von Corona lesen möchten, weil ihnen die Realität vollauf genügt.“
Deshalb lässt Schier ihre aktuellen Romane, die in 2020 und 2021 erscheinen und handeln, in einer Corona-freien „Parallelwelt“ spielen. „Dort gibt es dieses Virus einfach nicht. Auf diese Weise können meine Leser*innen voll und ganz ein eine ‚heile Welt‘ eintauchen, in der es zwar auch viele Übel geben kann, nicht aber dieses aktuelle.“
Corona im Roman? – Die Blogger*innenszene
„Die Literatur ist für mich eine wichtige Möglichkeit, diesem Corona-bedingten einengenden Alltag für eine begrenzte Zeit zu entkommen“, erzählt mir Buchblogger Uwe Kalkowski. „Zumindest momentan würde ich einen großen Bogen um Bücher machen, in denen Corona als aktuelles Geschehen thematisiert wird.“ Selbst auf die kurze Erwähnung in einem Nebensatz könne er „gut verzichten“.
Constanze Matthes sieht es nicht so streng. „Eine Autorin kann Corona in ihren Roman einbeziehen, muss es aber nicht.“ Der Verfasser sollte immer die Freiheit haben, das Geschehen seines Werkes inhaltlich wie stilistisch so zu gestalten, wie es ihm beliebe. „Ich würde deshalb einen Gegenwartsroman nicht als unvollständig bezeichnen wollen, der die derzeitige Lage mit all ihren Erscheinungen nicht einbezieht.“
Und Barbara Busch schlägt sich ganz auf die Seite der Erwähnungs-Befürworter – allerdings mit einer Einschränkung. „Es macht einen großen Unterschied, ob wir von Büchern für Kinder oder für Erwachsene sprechen“, sagt sie. Kinderbücher seien oft nicht in einem bestimmten Jahr verortet. „Dann sollte man Corona außen vor lassen.“ Spiele ein Kinderroman doch mal explizit in 2020, solle man das Thema erwähnen, es aber ausführlicher erklären als für Erwachsene.
Bei Belletristik für Erwachsene gelte hingegen: „Wenn sich ein Buch 2020 zuordnen lässt, muss es erwähnt werden.“ Die Betonung legt sie dabei auf das Wort „erwähnen“, mehr sei nicht nötig. Wer das Buch lese, wisse dann, was gemeint sei. Aber: „Als Autorin dürfte ich beispielsweise nicht ohne Weiteres von einer Reise nach China erzählen, die 2020 stattfindet“, stellt Busch klar. Der Roman müsse schließlich realistisch sein.
Corona im Roman? – Agentinnen blicken auf Kinder- und Jugendbücher
„Ein Kinder- oder Jugendbuch, dessen erklärtes Ziel es ist, Gegenwärtiges realistisch abzubilden, darf aus meiner Sicht auf jeden Fall Corona erwähnen“, sagt die auf diesen Bereich spezialisierte Literaturagentin Barbara Küper. Schließlich nehme die Pandemie erheblichen Einfluss auch auf das Leben von Kindern und Jugendlichen. Es sei „kaum möglich“, das Thema zu umgehen. Es müsse aber nicht zum zentralen Motiv werden. Allerdings liefen Verlage dann Gefahr, dass sie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung „veraltete Momentaufnahmen“ in den aktuellen Büchern hätten. Alternativ könnten Autor*innen die Pandemie außen vor lassen, jedoch „der Grunderfahrung literarischen Raum geben“: dass man wegen eines bestimmten Geschehens in irgendeiner Weise beeinträchtigt sei, etwa dass man nicht in die Schule gehen oder in den Urlaub fahren könne.
Alexandra Legath, in der Literarischen Agentur Silke Weniger zuständig für Kinder- und Jugendbücher, dagegen erklärt: „Wir meinen, im Kinderbuch bis zehn Jahre sollte Corona nicht explizit thematisiert werden.“ Und wenn ein Kinderbuch das Thema behandle, dann bitte nur allgemein im Sinne von ansteckenden Krankheiten. Im Jugendbuch allerdings sieht das Legath zufolge anders aus. „Das Thema wird uns noch eine Weile begleiten und Jugendliche sind gefordert, sich damit auseinanderzusetzen.“
Corona im Roman? – Die Sicht von Buchhändler*innen
Manfred Keiper, Inhaber der „andere buchhandlung“ in Rostock, sieht „Corona“ als „Erklärungsbegriff“, der einen bestimmten Zeitgeist ausdrückt. Zu den „Zeitgeistbegriffen“ zählt Keiper auch bekannte Marken- oder Firmennamen. Aber vielleicht brauche jemand in zehn Jahren ein Glossar, um zu verstehen, was mit so einer „kurzlebigen Zeitgeistliteratur“ gemeint sei. „Für mich ist das ein Ausdruck von Einfallslosigkeit oder Oberflächlichkeit“, so der Buchhändler. Um die mit Corona verbunden Gefühle in einem Roman zu transportieren, sei es nicht notwendig, den Begriff zu verwenden. „Ich muss beispielsweise im Text eine Atmosphäre der Angst erzeugen, da ist es egal, ob es die vor Covid-19, Malaria oder dem Dengue-Fieber ist. Und wenn es um Hoffnung geht, muss ich ein Gefühl von Optimismus in einer hoffnungslosen Lage gestalten.“
Alexandra Herrmann, Filialleiterin von Thalia Gießen, antwortet auf die „Corona-erwähnen-oder-nicht?“-Frage: „Das kommt immer auf das Thema und den Hintergrund an.“ Beruhe eine aktuelle Geschichte auf Tagesgeschehen, sei es notwendig, Corona zu erwähnen. Falle diese Aktualität weg, eher nicht.
Und jetzt?
Eine allgemeingültige Antwort auf die eingangs gestellte Frage gibt es nicht. Zu unwägbar ist, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Zu unvorstellbar scheint außerdem, dass der Gebrauch von Mund- und Nasenschutz einmal so alltäglich wird wie das Abschließen der Wohnungstür. Und bei allem geht es auch um die Frage, wie viel „schnöde Corona-Realität“ ein Autor seinen Leser*innen zumutet.
Und so kommt es – zumindest vorerst – auf den jeweiligen Plot, die jeweilige Zielgruppe und natürlich den jeweiligen Verlag an, inwieweit man die Pandemie erwähnt oder nicht.
Linktipps
- www.horsteckert.de
- http://oliver-poetzsch.de
- www.petra-schier.de
- https://kaffeehaussitzer.de (Blogger Uwe Kalkowski)
- https://zeichenundzeiten.com (Bloggerin Constanze Matthes)
- https://mit-büchern-um-die-welt.de (Bloggerin Barbara Busch)
- www.barbara-kueper.de (Agentin Barbara Küper)
- www.litag.de (Literarische Agentur Silke Weniger)
Autorin: Petra Zeichner | www.petra-zeichner.de | www.pz-komm.de
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 144, Oktober 2020
Blogbild: Carola Vogt
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- umbreit: https://umbreit.e-bookshelf.de/federwelt-144-05-2020-oktober-2020-14476881.html
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