Auch wenn ich mir Zahlen nicht gut merken kann: Auf meinem Konto manifestiert sich das Gefühl, dass ich noch vor ein paar Jahren weniger Romane im Jahr geschrieben, aber mehr Exemplare verkauft habe, keine nennenswerten Rückläufer hatte und insgesamt besser verdiente. Geht es anderen Autorinnen und Autoren auch so?
Ich habe mich umgehört, auch meinen Agenten und eine Pressereferentin um ihre Eindrücke gebeten. Verständlicherweise wollte kaum eineR von ihnen namentlich genannt werden, hier die erhellenden Antworten:
• Eine Autorin: Mal ein paar reelle Zahlen gefällig? Erhielt ich früher 30.000 Euro Vorschuss für einen neuen Roman, bin ich heute froh, wenn ich 15.000 bekomme. Ich schreibe schneller, habe diverse Pseudonyme. Statt einem Jahr brauche ich nur noch sechs Monate, um einen Roman von 400 Seiten fertigzustellen. Für manche Genres auch nur drei. Geht auch, aber besser werden die Bücher dadurch nicht.
• Eine Autorin: Die Ideen für die Pressearbeit muss man inzwischen selbst liefern und am besten auch noch 80.000 Follower in den sozialen Netzwerken. Da könnte man eigentlich auch gleich Selfpublisher werden.
• Ein Autor: Vor ein paar Jahren bekam ich bei jedem Buch extra entworfene Plakate und sogar Postkarten für den Buchhandel. Heute kann ich froh sein, wenn der Verlag mich bei Amazon richtig reinstellt.
• Eine Autorin: Ein Knaller sind auch die Honorarangebote. Die sind zunächst so niedrig angesetzt, dass man sie mit Hilfe einer Agentur häufig problemlos mehr als verdreifachen kann. Aber was für eine Einstellung steckt hinter solchen Dumping-Angeboten? Will man sehen, wie verzweifelt eine Autorin, ein Autor ist? Oder kriegen die Verlagsmitarbeiter neuerdings Prämien, wenn sie mit ihren Hungerlöhnen durchkommen?
• Corinna Schindler, Pressereferentin Verlagsbereich: Wenn ich vor 25 Jahren ein Thema den Medien angeboten habe, wusste ich ziemlich genau, wer es nehmen wird, wer es größer, wer kleiner und wer gar nicht publiziert. Ich lag meistens richtig. Heute gilt das nicht mehr. Einerseits suchen Medien stets nach News, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Andererseits schließen sich Redaktionen in Netzwerken zusammen und in großen Verlagen werden Redaktionspools für Themenschwerpunkte wie Gesundheit gegründet. Mit Artikeln oder Interviews bestücken diese dann meist alle für das Produkt relevanten Medien des Hauses. Also – einheitliche, umfassende Vermarktung einer Geschichte. Habe ich diese Geschichte den Medien vorgeschlagen, ist das natürlich toll. Wenn nicht, ist der Platz durch diese Geschichte in vielen Medien belegt und ich kann nicht punkten. Auch nicht mit einer tollen anderen Geschichte. Zudem teilen sich heute Buch-, Musik-, Film- und DVD-Tipps den besonders im Printbereich knapp bemessenen Platz. Und klar, bei über 70.000 Neuerscheinungen jährlich in Deutschland kann medial nur ein Bruchteil stattfinden. Eines aber geht im Großen und Ganzen immer: Promis.
• Eine Autorin: Auf Leserunden habe ich im Gegensatz zu früher keine große Lust mehr. Die Leser dort sind zum Teil geradezu unverschämt geworden und die meisten interessieren sich gar nicht für eine Diskussion. Sie leiern nur den Inhalt des jeweiligen Abschnitts runter. Und ich glaube auch nicht mehr an den Werbeeffekt solcher Aktionen. Diejenigen, die das Buch nicht kriegen, kaufen es sich nicht, sondern versuchen es bei einer anderen Leserunde.
• Beate Rygiert, Autorin: Früher war mehr Lametta? Kann ich so nicht unterschreiben. Bin seit 20 Jahren auf dem „Markt“. Früher wurde man, wenn man Glück hatte, mehr hofiert, beziehungsweise man bekam mehr das Gefühl vermittelt, wichtig zu sein. De facto hat die Verlagswelt lange im Dornröschenschlaf verbracht und Wichtiges versäumt. Unter anderem die breite Leserschaft verloren oder nie gewonnen. Der Verleger eines großen Verlags hat vor Jahren sinngemäß geäußert, wenn er von einem Hardcover 2000 Bücher verkauft, ist das für ihn gut. Ich finde: Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das aber unklug. Vor allem für den Autor. Irgendwann hatten sie alle diese „bösen“ :-) Unternehmensberater im Haus und das Erwachen war noch böser. Für mich ist Schreiben nicht mit Lametta und Glamour verbunden. Das war es in Deutschland seit Ingeborg Bachmann sowieso nie.
• Bastian Schlück, Literarische Agentur Thomas Schlück: Der Buchmarkt scheint eigentlich seit meinem Einstieg in die Branche voller Gefahren für die Autorinnen und Autoren zu sein: Zuerst waren es die ach so dominanten Verlagsriesen, dann der seine Macht ausspielende stationäre Handel, dann kam die große Gefahr Amazon und nun gehen dem Markt durch ein mannigfaltiges Alternativangebot an Entertainment die Leser verloren. Weltuntergangstimmung ist aus meiner Sicht immer Teil des Geschäfts gewesen und das mag vielleicht auch ein Trost sein, wenn man diesen Markt heutzutage erobern will: Mühsam war es schon damals, nur kann man heutzutage das Internet zur Eigen-PR nutzen – oder zumindest, um darin mit anderen sein Leid zu teilen.
• Eine Autorin: Verlage suchen keine Texte, sie suchen AutorInnen. Das bedeutete früher, dass man eine erfolgreiche Zusammenarbeit etablieren und noch bessere Texte entwickeln wollte. Heute suchen große Publikumsverlage nach Autorenpersönlichkeiten, die sich vier, fünf Jahre lang gut vermarkten lassen, um sie dann durch „Frischware“ auszutauschen. Die Geschichten schreibt man notfalls eben selbst.
• Ein Autor: Ich habe das Gefühl, dass sich im Gegensatz zu früher zu viel an den Leser angebiedert wird. Da geht das Besondere verloren.
• Eine Autorin: Früher war … waren mehr echt fähige Lektorinnen! Ich verplempere seit einigen Büchern (falls ich in dieser Zeitrechnung reden darf) wertvolle Zeit darauf, den Lektoren zu beweisen, dass ich korrektes Deutsch verwendet habe. Es ist geradezu hanebüchen, was sie mir in den letzten paar Liebesromanen an Stilblüten und an formal schlicht falschen Sachen in die Texte lektoriert haben. Da wird mir ganz wehmütig, wenn ich an die kritischen, aber korrekten Lektorate meiner früheren Bücher zurückdenke.
• Eine Autorin: Hardcover sind tot. Wurden 2011 noch 15.000 Exemplare von meinem Roman abgesetzt (ohne Rückläufer!), sind es heute im Schnitt nur noch 3.000. Danach soll das Taschenbuch alles rausreißen, für das dann aber nicht mehr viel Werbung gemacht wird. Sprich gar keine.
• Eine Autorin: Ich werde nicht einmal informiert, wenn Erscheinungstermine verschoben werden und falle beim Anblick der Vorschau in Ohnmacht. (Okay, das war früher auch schon so.) Mittlerweile muss ich als gestandene Autorin bei meinem Hausverlag nicht nur Exposés, sondern ausschweifende Konzepte einreichen. Inklusive Fotos, damit die gestressten Lektorinnen und Lektoren sich etwas vorstellen können, die haben nämlich laut meiner Agentur keine Zeit mehr zum Lesen. (Was machen die denn dann?)
Auf meine vorsichtige Anfrage, was der Verlag denn für mein kommendes Buch, eine Klappenbroschur, tun wird, um es zu unterstützen, wand sich die Frau, die ich am Telefon hatte, so sehr, dass sie mir schon fast leid tat. Nicht mal mehr die Feigenblattaktionen, die mir vor zwei Jahren noch als tolle Maßnahme verkauft worden waren, wurden angedacht, also Leserunden, E-Book-Prequel oder Vorablesen. – Stattdessen: „Wir machen Ihnen einen schönen Pressetext!“ Den habe ich als Redakteurin beim Fernsehen schon vor 20 Jahren in Ablage P aufgehoben.
• Eine Autorin: Ich habe das Gefühl, dass viel zu viel blinder Aktionismus und eben auch Ausbeute auf mehreren Ebenen stattfindet. Zusätzlich zum Schreiben müssen Autoren unverhältnismäßig viel Social-Media-Arbeit leisten, müssen ihre Bücher in immer kürzerer Zeit schreiben, um überleben zu können. Außenlektoren selbst bei großen Verlagen arbeiten für unter fünf Euro pro Seite und müssen durch den Text rasen, um nicht unter den Mindestlohn zu kommen, Agentur- und Verlagsmitarbeiter müssen Manuskripte in ihrer Freizeit lesen. – Und immer wieder kommt das Argument, dass wir das doch gerne machen, weil wir unseren Job lieben. Typischerweise brennen vor allem die Menschen aus, die vorher mit Leidenschaft gearbeitet haben. Alle aus der Branche sollten zusammen überlegen, wie sie ständig neue Strohfeuer, verzweifelte Autoren, übersatte Leser, teils anmaßende Blogger und die Geiz-ist-geil-Mentalität überwinden. Es braucht auf allen Ebenen mehr Wertschätzung.
Der letzten Meinung kann ich voll und ganz zustimmen. Natürlich kann kein Autor, keine Autorin ständig im Fokus stehen, und es gibt – wie anfangs erwähnt – Leserschwund und Buchabwanderer. Das ist bitter für alle in der Branche. Aber gerade weil das so ist, würde ich mir wünschen, dass man sich gegenseitig besser behandelt und nicht schlechter. Denn das Buch kann Konkurrenz widerstehen, es lebt. Doch wenn wir es nicht bald zu Grabe tragen wollen, müssen wir den Beitrag aller, die an seiner Schaffung beteiligt sind, wieder wertschätzen, zumindest, bis der erste Bestseller von künstlicher Intelligenz geschrieben worden ist … Gehen wir es an!