Lässt „europäische Geistesgeschichte“ Sie an Bestseller denken? Nein? Dann haben Sie noch kein Buch von Peter Prange gelesen! Er zeigt große geistesgeschichtliche Ideen und Entwicklungen Europas in spannenden Romanen. Und die sind allesamt Bestseller geworden. Sein Motto: komplizierte Zusammenhänge einfach darstellen, ohne simpel zu werden. Das gilt auch für sein Sachbuch „Werte – Von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet“, das Angela Merkel im Europäischen Parlament zitiert hat. Sogar im Ausland hat der Bestsellerautor sich einen Namen gemacht: Seine Bücher wurden in 24 Sprachen übersetzt, die internationale Gesamtauflage liegt bei 2,5 Millionen Exemplaren. Für die Federwelt gibt Peter Prange Einblick in sein Schreiben.
Federwelt: Herr Dr. Prange, wollten Sie immer schon Autor werden?
Dezidiert NEIN. Als ich anfing zu übersetzen, arbeitete ich sehr nah am Text und merkte, wie viel Unsinn geschrieben wird. Da habe ich mir vorgenommen: lieber gute Bücher übersetzen, als schlechte zu schreiben. Ich dachte, ich hätte nichts mitzuteilen.
Und wie kam es dann doch dazu?
Es gab eine Ursituation: Am 19. August 1989 brachte das heute-journal Bilder der DDR-Bürger, die in Ungarn durch den Zaun gingen. In diesem Moment hatte ich die Idee, den Grundriss zu einer Geschichte, wie ich sie selbst gern gelesen hätte: Die Geschichte des geteilten und wiedervereinten Deutschland am Beispiel einer Familie. Und daraus wurde Das Bernstein-Amulett.
Das Buch wurde bald erfolgreich und sogar verfilmt.
Ganz so schnell ging es nicht. Durch Vermittlung meines Agenten, Roman Hocke, war das ZDF zwar stark an dem Stoff interessiert. Die dachten jedoch eher an eine Dokumentation im Sinne von illustrierter Geschichte. Ich hingegen wollte auf lebendige Weise zeigen, wie diese großen historischen Umwälzungen in das Leben der Menschen hineingewirkt haben, zerstörend für die eigenen Lebenspläne, manchmal aber auch fördernd. Über der Diskrepanz der Vorstellungen platzte das Projekt zunächst. Doch die Idee war einfach nicht kaputt zu kriegen. Und nachdem ich einige Jahre ganz andere Dinge gemacht hatte, passierte es, dass ich in einem Beratungsbuch schrieb: Das Leben ist zu kurz, um es mit Geldverdienen zu verplempern. Man sollte nur Dinge tun, die man mit heißem Herzen tut. Da wurde mir klar, dass ich Wein predigte und selbst Wasser schlürfte. Ich hatte doch eine Idee! Also nahm ich mir ein Jahr Auszeit und schrieb dieses Buch. Und das wurde dann – nicht sofort, aber um ein paar Ecken – sehr erfolgreich, sodass ich seitdem vom Schreiben leben kann.
Wie ging es nach der spontanen Idee zum Bernstein-Amulett weiter?
Die Ursprungsidee war eine Augenblickseingebung. Sie kam, als ich überhaupt nicht damit rechnete. Das geht mir bei allen Büchern so. Danach folgt immer ein Wechselspiel zwischen Recherche und Imagination. Und dann, in der Konkretion, entwickelt sich langsam eine fiktive Geschichte. Die muss ich dann auf ihren realistischen Gehalt hin abklopfen: Hätte sich diese Geschichte so entfalten können, in einer so und so gestalteten historischen Wirklichkeit? Ich schreibe ja nicht in Disney World, das Leben der Protagonisten ist eingebettet in eine historische Realität.
Das erfordert Recherche. Wie und wo recherchieren Sie? Fahren Sie an die Handlungsorte Ihrer Romane?
Ja, klar, ich fahre an die Orte. Aber vor allem recherchiere ich in den guten Bibliotheken Tübingens. Ich kenne in Tübingen inzwischen viele Professoren und werde für spezielle Fragen von einem zum anderen weitergereicht. In den Danksagungen meiner Bücher ist immer die halbe Universität aufgeführt.
Geht bei so intensiver Recherche nicht die Inspiration durch die zündende Idee verloren?
Die wichtigste Recherche findet in mir selbst statt. Im Dunkel meiner Seele muss ich Korrespondenzen der Figuren mit mir selbst finden. Auch bei historischen Personen muss etwas in mir mitklingen. Sonst kann ich mich zu Tode recherchieren, dann bleiben das Pappkameraden. Durch äußere Ereignisse zündet etwas in mir, aber die Sache muss auch mit mir selbst zu tun haben.
Und wie gehen Sie um mit dem Verhältnis Historie – Fiktion? Sicher müssen Sie manches erfinden.
Das Entscheidende muss ich erfinden! Was ich recherchiere und versuche, so detailgetreu wie möglich wiederzugeben, sind historische Gegebenheiten. Aber was historische Persönlichkeiten dachten, fühlten oder wonach sie sich sehnten, ist ja meist nicht überliefert. Natürlich muss man erfinden! Aber so, dass es historisch plausibel ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Schlusspointe meines Romans Die Principessa ist folgende: Die Idee zum Bau der Piazza von St. Peter, wurde von Bernini ausgeführt, stammte jedoch ursprünglich von seinem ärgsten Rivalen Borromini. Das ist historisch aller Wahrscheinlichkeit nach falsch. Trotzdem ist es eine Überhöhung der historischen Wirklichkeit insofern, als Bernini tatsächlich viele Ideen von Borromini geklaut hat. Borromini, der Michelangelo der Armen, musste immer mit kleinen Budgets arbeiten und wurde für seine gewagten, oft revolutionären Ideen verlacht. Adaptierte jedoch Bernini eine von Borrominis Ideen, wurde er von Päpsten und Kardinälen gefeiert und fürstlich entlohnt. Insofern ist also diese Geschichtsfälschung eine Verdeutlichung der historischen Wahrheit. Ansonsten gilt, dass ich keine historischen Daten verändere. Und als Serviceleistung für meine Leser ist jedem meiner Bücher hinten ein Kapitel „Dichtung und Wahrheit“ beigefügt. Dort führe ich transparent aus, wie alle in meinem Roman erwähnten Ereignisse nach aktuellem Stand der Forschung dokumentiert sind.
Hat das Historische auch Einfluss auf die Sprache?
Ich arbeite nur mit ganz leichten Anlehnungen an den jeweiligen Geist, zum Beispiel, ob sich die Menschen damals siezten oder ihrzten. Natürlich vermeide ich Modernismen, verwende ab und zu ein vermögen statt können. Aber damit gehe ich behutsam um.
Wie sehr planen Sie?
Es gibt drei große Schritte: zuerst die Idee. Zweitens das Wechselspiel von Recherche und Imagination. Da entwickle ich die Handlung meiner Protagonisten fort, klopfe sie immer wieder auf ihre historische Plausibilität ab. So entsteht langsam ein Konzept. Dieses Grundgerüst ist dramaturgisch gestaltet: Exposition, Wendepunkte, Entwicklungsstufen der Protagonisten, ihre Beziehungen untereinander, bis hin zur Auflösung, alles ist enthalten.
Halten Sie sich an dieses Konzept oder verändert es sich im Laufe des Schreibens?
Es verändert sich. Aber es gibt mir eine gewisse Sicherheit. Meine Romane umfassen 500 Seiten und mehr, Geschichten, die sich über Jahre, Jahrzehnte erstrecken. Da will ich wissen, wo ich ankomme. Im vierten Schritt dann, dem eigentlichen Schreiben, lasse ich mich ganz tief in meine Figuren hineinfallen. Dabei entsteht häufig etwas Irritierendes, Beängstigendes: Ich gerate psychologisch in Kollision zu dem, was ich dramaturgisch entwickelt habe. Das kann meine Figur gar nicht tun, es widerspricht ihr! Dann muss ich mir etwas Neues einfallen lassen aus dem Wesen meiner Figur heraus.
Ändern Sie das Konzept dann ab?
Ja. Es entsteht eine Eigendynamik, die zwar nicht völlig weggeht von dem Konzept, aber andere Wege geht. Bis ich an eine Stelle gelange, wo es wieder so weiterläuft, wie konzipiert. Das ist beim Romanschreiben die größte Kunst überhaupt: die Integration von Dramaturgie und Psychologie.
Schreiben Sie ein Exposé für die Protagonisten?
Ich nenne das ganz altmodisch Dramatis Personae. Im Drehbuchbereich spricht man von Psychogramm. Ich notiere mir Dinge wie äußere Erscheinung, mögliche Ticks, Ängste, Gebrechen, Traumata, damit ich diese Figuren möglichst kenne wie persönliche Bekannte.
Aus welcher Perspektive schreiben Sie?
Ich schreibe multiperspektivisch. Erzähle ein Kapitel immer ganz aus der Sicht einer Person, und zwar der Person, für die jetzt das Entscheidende passiert. Sie ist nicht die treibende Kraft, sondern die, der etwas entgegenwirkt. Ein kleiner Handlungsbogen: Eine Person ist unterwegs, um X zu erreichen, und – bums! – kommt etwas dazwischen. Das, was im Großen passiert, muss auch in jeder kleinen Szene da sein. Jedes Kapitel hat seinen Handlungsbogen. Deshalb schreibe ich immer aus der Perspektive der Figur, für die es am spannendsten ist.
Neben der spannenden Handlung gelingt es Ihnen aber auch in besonderer Weise, den Zeitgeist, das Wesentliche der Epoche zu zeigen.
Ja, aber Spannung und Handlung gehen für mich nur zusammen. Ich hasse es als Leser, wenn ich erst fünf Seiten Beschreibung lese. Ich versuche von Anfang an jede Beschreibung, jede Situation von Lebenswirklichkeit mit einer dramaturgischen Funktion zu verknüpfen. So wird der Leser schnellstmöglich in die Seelenlage der Protagonisten und ihre Zielsetzung geführt. Gleichzeitig deute ich an, auf welche Widerstände die Protagonisten stoßen können, sodass der Leser weiß, was ihn in der Geschichte erwartet.
Spielen Muster wie die Heldenreise für Sie eine Rolle?
Nein. Es ist kein Zufall, wenn es immer drei oder fünf Akte gibt, letztendlich bezieht sich alles auf Aristoteles’ Poetik, und die hat er nicht entwickelt, weil ein Roman oder Drama so gut funktionieren würde, sondern weil diese Gliederung – meine ich – der menschlichen Wahrnehmung entspricht. Wesentlich sind immer vier Fragen:
1. Wer ist der Held?
2. Was ist sein Ziel?
3. Welches Hindernis, stellt sich ihm auf dem Weg zu diesem Ziel entgegen?
4. Wie geht er damit um, damit er trotzdem das Ziel erreicht?
Das gilt für das eigene Leben, für jedes Projekt im Leben, und das gilt auch für Dramaturgie. Damit komme ich blendend hin und brauche keine Heldenreise. So ein Schema kann hilfreich sein, aber auch gefährlich, wenn es nämlich dazu verleitet, nach Schema F zu schreiben. Ich versuche einfach, die Geschichte so spannend wie möglich aufzubauen.
Was macht Ihre Romanfiguren für uns heute noch so interessant?
Na, was sie getan haben! Nehmen Sie Die Rose der Welt: Damals erfolgte der erste Schritt zur freien Forschung und Wissenschaft. Ich stieß – wieder so eine Episode! – bei der Recherche für den Kinderpapst darauf, dass es im Jahr 1229 einen Streik gegeben hatte. Den ersten organisierten Streik überhaupt. Worum ging es? Pariser Magister stritten zwei Jahre für die Unabhängigkeit der Universität von Einflussnahme durch Krone und Kirche. Das war etwas UNGEHEUERLICHES für unsere heutige Kultur! Die heutige demokratische, aufgeklärte Gesellschaft zeichnet sich in allererster Linie dadurch aus, dass die Produktion von Wahrheit unter keinerlei äußeren Einflüssen steht. Dass man Wahrheit um der Wahrheit willen und Erkenntnis um der Erkenntnis willen leisten kann. Das erscheint uns trivial, aber, wenn wir uns umgucken: Vor 70 Jahren wurde in Deutschland arische Wissenschaft betrieben, vor 45 Jahren marxistische Wissenschaft in der DDR. Und wie ist es heute? Nur in sehr, sehr wenigen Ländern ist die Unabhängigkeit der Wissenschaft gewährleistet. Und sind das nicht die Länder, in denen wir uns am wohlsten fühlen? Hat nicht die Abstimmung mit den Füßen gezeigt, wo global der lebenswerteste Raum ist? Dazu gehört wesentlich, dass man forschen und lehren darf ohne Rücksicht auf politische oder religiöse Einflussnahme. Das ist fundamental für unsere heutige Gesellschaft. Wobei dieses Gut heute durch andere Akteure gefährdet ist, durch Einflussnahme der Wirtschaft beispielsweise. Es ist wichtig, die akademische Freiheit zu bewahren. Und um dafür sensibel zu machen, schreibe ich diese Geschichten. Umberto Eco sagte einmal: Was macht das Mittelalter interessant? Es ist die Kindheit unserer eigenen Zivilisation! Als damals die Universitäten entstanden, wurden viele Fragen schon erörtert, die uns zwar in ihrer damaligen Formulierung befremdlich anmuten, aber heute noch ganz aktuell sind.
Zum Beispiel?
Nehmen Sie die Frage, die ich in der Rose der Welt erörtern lasse: Darf man mit Unterrichten und der Verbreitung von Wissen Geld verdienen? Man ging damals davon aus, Wissen kommt von Gott, und was von Gott ausgeht, kann keiner für sich reklamieren und damit Geld verdienen. Heute fordern die Piraten die Abschaffung des Urheberrechts, weil alles, was ein Autor schreibt, ja irgendwie in der Gesellschaft schon da ist. Oder die Frage: Wie geht das glückliche Leben? Schauen Sie sich bei Osiander die Ratgeberecke an! Genau genommen handelt es sich bei jedem meiner Romane um die Entstehung einer großen geisteswissenschaftlichen Idee, die in die Welt kam. Bei Dingen wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – um im 18. Jahrhundert zu bleiben – wissen wir heute gar nicht mehr, was die im existenziellen Sinn bedeuten. Und die Menschen, die diese Ideen durchgesetzt haben – und zwar, indem Sie dafür Kopf und Kragen riskiert haben –, schaue ich unter dem Vergrößerungsglas der historischen Situation an. So mache ich mir selbst und meinen Lesern erneut deutlich, was für eine überragende Bedeutung diese Ideen für uns heutzutage haben. Das, was unser Denken, Empfinden und Wahrnehmen der Welt bis heute beeinflusst. Und diese Aktualität in den alten Geschichten ist es, die mich interessiert, weil sie zeigt, wie wir geworden sind, was wir sind.
Europa ist Ihr Thema, auch in einem Sachbuch, dem viel beachteten Werte – von Plato bis Pop. Alles, was uns verbindet.
Ja, dieses WERTE-Buch zu schreiben war mir vor zehn Jahren existenziell wichtig, und im Grunde ist es nichts anderes als das geistige Gerüst für die Romane.
Sie demonstrieren da am Beispiel von – sehr berührenden! – Texten aus mehr als zwei Jahrtausenden die Entwicklung der europäischen Geistesgeschichte. Eingeführt werden die Kapitel jeweils durch sehr lebensnahe Essays, die uns helfen …
… das in einen Zusammenhang zu bekommen, ja. Ich versuche, mit ganz trivialen Alltagssituationen einen Einstieg zu ermöglichen, und so eine große, zweitausendjährige Geistesgeschichte draus werden zu lassen. Auch da wieder eine Ursprungsidee: Bei einem Interview wurde ich live gefragt, in welcher Zeit und in welchem Land ich als Autor von historischen Romanen am liebsten gelebt hätte. Und ich antwortete spontan: Hier und Jetzt, Beginn des 21. Jahrhunderts, mitten in Europa. Da habe ich mich gefragt: Bin ich wirklich so ein begeisterter Europäer? Ich erkannte: Es ist eigentlich der Lebensstil, so ein European Way of Life. Und diese Idee des europäischen Lebensgefühls habe ich versucht zusammenzutragen. Glücklicherweise haben sich meine Mitautoren, Frank Baasner und Johannes Thiele für dieses Projekt begeistern lassen, und so ist das zustande gekommen.
Europa, das ist momentan ein ganz brisantes politisches Thema. Ist es wichtig für Sie, sich zu politischen Themen zu äußern, zum Beispiel in Beiträgen auf Facebook oder Twitter, vor allem, wenn diese die Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit – speziell auch in Europa – betreffen?
Zu politischen Themen äußere ich mich auf Facebook durchaus. Dazu gehören insbesondere Fragen, die die deutsche und europäische Grundverfasstheit betreffen. Ich glaube, wir sind uns nicht ausreichend bewusst, was für ein unglaubliches Glück es ist, mitten in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben zu dürfen. Bei allen Mängeln, die es in Deutschland und anderen Ländern der EU geben mag – das europäische Projekt ist eine der größten Erfolgsgeschichten aller Zeiten. Es hat uns siebzig Jahre lang ein Leben in Frieden, Wohlstand und Freiheit ermöglicht. Wo hat es das sonst gegeben?
Umso schlimmer, dass die gemeinsamen Werte in Gefahr geraten, verloren zu gehen. Denken wir an die Türkei. Was können Schriftsteller und Journalistinnen tun, um ihre türkischen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen?
„Demokratie ist wie Trambahnfahren“, hat Erdoğan mal gesagt, „wenn man am Ziel ist, steigt man wieder aus.“ Offenbar ist der Zeitpunkt da, dass er sich am Ziel wähnt. Es ist Aufgabe des türkischen Volkes, ihm zu zeigen, dass er sich irrt. Ich habe im Vorlauf zu dem Referendum vom 16. April 2017 gleich mehrere Beiträge in diesem Sinn gepostet, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die von diesem Mann ausgehen. Und um dadurch die türkischen Kollegen und Kolleginnen ein klitzekleines bisschen zu unterstützen, die Kopf und Kragen riskieren, wenn sie sich kritisch über „ihren“ Präsidenten äußern. Doch dabei musste ich feststellen, dass diese Beiträge kaum ein Fünftel so viel Resonanz erzeugen wie Posts mit irgendwelchen kleinen, vollkommen belanglosen Einblicken in mein Privatleben.
Das ist eine interessante Erfahrung, die Sie hier mit Sozialen Netzwerken machen. Wie wichtig sind Facebook und Twitter für Sie?
Es war mein Agent Roman Hocke, der mich irgendwann dazu vergattert hat, die Sozialen Netzwerke zu bedienen. Dabei hat mein Webmaster, Ryan Balthasar, meinen Facebook-Account so geschaltet, dass aus den dortigen Posts automatisch auch Tweets bei Twitter generiert werden. Ob es was nützt? Um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass ich deshalb mehr Bücher verkaufe. Aber Facebook macht mir Spaß. Es ist meine virtuelle Cafeteria, und da die Schriftstellerei eine sehr einsame Tätigkeit ist, bin ich froh, dort einen Ort zu haben, wo ich mit anderen Leuten Pause machen und ein bisschen quatschen kann.
Sie erwähnen Ihren Agenten, Roman Hocke von der Literaturagentur AVA International in München. Wie sind Sie zu dieser Agentur gekommen?
Roman Hocke kam 1981 als junger Lektor nach Stuttgart, um dort die neu gegründete Edition Weitbrecht im K. Thienemanns Verlag zu betreuen. Seitdem kennen wir uns. Ich habe damals als Student Manuskripte für die Edition Weitbrecht begutachtet und Bücher übersetzt. Als Roman Hocke sich 1997 als Agent selbständig gemacht hat, war ich sein erster Autor – und mein Buch Das Bernstein-Amulett war das erste Buch, das er an einen Verlag vermittelt hat.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Ihrer Agentur?
Die AVA erledigt alles für mich, was einen Autor von seiner eigentlichen Tätigkeit abhält: dem Schreiben. Sie schließt Verträge ab, auch mit Auslandsverlagen, kümmert sich um die Möglichkeiten weiterer Lizenzverkäufe, zum Beispiel im Filmbereich, überprüft sämtliche Abrechnungen, stellt Kontakte her und stößt Türen auf. Und sie versucht, in Konfliktsituationen schlichtend einzuwirken. Dafür bin ich AVA einerseits natürlich dankbar, andererseits aber auch nicht. Schließlich freue ich mich über jede Ablenkung bei der Arbeit. Und es gibt kaum etwas Schlimmeres, als ein ganzer Arbeitstag ohne jede Unterbrechung.
Tatsächlich ist Roman Hocke für mich Geburtshelfer, erster Kritiker und Freund zugleich. Die drei Funktionen sind nicht immer voneinander zu unterscheiden. Weshalb es hin und wieder auch mal kracht. Was unterm Strich aber sowohl der Arbeit an den Büchern wie auch unserer Freundschaft nur guttut.
Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Welchen Teil Ihrer Einnahmen machen Auslandslizenzen aus?
Ein viel geringerer, als die meisten glauben. Je weiter eine Buchlizenz sich von der Hauptausgabe entfernt, umso weniger bleibt von den Tantiemen für den Autor übrig, weil ja immer mehr Beteiligte partizipieren: ein zweiter Verleger, ein zweiter Agent, der Übersetzer und so weiter. Auch werden in manchen Auslandsmärkten absurd niedrige Preise für Bücher erzielt. Aus diesem Grund beziehe ich sicher mehr als achtzig oder vielleicht sogar neunzig Prozent meiner Einnahmen aus den deutschen Vermarktungsmöglichkeiten meiner Bücher, obwohl diese im Laufe der Jahre in 24 Sprachen übersetzt wurden.
Organisieren Sie Ihre Lesungen und Lesereisen selbst, oder übernimmt das eine spezielle Leseagentur? Und führen Lesereisen Sie auch ins Ausland?
Lesungen im Ausland sind seltene, aber schöne Ausnahmen. Sie kommen meistens in Verbindung mit internationalen Austauschprogrammen oder Institutionen wie DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, oder dem Goethe-Institut zustande. Meine Lesereisen in Deutschland organisiert Kerstin Seydler, die bei FISCHER Scherz für meine Veranstaltungen zuständig ist. Ich brauche mich da dankenswerter Weise um rein gar nichts zu kümmern.
Sind Lesereisen tatsächlich hilfreich für den Buchverkauf?
Ich glaube, die Bücher, die nach den Lesungen verkauft werden, machen den Kohl nicht wirklich fett. Wichtiger ist, dass man durch die Lesungen ein persönliches Verhältnis zu den Buchhändlern und Buchhändlerinnen gewinnt. Wenn diese sehen, wie sehr man selbst für ein Buch brennt, kann der Funke überspringen – und daraus entwickelt sich manchmal ein langfristiges, dauerhaftes Engagement für den Autor oder die Autorin.
Bei Ihren drei ersten Romanen sprach man von der Weltenbauer Trilogie. Inzwischen sprechen Sie von der Weltenbauer-Dekalogie. Dabei fällt auf, dass Ihre Romane nicht auf eine Epoche festgelegt sind.
Sie haben Recht. Leser und Buchhändler können die Bücher eines Autors leichter einsortieren, wenn es sich dabei zum Beispiel durchweg um Mittelalterromane handelt. Mit meinen Romanen bin ich kreuz und quer durch die Epochen gesprungen. Bis mir eines Tages auffiel, dass diese Springerei kein Zufall war, weil es sich – wie gesagt – immer um geistige Wendepunkte der europäischen Entwicklung handelte, um Ereignisse, die unsere Art zu denken und zu empfinden bis heute revolutioniert haben. Und sie fanden immer an Orten statt, die auch damals Zentren Europas waren: Paris im 18. Jahrhundert, Zeit der Aufklärung. London, Hauptstadt der technischen Revolution und so weiter. Mir ist klargeworden, dass ich im Begriff war, so etwas wie ein geistiges „Europäisches Haus“ zusammenzubauen. Und jetzt habe ich den Mut – den ich am Anfang nie gehabt hätte – zu sagen: Ich schreibe zehn historische Romane über 1000 Jahre europäische Geistesgeschichte.
Und dabei haben Sie außer den Romanen auch das oben erwähnte „Werte“-Buch geschrieben. Macht es für Sie einen großen Unterschied, ob Sie einen Roman oder ein populärwissenschaftliches Buch schreiben?
Mein Anspruch an das Schreiben steht unter einer ganz einfachen Maxime: Komplexe Zusammenhänge einfach darstellen, ohne simpel zu werden. Voraussetzung hierfür ist, das, was ich verstehen möchte, so zu durchdringen, dass ich es am Ende einfach darstellen kann. Dafür brauche ich Zeit. Auch ich verstehe zunächst alles kompliziert und setze es kompliziert um. Einfach sein ist die Kunst. Aber einfach sein, ohne simpel zu werden.
Das klingt nach einem konzentrierten Arbeitsalltag. Wie lange schreiben Sie täglich?
Mein Arbeitsalltag ist sehr diszipliniert. Ich stehe morgens um halb acht auf und um neun sitze ich im Büro. Ich schreibe zuerst einen kleinen Handlungsbogen.
Und wenn ich mein Konzept vorliegen habe, schreibe ich so vier, fünf Seiten täglich, das ist meine Reisegeschwindigkeit. Diese Seiten knöpfe ich mir dann am nächsten Tag als erstes wieder vor.
Vielleicht noch ein Tipp: sich abends nicht leerschreiben, sondern einen kleinen Rest übriglassen! Das erleichtert am nächsten Morgen den Einstieg.
Ist das Ihr abschließender Rat an unsere Autorinnen und Autoren?
Der wäre, nur das zu schreiben, was einem wirklich auf den Nägeln brennt.
Autorin: Theda Schmidt
Erschienen in: Federwelt, Heft 128, Februar 2018
Foto: FISCHER Scherz
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