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Aufgeben oder Gürtel enger schnallen? Über Höhen und Tiefen des Autorenjobs

Federwelt
Janet Clark
Gürtel

Hänge ich meinen Autorenjob an den Nagel? Oder nagle ich lieber noch ein Loch in den Gürtel? Was tun, wenn man nicht weiß, wie es weitergehen soll?

Vor zehn Jahren erlebte ich einen dieser Momente im Leben, in denen man vor Freude im Kreis hüpfen muss: Mein erster Buchvertrag! In einem großen Publikumsverlag!
Es fühlte sich an wie der Beginn von etwas ganz Großem. Klingt vielleicht peinlich – aber, hey, seien wir ehrlich: Hoffen wir ganz tief in unserem Künstler-Ich nicht alle, wenigstens einmal weltverändernde, und, ja, gerne auch bestsellende Literatur zu verfassen? Würden wir uns sonst in großen Scharen freiwillig Arbeitsbedingungen unterwerfen, die in fast jeder anderen Branche zum sofortigen Streik führen würden?
Ich betrat also die große, schillernde Hoffnungsachterbahn namens Buchmarkt.
2011 erschien mein Debüt, wenige Monate später war klar, ich war kein neugeborener Star, sondern eine ältelnde Jung-Autorin, die gerade ihre erste Lektion gelernt hatte: Auf jedes Hoch folgt ein Tief. 

Qualität, Qualiät, Qualität
Also strengte ich mich bei dem nächsten Buch noch mehr an. Schrieb Tag und Nacht, überzeugt, dass nur Qualität sich durchsetzen könne. Schrieb um. Schrieb neu. Schrieb Weihnachten durch – und Neujahr.
Das Buch wurde trotz Marketinglücke ein Renner. Ein Geheimtipp, der sich rasend schnell herumsprach – online. Nach kurzer Zeit war es vergriffen. Es folgten bis zur Messe eine zweite, dritte, vierte Auflage. Bei Amazon raufte es mit den Büchern von Sebastian Fitzek und Arno Strobel um die Top-Ränge bei deutschen Krimis und Thrillern.
Und dann, das Tief: Auf die Messe schaffte es das Buch trotzdem nicht. Online ein Bestseller, war es im stationären Buchhandel kaum sichtbar.
Was mein Durchbruch hätte werden können, verkümmerte zu einem Kratzer an der gläsernen Decke des Erfolgs.

Zweites Standbein aufbauen
Nach zwölf Jahren Abstinenz griff ich wieder zur Zigarette und lernte meine nächste Lektion: Qualität und Talent allein reichen nicht.
Ich etablierte ein zweites Standbein im Jugendbuch. Lernte, dass man Bestseller schreiben und trotzdem auf der Ersatzbank hocken bleiben konnte. Lernte, dass das Personalkarussell im Verlagswessen sich schnell dreht. Dass nach einem Personalwechsel vorherige Zusagen schnell verpuffen können. Dass man dennoch leise treten sollte, denn in der Buchbranche trifft man sich immer zweimal ...
Ich wusste ja nun, Qualität und Talent alleine reichen nicht, also setzte ich Fleiß und Durchhaltevermögen oben drauf.
Ich arbeitete 360 Tage im Jahr, jedes Jahr. Und während ich wie verrückt in meinem kleinen Universum an meinem kleinen Erfolg tippte, veränderte sich die Welt.

Alles ändert sich
Amazon revolutionierte den Markt für Selfpublisher und öffnete die Schleuse für Abertausende günstige bis kostenlose E-Books für seinen Kindle. Ein wichtiger Schritt für sein „Gazellen-Jagd-Projekt“, dem laut proklamierten Siegeszug gegen die Verlage. Parallel wurde das Urheberrecht angegriffen, damit Online-Plattformen noch mehr auf Kosten der Urheberinnen und Urheber verdienen können.
Die digitale Disruption hatte den Buchmarkt erreicht. Jeff Bezos jagte die Verlage so, wie er Amazon ursprünglich nennen wollte: Relentless – Gnadenlos.
Ich trat den Reihen der Buchmarktaktivistinnen bei, warnte vor Preisdumping und dem Werteverfall von Büchern und lernte die nächste Lektion: Qualität, Fleiß, Talent, Durchhaltevermögen? Pah! Das neue Gold hieß Follower.
Eine Lektion, an der ich scheiterte. Nicht zuletzt, weil ich Social Media kritisch gegenüberstehe. Anstatt mich dort zu präsentieren, kämpfte ich lieber für andere. Denn zu kämpfen gab es genug.

Mein Lachen flieht
E-only-Verlage schossen aus dem Boden, angeführt von Amazon etablierten sich Flatrates, die unseren Verdienst noch weiter beschnitten. Der Buchmarkt wurde unübersichtlicher, eine Autorin zu sein reichte nicht mehr aus, man musste zur Marke werden. Die Schere zwischen den Autoren öffnete sich immer mehr. Es gab nun diejenigen, die tunlichst aus jeder Flatrate herausgehalten wurden, deren Bücher mit enormem Marketingaufwand für über zwanzig Euro über den Ladentisch gingen und diejenigen, die direkt nach Erscheinen an die Flatrates verfüttert wurden.
Ich wurde Flatratefüttermaterial.
Und über all dem verlor ich das, was mich mein Leben lang ausmachte: mein Lachen.
Ich war wütend, traurig und müde, wurde depressiv, wurde 50 und weigerte mich, zu feiern. Sollte ich etwa feiern, dass ich dabei war, meinen Traum aufzugeben? Ich wollte nicht länger Spielball in einem unberechenbaren Markt sein und ein Leben führen, das mich körperlich und seelisch zerstörte.

Die Befreiung
Also arbeitete ich die noch bestehenden Verträge ab und stieg nebenbei wieder ins Marketing ein. Es war eine Befreiung. Ich war nicht mehr angewiesen auf einen neuen Vertrag. Ich konnte nein sagen zu schlechteren Konditionen. Ich ließ los.
Tatsächlich konnte ich wieder lachen, jeden Tag ein wenig mehr. Ich gewann meinen Optimismus zurück und meine Unbeschwertheit. Und genau da, mit sicherem Abstand und all der Erfahrungen, erst da begriff ich, dass nicht der Buchmarkt mich kaputtgemacht hatte.
Es waren meine Erwartungen, geprägt von vierzig Jahren Erfahrung, dass Fleiß und Können belohnt werden. Mit Zeugnissen, Diplomen, Karriere. Ich begriff, dass diese Logik bei einem künstlerischen Beruf nicht gilt. Dass ich als Autorin anderen Gesetzen unterlag. Dass ich bereits sehr, sehr weit gekommen war, und mir lieber selbst gratulieren sollte, anstatt dem Nicht-Erreichten nachzutrauern.

Neue Wende
Dann wurde eines meiner Kinder sehr krank. Ich musste ad hoc beruflich kürzer treten. Die Entscheidung, was ich aufgeben würde, fiel ebenso ad hoc: Marketing.
Und plötzlich gingen neue Türen auf. 
Inzwischen ist mein Kind gesund und ich schreibe wieder Vollzeit. Gerade erschienen der erste und zweite Band der Kinderbuchreihe Mina und die Karma-Jäger im Dragonfly Verlag, einem Imprint von HarperCollins. Nun schreibe ich an einem neuen Erwachsenenbuch, während ich die ersten Schritte Richtung Drehbuch wage und mich weiterhin für Fairness im Buchmarkt einsetze. Gelassen, fröhlich, ergebnisoffen und dankbar für jedes Jahr, das ich weiter meinen Traum leben darf.

Allein, allein?
Natürlich fragte ich mich, ob es nur mir so ging, denn wer redet in unserer Welt des „The Winner Takes It All“ schon über gefühltes Versagen? Ich wurde sogar gewarnt, darüber zu reden – es würde mir schaden. Eine Warnung, die mich erst recht neugierig machte. Also hörte ich mich um und traf viele, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, unter anderem die Berliner Autorin und Künstlerin Deniz Selek. In Hannover geboren, verbrachte sie ihre ersten drei Lebensjahre in Istanbul. Wie sah ihr Weg aus, wie ist sie mit dem Tief umgegangen und schreibt sie noch?

„Dass das Buch keine richtige Chance bekam, frustrierte mich sehr“
Deniz Selek (www.denizselek.de) im Gespräch mit Janet Clark

Deniz, deine Schriftstellerkarriere fing traumhaft an, dein erstes Jugendbuch Zimtküsse erreichte 2012 Bestsellerzahlen. Was hat das bei dir ausgelöst und wie hast du den Buchmarkt damals erlebt?
Ja, Zimtküsse, die Geschichte um ein deutsch-türkisches Mädchen, deren Mutter sich in eine Frau verliebt, war ein schöner Überraschungserfolg. Es wurde im Fernsehen besprochen, landete auf diversen Empfehlungslisten und hätte 2013 um ein Haar sogar den ersten. Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis gewonnen. Ich bekam in kurzer Zeit sehr viele Lesungsanfragen, nicht nur von Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Trägern, sondern auch von zahlreichen Lesefestivals im In- und Ausland. Das war natürlich alles toll für mich! Ich glaubte, meine persönliche Nische gefunden zu haben. Im Verlag hatte ich eine super Programmleiterin und eine extrem liebe und engagierte Lektorin, die beide für meine Ideen offen waren. Darüber hinaus sorgte die Begeisterung für das Buch für sofortige Folgeverträge. Ich war nicht nur sehr dankbar, sondern auch zuversichtlich, dass ich es schaffen würde, dauerhaft meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen.

2014 ging es weiter mit einem Spitzentitelvertrag für Die Frauen vom Meer. Wie war deine Erfahrung mit dem Marktauftritt? War die Werbung das, was du erwartet hattest?
Stimmt, Die Frauen vom Meer startete auch richtig gut! Es wurde vom Verlag für das Frühjahr 2016 als Spitzentitel geplant und in der Vorschau auf vier Seiten präsentiert. Doch bereits vier Monate vor dem Erscheinen bekam ich die Rückmeldung, dass die Buchhändler das Buch leider nur zögerlich bestellt hätten. Es schien gescheitert, bevor es überhaupt gedruckt war. Beim anstehenden Folgevertrag fiel dann der Vorschuss auch um 50 Prozent niedriger aus. Marketingmaßnahmen gab es bis auf eine verlagsinterne Lesung für ausgesuchte Buchhändler keine. Die Frauen vom Meer wurde zwar in diversen Internetforen sehr gut besprochen, in der einen oder anderen Frauenzeitschrift erwähnt, sogar für den Evangelischen Buchpreis und den DELIA-Literaturpreis vorgeschlagen, doch gezielte Werbung, die die Sichtbarkeit erhöht hätte, fand nicht statt.

Was hat die Diskrepanz zwischen deiner Erwartung und der Realität bei dir ausgelöst?
Der Aufprall war echt schmerzhaft. Ich fühlte mich herabgesetzt, meine über anderthalb Jahre voller Freude und Leidenschaft geschriebene Geschichte fand kaum Beachtung, wurde kaum wertgeschätzt. Dass das Buch keine richtige Chance bekam, frustrierte mich sehr.

Nach deinem starken Start hast du 2017 dem Buchmarkt den Rücken gekehrt – was hat dich dazu bewogen?
Ja, nach dem siebten Buch war meine Motivation erst einmal im Keller. Ich zweifelte an mir selbst, an meinen Themen, an meinen Fähigkeiten, an der Verkäuflichkeit meiner Bücher. Ich war mir nicht mal mehr sicher, ob ich überhaupt Schriftstellerin bin. Privat lief es in der Zeit auch nicht sonderlich gut. Nach meiner Scheidung wurde die Situation wirklich existenzbedrohend und ich tanzte am Rand einer Depression. Eine Weile versuchte ich, mit immer neuen Buch-Konzepten wieder anzuknüpfen, doch ohne Erfolg. Um den Druck rauszunehmen, mich und meine Kinder zu versorgen, neue schöne Erfahrungen zu machen und auf andere Geschichten zu kommen, nahm ich eine Vollzeitstelle an. Das liegt nun über zwei Jahre zurück, in denen ich mich sammeln und neu ausrichten konnte. Mir wurde (wieder) bewusst, wie sehr das Schreiben zu mir gehört, wie sehr ich es brauche und liebe. Heißt, dass es auch zukünftig Geschichten von mir geben wird, und eine ist bereits fertig!

Glaubst du, dass dein Weg ein Einzelfall ist oder eher ein übliches Buchmarkt-Szenario, über das aber nur hinter vorgehaltener Hand, am besten überhaupt nicht, gesprochen wird?
Ein Einzelfall bin ich sicher nicht, denn einige Kolleginnen und Kollegen berichten von ganz ähnlichen Schwierigkeiten. Ich verstehe jedoch sehr gut, wenn jemand darüber nicht offen sprechen mag, gerade in Zeiten ständiger Social-Media-Präsenz und dem Erfolgsdruck dahinter. Scham macht nicht sexy. Ich habe auch eine Weile gebraucht, zu der Delle in meiner schriftstellerischen Karriere zu stehen. Aber mit einem darauffolgenden Bestseller lässt sich darüber in einer Talkshow bestimmt richtig gut erzählen!

Wenn du heute einer angehenden Autorin einen Rat geben solltest, was würdest du ihr mit auf den Weg geben?
Ich würde ihr oder ihm sagen: „Mach es! Schreib soviel du kannst, freu dich an deinen Erfolgen und betrachte Rückschläge wahlweise als Geduldsprobe, Lehrstunde oder Richtungskorrektur. Wenn Schreiben ein notwendiger Teil deines Lebens ist, schätze dich glücklich, lass dich nicht beirren und SCHREIB!“

(1)     Werner, Kathrin: Der Besessene, 27.10.2013, unter: www.sueddeutsche.de/wirtschaft/amazon-gruender-jeff-bezos-der-besessene-1.1804565, zuletzt abgerufen am 19.07.2021.
 

Autorin: Janet Clark | www.janet-clark.de | www.facebook.com/janet.clark.autorin
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 142, Juni 2020
Foto: Asiya Kiev auf Unsplash

 

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Dieser Artikel steht in der Federwelt, Heftnr. 142, Juni 2020: /magazin/federwelt/archiv/federwelt-32020
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