
Andreas Eschbach: Ein Lektor hat mir einmal auf die Frage, wie er mit unverlangt eingesandten Manuskripten umgehe, erklärt, er lese zunächst die erste Seite; wenn die „okay“ sei, blättere er vor bis zum ersten Dialog. Und je nachdem, wie der sich lese, entscheide er, ob er das ganze Manuskript lese – oder eben nicht.
Man kann die Bedeutung von Dialogen kaum hoch genug einschätzen. Dialoge sind für einen Roman das, was die Gesangstimme für ein Lied ist: Egal, wie vielversprechend das instrumentale Intro ist, wenn der Gesang einsetzt und uns abstößt, hat das Lied verloren.
Dummerweise sind Dialoge beim Schreiben auch so ziemlich die schwierigste Teildisziplin.
Im Folgenden zeige ich, was sich bei mir bislang für Kniffe und Techniken angesammelt haben, um meine Dialoge besser hinzukriegen.
Romandialoge – die Grundlagen
Folgendes setze ich bei allen, die die Federwelt lesen, als bekannt voraus:
- Dass gute Romandialoge nicht wirklich so sind, wie wir im realen Leben sprechen, sondern dass sie nur so wirken, als wären sie es.
- Wie man die Satzzeichen korrekt verwendet.
- Dass in der Regel ein neuer Absatz beginnt, wenn eine andere Figur spricht.
- Dass man Dialekt nur behutsam verwenden sollte, beschränkt auf kurze Wendungen.
- Dass seitenlange Monologe problematisch sind und man einen verdammt guten Grund haben sollte, einen zu schreiben.
- Dass man mit Formulierungen wie „brüllte sie“, „schrie er“, „flüsterte er“ sparsam sein und dass man das Bestiarium (jemand „grunzt“, „faucht“, „knurrt“ und so weiter) möglichst ganz vermeiden sollte.
Figuren in Dialogen unterscheidbar klingen lassen – aber wie?
Wozu verwendet man solche Wendungen („Redebegleitsätze“ nennt der Duden sie) überhaupt? Weil das Allerwichtigste bei Dialogen ist, dass man sich als Leser nie fragen darf, wer da gerade spricht.
Das lässt sich allerdings auch eleganter lösen als über eine endlose Folge von „sagte er“ und „sagte sie“. Im Idealfall hat jede Figur eine eigene, unverwechselbare Art und Weise zu sprechen, über die man sie auch ohne weitere Hinweise identifiziert.
Es gibt viele Merkmale, wie sich Sprechweisen unterscheiden können, und man sollte diese beim „Casting“ eines Romans überlegt verteilen:
- Figuren reden auf unterschiedlichen sprachlichen Niveaus. Wie das aussieht, studiert man am unterhaltsamsten an Donald Duck-Comics: Onkel Dagobert pflegt eine gehobene Sprache, Tick, Trick und Track reden auf einfachem Niveau, Donald selbst rangiert irgendwo dazwischen. Es hat mit Satzlängen zu tun, dem Gebrauch von Nebensätzen, der Wortwahl und anderem mehr.
- Die Neigung, Schimpfworte zu verwenden, ist unterschiedlich ausgeprägt. Wenn es was zu fluchen gibt, sollten die Figuren es nicht alle auf dieselbe Weise tun.
- Figuren können Lieblingswörter haben – und zwar für sich alleine.
- Auch Gesprächseröffnungen können unterschiedlich sein. Eine Figur mag immer „Also …“ sagen, eine andere „Hört mal …“, eine dritte „Gut, aber …“. Und so fort.
- Manche Leute reden andere mit ihren Namen an, andere nicht. Das taugt auch als unauffälliges Unterscheidungsmerkmal.
Interview-Methode
Das alles so zu planen, ist aber immer noch eine eher grobe Methode. Der beste Weg, ein Gefühl für die „Stimme“ einer Figur zu entwickeln, ist der, sie schon im Planungsstadium ausgiebig „sprechen“ zu lassen. James N. Frey schlägt hierzu vor, seine Figuren Tagebuch schreiben zu lassen. Aber mir liegt es mehr, Interviews mit ihnen zu führen, wahrscheinlich, weil ich auch gerne Interviews lese. Die Methode ist simpel: Sobald ich die Figur zumindest in groben Zügen entwickelt habe, also weiß, wie sie heißt, wie sie aussieht und welchen Hintergrund sie hat (also, woher sie stammt, wie sie die Welt sieht, welche Stärken und Macken sie hat und so weiter), beginne ich ein neues Dokument, schalte auf fette Schrift und beginne mit der ersten Frage, die mir einfällt. Dann stelle ich mir vor, was die Figur antworten würde und vor allem, wie sie antworten würde, und schreibe es hin. Es ist zugleich ein Test: Wenn kein „Gespräch“ in Gang kommen will, weiß ich noch zu wenig über die Figur.
Dabei folge ich ganz dem, wie sich das „Gespräch“ entwickelt. Ich habe also keine vorgefasste Liste von Fragen, sondern lasse mich von dem, was „die Figur antwortet“, leiten. Und zwar so lange, bis sich wie bei einem richtigen Gespräch ein Ende ergibt. Das können schon mal zehn, zwölf Seiten werden – aber hinterher habe ich dann ein Gefühl dafür, wie diese Figur redet. (Das mache ich natürlich nur für die Hauptfiguren, nicht für den Taxifahrer, der lediglich in Szene 167 zwei Sätze sagt.)
Was eine Figur in einer bestimmten Szene sagt oder nicht sagt, und wie sie es sagt, hängt außerdem stark davon ab, was sie erreichen will. Die Ziele der Figuren in einer Szene und ihre Motive sollten also vor dem Schreiben klar sein: Das mindert die Gefahr, sie einfach nur plappern zu lassen.
„Nackter“ Dialog
Eine simple, aber wirkungsvolle Methode: Ich schreibe Dialoge zunächst gänzlich „nackt“ hin, das heißt, ohne jegliche Auszeichnung, wer was sagt. Das bringt mich fast automatisch dazu, die Stimmen der Figuren unterschiedlich klingen zu lassen. In einem zweiten Durchgang überlege ich mir, wo beim Lesen trotzdem Unklarheiten entstehen könnten, und füge „sagte er“, „wandte sie ein“ oder „Peter schüttelte den Kopf“ ein.
Denn Achtung – zu wenig Drumherum tut einem Dialog auch nicht gut! Dann droht, was man in Lektoraten „Talking Heads“ nennen: Man liest zwar einen spritzigen Dialog, bekommt aber kein Gefühl dafür, wer da eigentlich redet und wo sich das Ganze abspielt – als sprächen da nur Köpfe in einem konturlosen Raum.
Die Krimiautorin Elizabeth George verwendet eine Technik, die sie GVS nennt, „Geschwätz-Vermeidungs-Strategie“: Sie überlegt sich für jede längere verbale Auseinandersetzung, was die beteiligten Figuren außerdem noch machen. Während sie sich streiten, können sie ja nebenher essen, oder kochen, oder Gewichte heben, Schach spielen, im Garten arbeiten, ein Auto reparieren und so weiter. (In ihrem Ratgeber Wort für Wort ist die Liste eine Seite lang). Das macht Dialoge fast automatisch lebendiger. („Oh, können Sie mir mal die Schaufel da reichen?“)
Subtext in Dialogen – wie?
Was lebendig klingende Dialoge auszeichnet, ist, dass sie eben meist nicht aus wohlformulierten, durchdachten Sätzen bestehen. Wenn Menschen reden, dann fangen sie an, brechen zwischendurch ab, korrigieren sich, machen anders weiter, suchen nach Worten, verwenden die falschen und sagen dasselbe noch einmal, nur anders. Sie verwenden viele Phrasen und stehende Wendungen. Und vor allem sagen sie selten genau das, was sie meinen.
Das ist das, was bei Dialogen gern Subtext genannt wird: Wenn jemand das eine sagt, damit aber etwas anderes zum Ausdruck bringt.
Meine Technik, um zu Dialogen zu gelangen, in denen Subtext mitschwingt: Ich skizziere vor, was die Figuren einander zu sagen haben (ich skizziere meine Szenen fast immer handschriftlich vor), und setze das, was ich hingeschrieben habe, in Klammern. Und dann überlege ich, wie ich dasselbe sagen kann, aber nicht so.
Wie sieht das in der Praxis aus? Hier eine Stelle aus meinen Entwürfen für den Roman Quest:
[Im Heft ist hier eine Abbildung zu sehen.]
Daraus wurde diese Passage:
[Im Heft ist hier eine Abbildung zu sehen.]
Es würde zu weit führen, hier die Beziehungen zwischen diesen Figuren zu erläutern und wie sie sich in diesem Dialog spiegeln, auf jeden Fall ist er so besser als der fade Entwurf in den Klammern. Zwar gibt es keine simplen Rezepte dafür, Subtext zu erzeugen, aber wenn man sich erst einmal davon abgebracht hat, die erstbesten, direkten Sätze hinzuschreiben, findet man leicht Varianten, die mehr ausdrücken und lebendiger klingen.
Dialoge – die Herausforderung
Einer der ganz großen Könner, was Dialoge anbelangt, war der amerikanische Autor Elmore Leonard. Sein Credo lautete, dass man im Text nicht den Autor hören solle, sondern die Figuren: Das, meine ich, fasst die Herausforderung des Dialogschreibens in einem Satz zusammen.
Autor: Andreas Eschbach | www.andreaseschbach.de | [email protected]
Weiterlesen in: Federwelt, Heft 143, August 2020
Blogbild: Carola Vogt
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