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All you can read

Federwelt
Nina George
Illustration zum Artikel "All you can read" von Nina George

All you can read – Was Flatrates für AutorInnen bedeuten Von Nina George

Lesen ohne Limits: In Zeiten von Streamingdiensten wie Spotify oder Netflix, All-inclusive-Urlauben und All-you-can-eat-Buffetts scheinen Flatrates für Bücher am Puls der digitalen Zeit zu sein. Doch bringen diese Modelle für AutorInnen faire Honorare, Werbe-Effekte und neue LeserInnen?

Sie heißen Kindle Unlimited, Skoobe, readfy, 24symbols oder beam-eBooks, sie locken Leserinnen und Leser mit kleinen Pauschalpreisen ins große Bücherwunderland, mit Zugriff auf nahezu unbegrenzten Lesestoff zum Leihen, Lesen und Liebhaben. Paradiesische Zustände, gerade für die „unterhaltungsorientierten Vielleserinnen“ – jene laut Branchenstatistik magischen 35 Prozent aller Buchkäuferinnen, die mindestens 26 Bücher im Jahr lesen, am häufigsten Taschenbücher und E-Books. Und für die „technikaffinen Leser“, Männer, die drei von vier Büchern nur elektronisch konsumieren.

Und für die Autoren und Autorinnen? Um es diplomatisch zu sagen: Schreibsklaven scheinen wieder in Mode zu sein.

Lesergruppen erschließen und die Sache mit der Elastizität

Dabei hörte sich zu Beginn alles ganz, na ja, nicht toll, aber wahnsinnig innovativ an: Flatrates würden, so wiederholten es Anbieter wie Amazon (Kindle Unlimited, seit 2014), Skoobe (rückwärts für „ebooks“; Holtzbrinck- und Bertelsmann-Verlagsgruppen, seit 2012), readfy (werbefinanziertes Abo-Paket aus Düsseldorf), beam-eBooks (Bastei Lübbe, 2016) und der Pionier aller Flatrates, 24symbols (2011; spanischer Anbieter, Kooperationspartner sind mobilcom-debitel und Facebook!), gebetsmühlenartig in den SEO-Seminaren der Verlagshäuser, Flatrates würden dafür sorgen, „neue Leserschaften zu erschließen“. Wie Jugendliche, die man in diesem Leben nie mehr per Buchhandel erreicht, sondern nur noch per Smartphone. Und all die Early Adopters, die stets als die frühen Vögel der Konsumentenschar auf Gadgets und alles, was „hot shit“ ist, abfahren. Diese Zielgruppen, die laut SEO-Gurus nur noch online konsumieren, würden wachsen und das überholte Modell vom klassischen Buchkauf oder gar -besitz ablösen.

Die Experten hatten auf die Frage, wie sich das rechnen solle, wenn für weniger Geld mehr Bücher konsumiert, aber nicht bezahlt werden, diese Antwort parat: „Elastizität.“

Damit ist nicht das Bindegewebe am Buchrücken gemeint, sondern der erhoffte Effekt, dass durch billige Pauschalpreise mehr Menschen Bücher lesen würden, als wenn sie „gezwungen“ wären, sie „teuer“ zu kaufen. Heute kostet eine Neuerscheinung im Hardcover 26,90 Euro (Börsenverein-Zahlen 2015), als Taschenbuch 9,99 Euro und als E-Book 8,55 Euro.

Es müssten nur ausreichend viele neue Leih-Leserinnen und -leser erreicht werden, die für ’nen Zehner im Monat zum Leih-(E-)Buch greifen würden, und in der Endsumme mehr Flatrate-Euros hineinspülen. Und, so der Clou für die Rechen-Experten, es werde dank der Niedrigpreispolitik deutlich mehr neue Leser pro Buch geben! Aber ja! Allein die 20 Millionen Nie-Lesenden in Deutschland – und die 23 Prozent aller E-Book-Fans, die sich ihren Stoff aus illegalen Quellen besorgen! Was für ein Potenzial!

Es fehlte auch nicht das Totschlagsargument der digitalen Zeit: „Das ist doch auch Werbung für Sie. Wem das Leihbuch gefallen hat, der kauft es noch mal als gebundenes Buch – und auch den nächsten Roman! Und die, die heute klauen, werden morgen leihen.“

Wer hätte da nicht widerstehen können?

Mehr Verlage, als Amazon, Skoobe oder readfy erhofften. Bis heute weigern sich Hachette und die Bonnier-Gruppe (die Amazon-Erpressungsopfer 2014), bei jedwedem Flatrate-Geschäft mitzuwirken. Verlage der Holtzbrinck-Gruppe, Random House oder Literaturverlage und damit das Gros aktueller deutscher Literatur – fehlen bei Kindle Unlimited, aber beteiligen sich teilweise bei 24symbols. Insgesamt sind Flatrate-Angebote inhaltlich weniger attraktiv, als sie sich wünschen dürften.

Vier Jahre und fünf Flatrate-Anbieter später fällt die Bilanz durchwachsen aus:

29 Cent Honorar pro Taschenbuch-Leihe und keine Vertragssicherheit

1. Die Geiz-ist-geil-Modelle tragen sich nicht selbst: Skoobe und Amazon stecken flatratefremde Millionen-Erträge anderer Unternehmenssparten in das Billigmodell, um es am Leben zu erhalten. Der Flatrate-Anbieter Oyster hat bereits aufgegeben.

2. Datenschutz existiert nicht mehr: Jedes E-Book übermittelt dem Distributor die Lese-, Umblätter- und Kaufgewohnheiten. Die heißeste Ware im Web sind nicht mehr die gekauften Waren – sondern die Nutzer. Sie, ich, jeder, der sich online bewegt. Unsere Daten werden an Werbeunternehmen verkauft, an Kreditinstitute, Versicherungen, Verlage und Filmproduktionen. readfy etwa berichtet ungeniert: Der Durchschnittsabonnent lese 257 Seiten im Monat, vor allem Erotika; die frivolen Stories landeten hauptsächlich bei Frauen Mitte 20 und Männern Ende 50.

Dein E-Buch kennt dich besser als dein Ehepartner und weiß, ob du auf Gewaltszenen oder Sex mit Küchenutensilien abfährst. Will man das wirklich enthüllen?

3. Die Anzahl der Leihen überholt den Kauf nicht: Pro Leihe kommen bei Verlagsautorinnen und -autoren je nach Ausgabe und Verlagsvertrag zwischen 27 Cent und 1,43 Euro an; unterm Strich müsste ein Buch rund fünfmal verliehen werden, um denselben Umsatz wie ein einziger Verkauf zu erzielen! – Am häufigsten werden Bestseller ausgeliehen. Für die rechnet sich das Modell.

Die Elastizität – mehr Leihen bringen mehr als wenige Käufe – ist gescheitert, da sie eben nicht für alle funktioniert. Die Lesezeit von Menschen ist begrenzt wie zuvor, da änderten die Billigpreise nichts am Zeit-Etat. Letztlich werden dann Bestseller, LieblingsautorInnen, Serien und höchstens hier und da mal eine Empfehlung gelesen.

4. Abrechnungen sind intransparent: Verlagsautorinnen und -autoren wussten bei meiner ersten Umfrage vor einem Jahr nicht, wie viel sie CENTGENAU pro Leihvorgang erhalten. Die Vergütungen der Ausleihen wurden unter die Gesamt-E-Book-Erlöse gemischt. Inzwischen, auch dank des zunehmenden Drucks der Autorinnen und Autoren, rechnen Häuser wie Droemer Knaur zum Beispiel Skoobe-Umsätze konsequent centgenau ab. Bei anderen Verlagen werden die Anfragen ihrer Autorinnen und Autoren weiterhin nicht beantwortet.

5. Verlage handelten mit Nutzungsrechten, die sie nicht haben: Verlagsautorinnen und -autoren haben in 90 Prozent der Fälle KEINE vertragliche Vereinbarung mit ihren Verlagen, dass diese berechtigt sind, E-Books in kommerziellen Leihen zu vertreiben! Vor allem nicht mit Backlist-Titeln, da diese Verträge geschlossen wurden, als kommerzielle Leih-/Vermietmodelle nicht existierten.

Sind E-Book-Ausleihen in Ihrem aktuellen Vertrag nicht explizit in den Nebenrechten aufgeführt, ist der Verlag nicht berechtigt, den Titel im Flat-Abo zu nutzen. ((@Peter und Carola: Hier den KASTEN von unten einfügen!))!

6. Piraterie ist nicht gesunken: Weiterhin wächst die Zahl jener, die sich E-Books oder Songs gratis aus dem Netz saugen an, jedes Jahr zwischen 10 bis 160 Prozent (!). Auch illegale E-Book-Tauschgruppen (siehe Heft 115) florieren. Denn: Wozu selbst eine geringe Gebühr für etwas bezahlen, was man so leicht gratis bekommen kann?

7. Werbe-Effekte oder steigende Buchverkäufe? Fehlanzeige! Nur drei der von mir befragten 80 Autorinnen und Autoren haben einen merkbar positiven Effekt registriert. Es handelt sich um Verfasser von Buchserien, deren Backlist-Titel in Skoobe- und Amazon-Flats gingen. So stiegen für kurze Zeit auch die Verkäufe für die Vorgänger oder Nachfolger der Serie. Alle anderen verzeichnen einen Einbruch ihrer E-Book-Umsätze. Je nach Genre zwischen 30 und 75 Prozent. Das deckt sich mit den Erfahrungen von US-Autorinnen aus dem Selfpublishing-Bereich, die sich ernüchtert aus den Billigmodellen zurückziehen. – Denn wozu noch einmal kaufen, was man schon gelesen hat?

Auch reizen Flatrates nicht konsequent zum Entdecken neuer Stoffe. So steigen zwar die Kindle-Unlimited-Abozahlen in den USA jährlich um 10 Prozent an. Doch auf dem deutschen Markt sind es – laut Börsenvereinsstatistiken – nach wie vor diese drei Quellen, die zum Buchkauf inspirieren: der Buchhändler, die Freundin, der Klappentext!

8. Eine Flatrate widerspricht der Buchpreisbindung: Diese untersagt die Weitergabe von preisgebundenen Büchern zu verschiedenen Preisen; und dazu gehören Rabatt- und Flatratemodelle. Es ist davon auszugehen, dass Verlage mit Pauschalen statt leihgenauer Abrechnungen abgegolten werden und sie so auch ihren Autorinnen keine nachvollziehbare Abrechnung vorlegen können. Inzwischen beschäftigen sich Gerichte mit der Frage, ob kommerzielle Ausleihen, im Gegensatz zu legitimierten Bibliotheken, sich mit der Buchpreisbindung verstehen – und in Frankreich lässt Kulturstaatsministerin Fleur Pellerin prüfen, ob Abomodelle nicht schlicht illegal sind.

Letztlich geht es in jeder Debatte über Bücher und ihre Preise darum, in welcher Kulturwelt wir auch in Zukunft leben wollen. Es geht um den Preis, aber vor allem um den Wert kreativer Leistungen, um den Respekt vor dem künstlerischen Schaffen und um Investitionen in neue Autorinnen und Autoren. Qualität braucht keine Flatrate, sondern faire Vergütung.

 

Ihr Brutto-Erlös pro Leihvorgang

Branchenüblich sind bei VerlagsautorInnen, deren Werke gedruckt und gleichzeitig als E-Book erscheinen: 20 bis 25 Prozent Beteiligung vom sogenannten Nettoverlagserlös (NVL)* für die elektronische Ausgabe.

Digital-Only-Beteiligungen (für Werke, die ausschließlich als E-Ausgabe erscheinen, etwa bei „Digital Imprints“ oder reinen E-Book-Verlagen) liegen bei gestaffelten 25, 35 und 50 Prozent, die sich je nach Verhandlung auf den Nettoverlagserlös* oder (selten) den Nettoladenpreis beziehen.

Folgende Zahlen wurden durch vertrauliche Umfragen unter AutorInnen zusammengetragen, da sich Flatrate-Unternehmen weigern, konkrete Zahlen zu nennen.

 

Flatrate          Vergütung an Verlage           Vergütung an Autoren und Autorinnen

TB (9,99)        HC (24,99)      regulärer E-Verkauf

bei 50 % Abzug wg. Nettoverlagserlös

KU***             20 % vom Verkaufspreis (VKP) 56 Cent   1,43 Euro       E-TB 1,00 – 1,50 Euro

E-HC 2,50 – 3 Euro

SELFPUBLISHER werden nach gelesenen Seiten bezahlt. Quote im Oktober 2015: 0.4479 Cent**

Skoobe                                  10 % vom VKP                       27 Cent          70 Cent          1,00 – 1,50

readfy             Zahlen werden erst bei Vertragsabschluss verhandelt.                 

beam-eBooks Sonderfall: Hier werden Texte genutzt, die per „total-buy-out“ und einmalig gezahlten Pauschalhonoraren eingeholt sind und daher keinerlei weitere Vergütung an AutorInnen, weder an Verkauf noch an Verleih der Werke.

 

* Nettoverlagserlös = Nettoladenpreis abzüglich Rabatte für den E-Distributor, zwischen 12 % (beim Kauf auf der Webseite eines Buchladens), 30–40% (häufigste Marge) bis zu 50 % (in einigen Amazon-Verträgen), abzüglich Kosten für Online-Werbung, Webhosting und anderes. Insgesamt oft 35 bis 50 % Abzüge vom Nettoladenpreis. Von diesem „Nettoverlagserlös“ berechnen sich die AutorInnen-Beteiligungen.

** Quelle: www.selfpublisherbibel.de/kindleunlimited-quoten-fuer-oktober-amazon-zah...

*** Kindle Unlimited

 

HIER können sich Sie sich informieren:

www.fairerbuchmarkt.de/flatrate.html

www.lesen.net/ebook-news/ebook-flatrate-readfy-uns-geht-es-gut-20428/

www.computerbase.de/2015-08/kindle-unlimited-e-book-flatrate-mit-mehr-al...

 

Aussteigen aus der Flat?

So überprüfen AutorInnen, ob ihr Vertrag „Flat-Ausleihen“ erlaubt – oder nicht:

Eine Guideline der Agentur Keil + Keil und der Graf von Westphalen-Rechtsanwälte Dr. Walter Scheuerl und Dr. Christian Triebe, die Agenten und Autorinnen anregen, ihre Verträge anhand dieser Hilfestellung zu prüfen:

• Nach allgemeinem Urheberrecht ist die Nutzung von Sprachwerken in elektronischer Form nicht Gegenstand des Verlagsrechts, sondern muss als Nebenrecht gesondert und ausdrücklich aufgeführt werden: im Nebenrechtskatalog im Verlagsvertrag.

• Ob die Einräumung von Nutzungsrechten für E-Book-Flatrates vom Verlag an Drittanbieter wie Kindle Unlimited oder Skoobe durch die in Verlagsverträgen für diesen Rechtebereich aktuelle gängige Bezeichnung „Elektronische Rechte“ erfasst ist, ist rechtlich nicht ganz eindeutig. Insofern kann man sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass sie nicht erfasst sind, sondern explizit hätten aufgeführt werden müssen.

• Ganz auf der sicheren Seite ist man, wenn man einen Verlagsvertrag hat, der die Vergabe jeglicher Nebenrechte durch den Verlag an Dritte von der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Autors abhängig macht.

Fazit: Die Verlage können solche Vereinbarungen mit E-Book-Flatrate-Anbietern ohne entsprechende Regelung im Verlagsvertrag nicht einfach abschließen. Man muss auch nicht von selbst aktiv widersprechen, wenn man sein Buch zufällig im Internet bei einem solchen Anbieter gefunden hat, um eine rechtfertigende Duldungswirkung zu verhindern. In jedem Fall sollte kurzfristig qualifizierter Rechtsrat eingeholt werden, um Rechtsschutzmöglichkeiten prüfen zu lassen.

 

Autorin: Nina George | www.ninageorge.de
In: FEDERWELT, Heft 116, Februar 2016
Illustration: Carola Vogt