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Wie ich einmal einen Roman über Krieg machte

der selfpublisher
Michael Wäser
Bild zum Beitrag von Michael Wäser

Wie ich einmal einen Roman über Krieg machte, kein Verlag dafür Leser sah und ich unter die Selfpublisher ging

Wenn Sie dies lesen, wird mein zweiter Roman gerade erschienen sein. Schon bei seiner Entstehung erhielt er eine besondere Auszeichnung. Weshalb er trotzdem per Selfpublishing und nicht in einem Verlag herauskommt? Ich bin Schriftsteller, also erzähle ich’s Ihnen.

Noch bevor mein Debütroman in einem Münchner Verlag erschien, dachte ich über den nächsten nach. Da ich nicht zu den Autoren gehöre, die in einem Jahr drei Romane schreiben, sondern eher umgekehrt, ist das keine unbedeutende Entscheidung. Aus mehreren Ideen wählte ich die eines Einzelgängers, der mitten im Krieg berühmt wird und sich verliebt. Der Krieg, um den es geht, ist ein „frozen conflict“ der extravaganten Sorte, Schauplatz ist ein fiktives Land voller Fanatiker, der Ton ebenso satirisch wie ernst.

Ich reichte einen Entwurf beim Deutschen Literaturfonds ein. Er wurde akzeptiert. Auch wenn es nicht meine erste Förderzusage war, überraschte mich das, denn speziell dieses Stipendium, in meinem Fall 16.000 Euro, bekommen meist nur anerkanntere Autoren. Ich machte mich an die Arbeit, der Roman wurde ein fester Mitbewohner (allerdings einer, über den man nach der ersten Euphorie irgendwann nachts auf dem Klo bei laufendem Wasserhahn ins Telefon flüstert, dass er nicht alle Tassen im Schrank hat). Als das Manuskript fertig war, löste sich mein Münchner Verlag auf.

Ich suchte eine Agentur. Es brauchte nicht viele Anläufe. „Warum der stille Salvatore eine Rede hielt“ überzeugte offenbar. Eine große Berliner Agentur fand, der Roman sei „sprachlich und dramaturgisch über jeden Zweifel erhaben und zudem mit einem großartigen Humor durchsetzt. Die Lektüre macht einfach riesigen Spaß. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass eine virtuose Stilistik nur die eine Seite der Medaille ist, die andere, vielleicht noch ein wenig entscheidendere, ist die Thematik. In diesem Punkt, so unsere Einschätzung, wird es der Text bei den großen deutschen Publikumsverlagen schwer haben.“ Die Absage musste ich schlucken, das Kompliment nahm ich gern mit. Eine andere renommierte Agentur nahm den Roman. Das Buch entwickle beim Lesen einen enormen Sog, fand mein Agent. Trotzdem gelang es ihm nicht, einen nicht zu kleinen Verlag dafür zu finden – was vermutlich wieder am Thema lag. Kleine Verlage, die kaum Vorschuss zahlen und wenig in die Vermarktung ihrer Titel investieren, sind für Agenten uninteressant, denn sie verdienen nur etwas, wenn ihre Autoren verdienen.

Über einen Verlag zu veröffentlichen, hat für einen hauptberuflichen Autor Vorteile. Selbst wenn kein Vorschuss drin ist, kein Lektorat und nur marginale Vermarktung – vor Institutionen wie dem Deutschen Literaturfonds gilt man als veröffentlicht. Stipendien und Literaturpreise? Nicht für Selfpublisher. Deshalb bot ich, als der Vertrag mit meinem Agenten auslief, das Buch auch kleinen Verlagen an. Wieder bekam mein Roman erstaunliche Beurteilungen – verbunden mit Absagen, weil sein Thema zu wenige Leser anspräche. Irgendwann fanden so viele Fachleute den Roman gut, dass man allein für sie schon eine ansehnliche Auflage drucken könnte. Nur veröffentlichen wollte ihn keiner.

All das zog sich, nicht erschrecken, über mehrere Jahre hin. Der Entschluss „Ich veröffentliche selbst“ fällt weniger leicht, als es in Zeiten des Selfpublishing per Internet, E-Book und Print on Demand scheint. Man muss, wie bei einem Verlag, wissen, worauf man sich einlässt. Man verzichtet auf etwas und man gewinnt etwas. Außerdem geht man als belletristischer Autor ein echtes Risiko ein. Aber der Reihe nach: Mein Ziel ist ein möglichst professionelles Buch. Darunter verstehe ich, dass es nicht laienhaft aussieht, auch wenn ich nur Arbeit, kein Geld investieren kann. Ein Buch schreiben ist etwas anderes als ein Buch machen. Ein Lektorat, das diesen Namen verdient, konnte ich nicht bezahlen und musste darauf verzichten. Dass Geschichte und Sprache insgesamt funktionieren, wusste ich ja aufgrund der Fülle ermutigender Absagen, für die Details hörte ich auf Testleser, die keine Laien sind. Korrekturlesen am eigenen Text war nicht nur riskant, sondern eine Qual (wer das hauptberuflich macht, hat meine unumschränkte Bewunderung). Ich entwickelte mehrere Cover-Entwürfe und wählte einen aus, wieder mit der Hilfe von Kollegen. Dann schmiss ich alles wieder um und entwarf ein ganz neues Cover. Ein ordentliches Textlayout musste ich einrichten, Seite für Seite kontrollieren, einen Klappentext und eine knackige Inhaltsangabe schreiben, eine Werbestrategie entwerfen. Für jede dieser Aufgaben gibt es Fachleute. Gute Verlage leisten sich die, Selfpublisher nur selten, und das merkt man vielen Werken aus der Szene trotz wachsender Professionalisierung auch an. Ich jedenfalls musste alles selbst machen und hoffe, das Buch sieht dennoch innen und außen so aus, wie man es aus der Buchhandlung gewohnt ist.

Fehlten noch Anbieter für E-Book und Paperback. Nach einigem Hin und Her – was viel Zeit kostete! – wählte ich als Print-Anbieter BoD. Das Norderstedter Unternehmen ist für meine Konstellation teurer als andere Firmen. BoD-Bücher kann aber jede Buchhandlung sehr bequem über das Barsortiment Libri bestellen – mein Buch wird leichter verfügbar. Ich könnte den Verkaufspreis, mit 9,95 Euro fürs Paperback im unteren Normalbereich, höher ansetzen, aber mir ist Verbreitung wichtiger als die Marge.
E-Book-Anbieter neobooks lockt mit Verlagsverträgen für erfolgreiche Titel – die Perspektive war mir wichtig.
Kurios: Wahrscheinlich ist es der erste vom Deutschen Literaturfonds geförderte Roman, der per Selfpublishing erscheint! Ich bin ein Pionier! Aber bei meinem neuesten Roman, dem dritten, könnte es sich schädlich auf die Verlagssuche auswirken. Selfpublisher gelten manchen in der Branche als unseriös. Das ändert sich allmählich, ist aber ein Risiko.
Hätte ich „Salvatore“ lieber bei einem (guten) Verlag herausgebracht? Aber ja! Muss ich mich dafür schämen, dass das nicht gelungen ist? Nein, sage ich mir! (Und hilft es, mir das immer wieder selbst zu sagen? Fragen Sie mich morgen noch mal.)

Mit der Veröffentlichung ist die Arbeit jedoch noch nicht getan: Die Leser müssen von dem Werk erfahren! Verkaufsprofis mag da das Herz höher schlagen, mich befällt eher Panik – Schreibtischtätersyndrom. Ein Artikel in einer Zeitschrift wie dieser stellt natürlich eine Öffentlichkeit her, von der Selfpublisher meist nur träumen, ich jedenfalls hatte ihn nicht einkalkuliert. Trotzdem, auch beim Selfpublishing gibt es hohe Auflagen. Die „PR“ funktioniert nur anders als im traditionellen Geschäft und ist sicher so vielfältig wie die Szene selbst. Selfpublishing-Anbieter offerieren sachkundige, aber meist kostenpflichtige Hilfe. Klassische Werbung wie Anzeigen braucht, soll sie funktionieren, professionelle Umsetzung und enorme finanzielle Mittel und fällt daher aus. Auch will ich meine Bekanntschaft nicht mit täglichen Mails und halbstündlichen Facebook-Posts vergraulen, Medienkontakte nicht vollspammen. Also berichte ich über das Buch auf meinem Blog und auf Facebook, animiere zum Weitersagen, kontaktiere ausgewählte Medien, schreibe persönliche E-Mails an nähere und fernere Bekannte, versuche, Lesungen zu organisieren, setze bewusst auf Ausdauer statt auf Knalleffekt. Ob ich damit das angeblich mangelnde Interesse auf meinen Kriegsroman lenken kann? Ich habe keine Ahnung. Allerdings: Es gibt viele Geschichten, wie Verlage Autoren ablehnten, die danach richtig groß wurden. Vielleicht irren sie sich ja manchmal auch in ihren Lesern.

In: »der selfpublisher«, Oktober 2015 (Startausgabe)