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Lesungen: Five Minutes of Fame

der selfpublisher
Susanne Pavlovic

Lesungen: Five Minutes of Fame

Lesungen gehören zum Autorendasein dazu – zumindest gefühlt. Tisch, Lichtinsel, Wasserglas, ehrfürchtig lauschendes Publikum, danach ein paar Fotos für die örtliche Presse, auf denen der Autor betont nachdenklich dreinblickt, dann ein paar Bücher signiert und schon wieder in den Elfenbeinturm entschwindet, aus dem er herabgestiegen ist.

Na ja. So zum Glück nicht mehr. Moderne Lesungen kommen deutlich frischer daher, doch bevor ich die Frage nach dem „Wie“ beantworte, will ich erst mal die nach dem „Ob überhaupt“ aufwerfen.
 

Muss ich als Selfpublisher Lesungen durchführen?

Rein wegen der Verkaufszahlen müssen Sie es schon mal nicht tun. Ein Gutteil des Publikums besteht aus Leuten, die schon eines oder mehrere Ihrer Bücher gekauft haben und sich jetzt die Autorin hinter den Seiten ansehen wollen. Ein Teil ist vielleicht dabei, der gewohnheitsmäßig zu Lesungen geht, egal, wer da liest – das sind die interessanten Zuhörer, denn die können Ihre Bücher als neue Lieblingslektüre entdecken. Aber ihre Zahl ist klein und die dadurch generierten Verkäufe rein wirtschaftlich völlig uninteressant.

Warum sollten Sie also Lesungen halten – wenn überhaupt?

Aus dem einen Grund: weil es Ihnen Spaß macht. Berichte in der Regionalzeitung oder im Regionalradio können ein schöner Nebeneffekt sein, führen aber auch nicht zwangsläufig zu mehr Buchverkäufen.

Eine Lesung veranstalten Sie nur dann, wenn Sie gerne vorlesen, wenn Sie Spaß daran haben, in Kontakt mit Ihren Lesern zu treten, gerne mal die Fragen eines Reporters beantworten und sich Ihre „five minutes of fame“ abholen wollen. Dann ist es auch lohnend und bereichernd.

Ich will! Aber wo?

Meine knappe Antwort: da, wo Ihr Publikum ist. Ein Roman, der in Ihrer Heimatstadt spielt, lässt sich vor Ort prima durch eine Lesung bekannt machen. Wenn Sie Ihrem Nachbarn, Ihrer Friseurin, der Brötchenfrau und dem Busfahrer zutrauen, sich von Ihrer Liebesschnulze vortrefflich unterhalten zu fühlen, nutzen Sie ruhig die Strukturen, die Sie vor Ort vorfinden: Volkshochschule, Buchhandlung, Leihbücherei. Würden Sie das Gleiche mit Ihrem Horror-Roman Marke Zombie-Splatter versuchen, könnte das womöglich Ihre Umwelt verstören – und niemand wollte mehr im Bus neben Ihnen sitzen. Für solche Nischenprodukte lohnt sich der Blick in die nächst größere Stadt, in der es womöglich einen Comicbuchladen oder einen Verein für Fantasy und Rollenspiel gibt. Wenn Sie Ihre Zielgruppe nicht vor der Haustür haben, bewegen Sie sich zu ihr hin.

Womöglich gibt es Veranstaltungen, an die Sie sich mit Ihrer Lesung heften können. Das Sommerfest der Freiwilligen Feuerwehr, der Tag der Offenen Tür des Kunstvereins oder auch (auf dem Präsentierteller) eine Lesungsreihe der Stadtbücherei – hier treffen Sie auf ein Publikum, das aufgeschlossen und interessiert ist und das Sie überdies nicht durch Ihre alleinige Kraftanstrengung anwerben müssen. Eine meiner bestbesuchten Lesungen hielt ich in der Turmbücherei der Stadt Heilsbronn – das Lesezimmer im Turm war bis auf den letzten Platz besetzt, und zwar nicht, weil ich so berühmt war oder mein Buch alle aus den Socken schlug. – Nein, die Veranstaltung hatte im Ort Tradition, die Heilsbronner gingen gewohnheitsmäßig dahin, plauderten, aßen ein Häppchen, packten ihr Strickzeug aus und lauschten dem Autor oder der Autorin des Monats.

Meine schlimmste Lesung hatte ich übrigens vor Jahren in einer Bamberger Kunst- und Kultur-Begegnungsstätte. Ich hatte exakt vier Zuhörer, zwei davon irrtümlich vor Ort – sie hatten mich in meiner mittelalterlichen Gewandung für die Stadtführerin der historischen Tour gehalten. Trotzdem war es ein sehr netter Abend. Schlimm ist also relativ.

Je weniger Sie vorhandene Strukturen nutzen können oder wollen, desto kreativer müssen oder können Sie sein. Sie haben einen Roman geschrieben, der von Leistungsschwimmern handelt? Lesen Sie in einer Umkleidekabine. Gruselgeschichte? Lesen Sie bei Kerzenlicht in einem Keller. Halten Sie die kürzeste Lesung der Welt in einem Lift zwischen dem ersten und dem achten Stockwerk. Halten Sie die kleinste Lesung der Welt in einem VW Käfer. Aber holen Sie sich natürlich vorher an zuständiger Stelle die Erlaubnis ein – so eine Veranstaltung muss in der Regel angemeldet werden.

Sollte Ihr Buch für Kinder oder Jugendliche geeignet sein, bieten sich Schulen als Lesungsorte an. Die meisten Schulleiter sind sehr aufgeschlossen für Beiträge von Externen – so lange sie nicht zu kostspielig sind.

Der erste Schritt

Greifen Sie zum Telefon. Machen Sie den konkreten Ansprechpartner ausfindig, den „Entscheider“, und unterbreiten Sie ihm Ihre Idee. Und bevor Sie das machen, hämmern Sie sich folgendes Mantra in den Schädel: „Ich bin kein Bittsteller. Ich biete eine Leistung an und suche Interessenten. Meine Leistung hat einen Wert, und den kann man auch in Euro messen.“

Warum ich das schreibe? Weil ich immer wieder Autorinnen und Autoren erlebe, die sich klein machen. Warum sollte aber Herr Müller von der Stadtbücherei Oberduppenhausen eine Autorin für eine Lesung buchen, die sich schon am Telefon nicht gut verkaufen kann? Sie brauchen ja nicht so zu tun, als hätten Sie einen Marktwert wie Donna Leon (es sei denn, Sie sind Donna Leon) – Authentizität und Fingerspitzengefühl sind der Schlüssel zum Erfolg. Und Beharrlichkeit, denn natürlich werden Sie auch oft „och, nö, kein Interesse“ hören, aber diese Erfahrung machen alle, die im weitesten Sinne etwas verkaufen wollen.

Ach ja, und wenn Sie dann mit Herrn Müller telefonieren, wird sicher der Punkt kommen, an dem es ums Eingemachte geht: ums Geld. Sollen Sie für Ihre Leistung Geld verlangen? Ja, natürlich, und nur in Ausnahmefällen nicht. Mein Maßstab: Wenn jemand an der Veranstaltung Geld verdient, direkt durch Eintritt oder indirekt durch den Werbeeffekt, dann möchte ich auch Geld verdienen. Wenn niemand daran Geld verdient, kann ich auch umsonst lesen, so der Aufwand zumutbar und der Veranstalter sympathisch ist und ich damit vielleicht eine gute Sache unterstütze.

Was die Höhe der Gage betrifft: Bei Veranstaltungsreihen gibt es meist ein festes Honorar, da heißt es „friss oder stirb“. Bei einzelnen Lesungen ist die Gage verhandelbar. Treten Sie ruhig selbstbewusst auf: Sie haben ein Angebot, das Ihrem Geschäftspartner etwas wert sein sollte. Setzen Sie Ihre Honorarforderung ruhig bei 200 Euro an und lassen Sie sich dann auf 150 runterhandeln – das entspricht in etwa dem, was Sie als nicht ganz so bekannte Autorin auf regionaler Ebene zu erwarten haben. Je bekannter Sie sind, desto mehr Honorar dürfen Sie erwarten – Sie machen immerhin den Saal voll. Der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (die Autoren-Abteilung von ver.di, die allerdings keine Selfpublisher aufnimmt) setzt ein Honorar für eine Lesung bei 300 Euro aufwärts an.

Flankierende Maßnahmen

Vergessen Sie nicht, geeignete Multiplikatoren ins Boot zu holen. Laden Sie Pressevertreter zur Lesung ein und verschicken Sie im Vorfeld Pressemitteilungen, die auf Ihre Veranstaltung hinweisen. Wie eine professionelle Pressemitteilung auszusehen hat, können Sie im Internet nachlesen, zum Beispiel bei www.vomschreibenleben.de/?s=pressemitteilung oder www.autorenwelt.de/blog/tipps-für-pressearbeit

Lesen Sie los!

Der gute Vortrag ist das Kernstück Ihrer Lesung, deshalb beginnen wir direkt damit. Gutes Vorlesen heißt: nicht zu laut, nicht zu schnell, nicht zu vernuschelt, nicht zu hoch oder tief – lauter „nicht zu“, die Ihnen anzeigen, dass eine natürliche Mitte der Idealzustand ist. Alles andere wird über die Dauer einer Lesung hinweg sowieso zu anstrengend, und gestresst wollen Sie ja keinesfalls rüberkommen.

Holen Sie sich Rückmeldung von einem Publikum, bevor es ernst wird. Lesen Sie jedem vor, der nicht bei 3 auf dem Baum ist, und beherzigen Sie die Anregungen Ihrer Zuhörer – vor allem, wenn mehrere Zuhörer die gleichen Kritikpunkte anbringen.

Ich fahre ganz gut damit, mir vor einer Lesung Hörbücher anzuhören. So schnappe ich den Tonfall und das Pausen-Management eines professionellen Sprechers auf. Die Faustregel lautet: Lesen Sie immer ein bisschen langsamer und halten Sie die Pausen ein bisschen länger, als Sie es normalerweise tun würden.

Doch auch wenn Ihre Stimme der Hauptakteur bei einer Lesung ist – Sie bestehen nicht nur aus Stimme. Sie müssen Präsenz ausstrahlen, selbst wenn Ihre Bühne nur aus einem Hocker zwischen Bücherregalen besteht, und dazu müssen Sie sich wohlfühlen.

Tragen Sie auf jeden Fall Kleidung, die Sie mögen und in der Sie authentisch wirken. Es gibt keinen Dresscode für Autoren – ich habe Patrick Rothfuss auf der Leipziger Buchmesse in einem fleckigen grauen T-Shirt und einer ausgeleierten Jeans lesen sehen. Vielleicht möchten Sie ein bisschen mehr Sorgfalt walten lassen, solange sie noch ein bisschen weniger bekannt sind, aber im Grunde genommen gibt es keine Einschränkungen.

Wählen Sie eine Körperhaltung, die Ihnen entspricht. Ich lese nicht gerne im Sitzen. Meistens hänge ich mit einer Pobacke an der Ecke des Lesungstisches oder ich laufe hin und her (langsam, damit den Zuhörern nicht schwindelig wird). Wenn Sie gerne sitzen, schlagen Sie besser nicht die Beine übereinander, Sie engen sonst unnötig Ihren Brustkorb ein, wenn Sie sich nach vorne über Ihr Buch beugen.

Lassen Sie sich Zeit. Die Leute sind alle freiwillig hier, Sie müssen nicht möglichst schnell fertig werden. Beachten Sie aber die Aufmerksamkeitsspanne Ihres Publikums. Mehr als 35, 40 Minuten am Stück wird es Ihnen nicht konzentriert zuhören können, allein schon weil die Übung fehlt: Die meisten von uns sind visuell geprägt; ohne ein bewegtes Bild können wir uns nur schwer konzentrieren. Zwei Leseblöcke von je etwa 40 Minuten, geteilt durch eine Pause von 15 Minuten, haben sich bewährt.

Unterteilen Sie die Leseblöcke wiederum in zwei, drei einzelne Szenen. Beginnen und beenden Sie die Lesung jeweils mit einem Knaller: Spannung, Konflikt, Komik, Thrill. Ruhigere Szenen, die Sie auch unbedingt einbauen sollten, schieben Sie in die Mitte. Erklären Sie zwischendurch nicht zu viel. Ein bisschen Anmoderation ist sinnvoll und lockert den Lesevortrag auf, aber beschränken Sie sich hier lieber auf Gedanken zum Schreibprozess als auf epische Inhaltsangaben, denen Ihre Zuhörer im Zweifelsfall sowieso nicht folgen können. Ist eine Szene nur mit ausführlichem „Was bisher geschah“ verständlich, eignet sie sich nicht für eine Lesung.

Kurze Erklärungen streue ich auch gelegentlich direkt ins Lesen ein – alles, was in einem Halbsatz abgefrühstückt ist, können Sie Ihren Zuhörern über den Buchrand hinweg mitteilen und damit Ihren Vortrag etwas auflockern.

Viele Autoren lassen sich im Vorfeld beim Lesen filmen und kontrollieren so ihren eigenen Auftritt. Man ertappt sich da bei allerlei Murks: vom Füßewackeln übers Kippeln mit dem Stuhl bis zum Herumspielen mit Kleidung, Schmuck oder Haaren – Dinge, die Zuhörer in den Wahnsinn treiben können.

Doch bei aller Übung und Vorbereitung: Letztlich kommt es darauf an, es einfach zu tun. Gehen Sie hin, lesen Sie, was das Zeug hält, haben Sie Spaß, holen Sie sich Ihre „five minutes of fame“. Die haben Sie sich verdient. Einsam am Schreibtisch sitzen Sie noch lange genug.

 

Autorin: Susanne Pavlovic | www.textehexe.com
In: der selfpublisher, Heft 1, März 2016