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Fantasy-Literatur

der selfpublisher
Susanne Pavlovic

Genres

Hobbits, Muggel und Magie – ein Streifzug durch die

Fantasy-Literatur

Folgender Dialog trägt sich mit schöner Regelmäßigkeit in meinem Leben zu.

„Ach, Sie sind Autorin? Was schreiben Sie denn?“

„Fantasy.“

„So mit Vampiren und so?“

„Nee, mit Schwertern und Magie.“

„Ah! Wie Harry Potter! Kam kürzlich im Fernsehen!“

*seufz* „Na ja, eigentlich ganz anders, aber … Egal.“

Auch unter Büchermenschen kann es passieren, dass sie sich stundenlang über Fantasy unterhalten und erst zum Schluss merken, dass sie über völlig verschiedene Dinge gesprochen haben. Kaum ein anderes Genre vereint so viele unterschiedliche Erzähltraditionen und Plotstrukturen wie Fantasy. Schwingen Sie sich also auf den Rücken Ihres Lieblings-Hippogreif und lassen Sie uns einen Rundflug machen – damit Sie danach genau wissen, auf welcher Insel Sie mit Ihrem Fantasyroman landen.

Ab durchs Kaninchenloch und zurück zu den Wurzeln

Alles beginnt mit der Phantastik – das ist der Sammelbegriff für Literatur, in der die Wirklichkeit durch phantastische Elemente angereichert wird. Der bekannteste traditionell phantastische Roman ist Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ – der erste war er nicht, denn zuvor hatte sich bereits in Deutschland eine Tradition des Phantastischen gebildet. Stichwort hierzu ist das Kunstmärchen – Geschichten, die normal beginnen und allmählich ins Unheimliche, Übernatürliche, Phantastische abgleiten. E. T. A. Hoffmann ist einer der prominentesten Vertreter dieser Kunstrichtung.

„Alice im Wunderland“ ist bereits eine Weiterentwicklung des Kunstmärchens. Hier dringt das phantastische Element nicht in die normale Welt ein, sondern umgekehrt: das „normale“ Mädchen Alice besucht eine Phantasiewelt und interagiert mit deren Bewohnern. Diese Erzähltradition entwickelt sich im angloamerikanischen Sprachraum facettenreich weiter und bringt beispielsweise auch C. S. Lewis’ „Chroniken von Narnia“ hervor. In Deutschland bleibt es beim Kunstmärchen, bis im frühen 20. Jahrhundert sehr fantasielose Zeiten einsetzen.

Der Nationalsozialismus würgt die phantastische Literatur in Deutschland vollständig ab. Und das ändert sich auch nach dem Krieg kaum.

Zumindest gilt das für Erwachsene. Viele Klassiker der phantastischen Kinderliteratur stammen aus den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren: Ottfried Preußlers „Räuber Hotzenplotz“ und „Die kleine Hexe“, Michael Endes „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“.

In den Siebzigerjahren übernimmt eine neue Generation das Ruder. Gehorsam und Disziplin als oberste Erziehungsziele sind out. Kinder werden als Persönlichkeiten mit ihren ganz eigenen Bedürfnissen wahrgenommen. Im Fernsehen läuft die „Sendung mit der Maus“, und in den Bücherregalen der Kinderzimmer steht ein sonnengelb-weiß eingebundenes Buch namens „Momo“.

Nicht nur im Alphabet kommt B vor H, und so ist der erste Weltenwanderer in meiner persönlichen Leseerinnerung nicht Harry, sondern ein dicker Nerd namens Bastian Balthasar Bux, dem ein magisches Buch Zugang zu einer phantastischen Welt gewährt – zuerst als Zuschauer, später als Hauptakteur. Und die „Unendliche Geschichte“ nimmt das vorweg, was später mit Harry Potter zu einem globalen Phänomen wird: Das Buch wird für die Kinder gekauft und von den Eltern gelesen.

Wer hat’s erfunden?

Während in Deutschland die phantastische Literatur auf leisen Socken auf die Büchertische der Erwachsenen schleicht, ist im angloamerikanischen Sprachraum der „Herr der Ringe“ längst ein Klassiker. Das monumentale Werk des britischen Oxford-Professors gilt als der Urknall der modernen Fantasy. Tolkien ist der Erste, der auf ein Kaninchenloch verzichtet und den Leser mit einem eigenen Universum konfrontiert: Mittelerde, ein Kontinent, bevölkert von menschlichen und nicht menschlichen, friedlichen und kriegerischen Völkern. Kein „Game of Thrones“ wäre vorstellbar ohne den „Herrn der Ringe“. Fantasy ist im angloamerikanischen Sprachraum alles andere als Kinderkram.

Natürlich schwappen immer wieder Übersetzungen großer Fantasywerke auf den deutschen Markt und sichern sich dort für längere Zeit die Vorrangstellung innerhalb der Nische: Tolkien, Terry Brooks, Ursula K. Le Guin, Marion Zimmer Bradley. Dazwischen hält Wolfgang Hohlbein lange einsam die Fahne der deutschsprachigen Phantasten hoch. Trotzdem sitzt man als Leserin und Autorin von Fantasy immer noch am Katzentisch der Literatur und wird nicht recht ernst genommen.

Dann kommen die Neunzigjahre: die Zeit, als es noch nicht cool ist, ein Nerd zu sein. Die Rollenspiel-Welle ist endgültig aus den USA nach Deutschland geschwappt. Fantasyfans sind Freaks, sagen Sachen wie „Mein Schwert macht plus zwei auf Untote!“ und werfen „1 W 6“, um sich zwischen Kino und Spieleabend zu entscheiden. Fantasyliteratur ist immer noch eine Nische – aber eine, die inzwischen das halbe Zimmer einnimmt.

Dann kommt „Harry Potter“. Der Rest ist Geschichte.

Spielarten der Fantasy:

High Fantasy/Epische Fantasy
Romane, die in der Erzähltradition des „Herrn der Ringe“ stehen. Die Handlung trägt sich in einer eigenen Welt ohne Überschneidungen zur Lebenswirklichkeit der Leserinnen und Leser zu. Die Welt ist meist mittelalterlich geprägt; Fabelwesen und Magie gehören zum Alltag. Gut und Böse sind sauber getrennt; die Handlung läuft auf eine elementare Konfrontation beider Seiten hinaus, bei der den Helden die Aufgabe zufällt, die Welt zu retten.
Vertreter: J. R. R. Tolkien, G. R. R. Martin, Markus Heitz, Bernhard Hennen, Wolfgang Hohlbein

Low Fantasy/Sword and Sorcery
Romane, die in Setting und Ausstattung der High Fantasy ähneln, deren Fokus aber auf Einzelschicksalen und Charakterzeichnung liegt. Figuren sind nicht rein gut oder böse, sondern zwiespältig. Epische Schlachtenszenen fehlen meist, dafür glänzt gute Low Fantasy durch Actionszenen mit Schwertkampf und Zauberei, und gelegentlich verliebt sich auch mal jemand.
Vertreter: Robert E. Howard („Conan, der Barbar“), Trudi Canavan, David Gemmell, Susanne Pavlovic J

Urban/Contemporary Fantasy
Weltentwürfe, bei denen sich phantastische Elemente und alltägliche Welt mischen. Solche Romane sind oft, aber nicht immer in einem städtischen Umfeld angesiedelt. Die meisten Werwolf- und Vampirromane gehören in dieses Subgenre.
Vertreter: Bram Stoker („Dracula“), J. K. Rowling, Philip Pulman, Kai Meyer

Dark Fantasy
Fantasyromane, die in ihrem Charakter stark durch den Einsatz von Horror-Elementen geprägt sind. Die Helden sind übergeordneten Mächten oft hilflos ausgesetzt; in einem Katz-und-Maus-Spiel sind sie die Maus. Es wird die Klaviatur dunkler, negativer Emotionen gespielt. Größtes Ziel eines Helden in der Dark Fantasy ist es, zu überleben.
Vertreter: Wolfgang Hohlbein (mit einigen, nicht allen Werken), Robert Corvus, Stephen King

Romantic Fantasy
Eines der beliebtesten Genres überhaupt. Im Mittelpunkt steht hier die Liebesgeschichte. Erzählerisch folgt Romantic Fantasy den Traditionen des Liebesromans: eine Steigerung von Verwirrungen und Verwicklungen, gewürzt (je nach Alter der Zielgruppe) mit einem Schuss Erotik, bevor die Heldin ihren Traummann bekommt. Nur dass der Traummann hier eben auch ein Zentaur, Vampir oder Elf sein darf.
Vertreter: Stephenie Meyer, Nalini Singh oder Kerstin Gier

Autorin: Susanne Pavlovic | www.textehexe.com
In: der selfpublisher, Heft 2, Juni 2016