
Oder: Wenn du in einen Skandal gerätst – nutze ihn! Wer als Selfpublisher die Medien erreichen will, muss etwas wagen und darf sich nicht vor Kritik und Häme fürchten. Ein Erfahrungsbericht.
Neulich am Telefon: „Selfpublishing-Autoren besprechen wir grundsätzlich nicht“, sagt die Kulturjournalistin streng. „Aber es ist doch nichts Neues, wenn ein Autor nach dem zweiten Buch auch sein drittes in einem Verlag veröffentlicht“, argumentiere ich. „Es ist etwas Neues, wenn ein Schriftsteller sagt, ich nehme die Sache jetzt einmal selbst in die Hand und veröffentliche auf eigene Faust.“
„Wir machen das auch deshalb nicht, weil dieses Selfpublishing ja Ausbeutung der Autoren ist“, sagt die Kulturjournalistin. Ich bin erst einmal sprachlos und fühle mich wie ein bettelndes Kind, dem man kein Geld gibt, weil es sonst nicht zur Schule geht. Ich veröffentliche auch bei Verlagen und hätte gerne erklärt, wie wenig Geld dabei beim Autor bleibt. Doch das Gespräch ist bereits zu Ende. Die Kulturjournalistin hat Wichtigeres zu tun, als sich mit dem literarischen Lumpenproletariat zu beschäftigen.
Besprich! Mein! Buch!
Tatsächlich wird es immer schwieriger, Aufmerksamkeit für das eigene Buch zu erzeugen. Vor allem bei Multiplikatoren wie Journalisten und Bloggern. Die Gatekeeper der Branche erhalten heute unzählige Nachrichten. Der Inhalt ist immer der Gleiche: Besprich! Mein! Buch! Wer sich hier durchsetzen will, muss auffallen. Neue Wege gehen.
Für „Die Rückkehr des Sandmanns“, mein erstes Buch, das ich bewusst keinem Verlag angeboten, sondern als Selfpublisher veröffentlicht habe, beschließe ich deshalb, etwas zu wagen. Ich will Aufmerksamkeit erzeugen, schließlich steht die „Attention“ an der Spitze der AIDA-Marketing-Pyramide (Attention, Interest , Desire, Action). Meine Aktion soll auffallen, für Diskussionen sorgen und, ja, gerne auch ein wenig polarisieren.
Ich verschicke Todesanzeigen.
Moment, Moment, das hat sehr wohl einen Sinn! Denn die Anzeigen passen zum Buch: Es geht um das Spiel von Schein und Sein, konkret um die Frage, ob eine der Hauptprotagonistinnen noch lebt. Aufgebaut ist die Todesanzeige wie ein guter Thriller: Zum Start ein Zitat von E.T.A. Hoffmann, dann eine kurze Beschreibung der verstorbenen Person. Ein Hinweis darauf, dass sie nicht nur eine gute Tochter, sondern auch eine fantastische Liebhaberin war. Ein erster Haarriss im Konstrukt also: Kann das wirklich sein, dass das in einer Todesanzeige steht? Dass die oder der Verstorbene gut im Bett war?
Weiter geht es mit den Namen der Trauergemeinde, ein kurzes retardierendes Element. Dann kippt die Geschichte: Die Empfänger werden aufgefordert, die Spekulationen zu unterlassen, dass Mona – so heißt die lebende Tote – noch lebt. Dann die Auflösung: Wer mehr über das Buch erfahren will, das von Monas Leidensweg kündet, der möge bitte meine Website besuchen.
Natürlich rechne ich mit Protesten. Auch wenn ich die Anzeigen nur an Krimiblogger schicke, die so einiges gewöhnt sind. Einige berichten von Graberde, die aus verschickten Briefumschlägen rieselt, von blutgetränkten Glacéhandschuhen, Drohbriefen und Voodoo-Puppen, die sie erhalten haben, stets von Autoren oder Verlagen versandt. Und immer verbunden mit der erwähnten Aufforderung: Besprich! Mein! Buch!
Mir ist es lieber, wenn mich fünf Blogger hassen und fünf andere die Aktion cool finden, als dass mich zehn Blogger gar nicht kennen.
Es stürmt
Jetzt kennen mich alle. Denn eine Bloggerin hackt unter der Überschrift „Schrei des Entsetzens" ihren eigenen Krimi in die Tastatur: Der Postbote habe meinen Brief mit Trauermiene überreicht und gefragt, ob er seelischen Beistand leisten solle. „Meine Knie zittern, vor meinen Augen flimmert’s“, dramatisiert die Bloggerin und findet schließlich Unsägliches im Umschlag: Werbung! Ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sei diese Aktion, ja, Körperverletzung! Statt mein Buch zu besprechen, erklärt sie mich zur „Persona non grata“. Auf Lebenszeit. Und sie schaltet „den Werberat“ ein.
Auf ihren bei Facebook geteilten Post hin entfaltet sich ein unsäglicher Shitstorm. Die Polarisierung scheint also aufzugehen. Nur dass ich an einem Pol stehe und das restliche Internet auf der anderen. Nicht alle finden die Aktion „geschmacklos und widerwärtig“. Einer schreibt: „Das sehe ich nicht so. ABSOLUT geschmacklos und ABSOLUT widerwärtig trifft es eher.“ Ein anderer fordert: „Man sollte diesen Verbrecher von Autor einsperren!“ Ein Mädchen, das auf ihrem Profilbild verträumt dreinschaut, kann nur noch sagen: „Dass es so böse Menschen wirklich gibt.“ Andere spucken nur ein „PFUI!!!“ auf den Bildschirm.
Eine Bloggerin muss zerknirscht einräumen, schon Bücher von mir gelesen zu haben, „volle Punktzahl“, gesteht sie ihnen zu. „Niemand sagt, dass der Autor schlecht schreibt. Für mich hat er aber verloren. Da kann er noch so super schreiben.“ Das wird das neue Credo vieler Blogger. Dieser Autor wird boykottiert, schwört sich die Mehrheit ein. Die Phalanx schließt sich.
Das Entsetzen ist teilweise verständlich, denn die erste Bloggerin hat das Trauerschreiben zensiert, wichtige Details zur Erklärung des Ganzen nonchalant mit einem Blatt überdeckt. So fehlt dem Brief die Auflösung des Ganzen, die besagt: Hallo, das ist nur Werbung! Kein Wunder, dass mich die Meute an den Pranger stellt.
Kontrolle zurückgewinnen
Doch so schnell gebe ich nicht auf. Meine Maxime: Wenn du in einen Skandal gerätst – nutze ihn! Also leite ich den Proteststurm durch eigene Posts auf meine Facebook-Seite um. Ich verfolge damit drei Ziele: Erstens kann ich den Shitstorm besser kontrollieren. Zweitens kann ich der Zensur begegnen und dort den kompletten Brief zeigen. Und drittens mobilisiere ich eigene Freunde, sich an der Diskussion zu beteiligen. Ich selbst halte mich zurück, ertrage stumm, nehme hin, lasse mich bewerfen mit ... Shit.
Immerhin: Die Strategie geht auf. Mehr und mehr Blogger verstehen die ganze Aufregung nicht. Wer nicht erkenne, dass es sich hierbei um den Lausbubenstreich eines Autors handle, könne auch kein Auto von einem Schaf unterscheiden. Viele sind der Meinung: Das Urteil über ein Buch hänge nicht an der Aussage der Werbeanzeige – das sei unprofessionell. Überhaupt: Meinung! Plötzlich haben alle eine Meinung zu Buch und Autor. Eine neue Form der Beschwerde erreicht mich: Hey, warum hast du mich übersehen – ich will auch die Todesanzeige!
Die nächsten Tage kosten Geld. Denn ich muss mehr Rezensionsexemplare verschicken als erwartet. Die Reaktionen sind fast überwiegend positiv – auch wenn nicht allen die PR-Aktion passt.
Zudem nimmt mich „Was liest du?“, das Onlineforum für Verlagsautoren, als wahrscheinlich ersten Selfpublisher ins Interview. Bei so viel Aufregung lassen sich auch die traditionellen Medien nicht lumpen. Die Münchner Boulevardzeitung TZ titelt: „Shitstorm wegen dieser Todesanzeige“ und stellt im Artikel fest: „Die Rezensionen der Kunden fallen ausnahmslos gut bis sehr gut aus.“ Die Süddeutsche Zeitung schickt mir einen Fotografen nach Hause und macht einen Beitrag zum Thema Selfpublishing mit meiner Geschichte auf. Und das Fachmedium Pressesprecher kommt zu dem Schluss: „Ein trauriges Ende einer vermurksten PR-Aktion? Eher nicht: Der Auflage wird’s nicht schaden. Und das Outlaw-Image ist schließlich nicht das schlechteste für einen Krimiautor.“
Mittlerweile melden sich sogar Frauenmagazine und Lifestyletitel bei mir, die die Geschichte interessiert. Und der Selfpublishing-Verlag Books on Demand, bei dem mein Buch in der Print-Ausgabe erscheint, hat mich als PR-Berater für seine Autoren engagiert. Nur die Kulturjournalistin hat sich nicht mehr bei mir gemeldet. Wahrscheinlich aufgrund eherner Prinzipien. Oder weil sie mich vor mir selbst schützen will.
Foto: Oliver Jung