Künstliche Intelligenz spielt in Zukunft eine immer größere Rolle - auch in der Buch- und Medienbranche. Das hat Auswirkungen darauf, wie wir geistiges Eigentum definieren. Und das wiederum darauf, wie viel Autorinnen und Autoren verdienen. In der WIPO wird darüber derzeit heftig diskutiert. Auch das EWC positioniert sich. – Und was denken Sie?
Was, wenn Firmen Romane verkaufen, die von Computern geschrieben werden, die man zuvor mit Tausenden von Werken von Autorinnen und Autoren gefüttert hat? Wer ist der geistige Schöpfer dieser Romane und für deren Inhalte verantwortlich? Sind Autor*innen lästige Fortschrittsverweigerer, wenn sie ihre Werke nicht beisteuern wollen? Können sie das in Zukunft überhaupt verhindern? Geht es bei Künstlicher Intelligenz (KI) um die Entwicklung innovativer Produkte, die die Menschheit voranbringt? Oder um Profitmacherei auf dem Rücken der Kreativen?
Entwurf der WIPO
Seit einiger Zeit ist eine Diskussion über Künstliche Intelligenz und geistiges Eigentum im Gange, die uns alle betrifft. Geführt wird sie von der WIPO. W steht für World, IP für Intellectual Property – auf Deutsch „geistiges Eigentum“ – und O für Organization. 193 Staaten sind Mitglied dieser weltweiten Organisation mit Sitz in Genf. Da sich mit geistigem Eigentum viel Geld verdienen lässt, geht es bei der WIPO auch um Macht und Einfluss und darum, politisch weltweit die Weichen zu stellen.
Am 13. Dezember 2019 hat die WIPO ein Themenpapier mit 13 Punkten veröffentlicht und weltweit um Mitarbeit gebeten. Dieses Papier und die mehr als 250 Stellungnahmen, die dazu eingingen, stehen online auf der Website der WIPO. Anfang Mai geht der Entwurf in die nächste Runde.
Zu den Organisationen, die sich an der Diskussion beteiligen, zählt auch das European Writers’ Council (EWC).
EWC zum WIPO-Entwurf
Das European Writers’ Council (EWC) vertritt die Interessen von 150.000 Autor*innen des Buch- und Textsektors aus 41 Organisationen in Europa und nicht EU-Ländern, die in 31 Sprachen und in allen Genres schreiben und veröffentlichen. EWC-Präsidentin ist die deutsche Bestsellerautorin Nina George. Ihre EWC-Stellungnahme zum WIPO-Entwurf liegt der WIPO in Englisch vor. Im Folgenden einige Passagen daraus in deutscher Sprache:
„[WIPO:] ‚AI applications are capable of producing literary and artistic works autonomously.‘ [= KI-Anwendungen sind in der Lage, literarische und künstlerische Werke selbständig zu produzieren.]
[EWC:] Dieser These stimmen wir nicht zu. Maschinengenerierte Texte schaffen kein literarisches oder künstlerisches Werk, da sich dieses durch eine originäre menschliche Eigenschöpfung auszeichnet.
Maschinengenerierte Texte erschaffen nichts Neues, nichts Eigenes, sie referenzieren ausschließlich auf bestehende Originale. Auch kuratierende oder zufallsgenerierte Textformen beziehen sich und schöpfen ausschließlich auf und aus bestehenden eigenschöpferisch und individuell geschaffenen, urheberrechtlich geschützten, und, auch das ist ein Aspekt, rechtskonform gestalteten Werken. Rechtskonform im Hinblick zum Beispiel auf Persönlichkeitsrechte oder Zitation. Hier ist auch der Verantwortlichkeitsaspekt zu beachten, den menschliche Urheber beachten, die maschinengenerierte Textgeneratoren nicht leisten können.
Und so fügen maschinengenerierte Textformen der literarischen Welt keinerlei zusätzliche Erkenntnis, keine originäre und eigenschöpferische, selbst erlebte, durch die Individualität in der Gegenwart einzigartig gefärbten, authentischen Inhalte hinzu.
Deswegen sind die Ergebnisse von Textrobotern keinesfalls mit literarischen oder künstlerischen Werken gleichzusetzen. [...]
Hier bitten wir um eine deutliche Korrektur dieser unzutreffenden Basis-These, dass es sich bei maschinengenerierten Textformen um autonom gestaltete literarische oder künstlerische Werke handelt, denn das Gegenteil ist der Fall: Nichts davon ist autonom, sondern alles kopiert; keine einzige Betrachtung ist eigenschöpferisch entstanden. [...]
Im Urheberrecht liegt die Urheberpflicht, sich für das zu verantworten, was man wie schreibt und veröffentlicht. Eine Maschine kann keine Pflicht der Verantwortung übernehmen, und hat auch damit das Recht auf Urheberschaft verwirkt. [...]
Nationale Rechtsprechung [muss] ganz klar auf der Seite der menschlichen Urheber stehen und ihnen u. a. opt-out-Verfahren sowie eine gesetzliche Vergütung zusprechen und außerdem Beteiligungen an jeglichen monetären Umsätzen, die mit einer AI [Artificial Intelligence = KI] gemacht werden, die von ihnen lernt, kopiert, zitiert und wieder verwendet. [...]
Auch Entwicklungen und Entdeckung von neuen Möglichkeiten innerhalb Institutionen, die innovativ tätig sein wollen, haben alle Chancen, dazu auf Leistungen von Urhebern zurückzugreifen – unter gerechten, fairen Bedingungen. Als da wären Freiwilligkeit, Vergütung und Transparenz.
Keinesfalls sollten Urheberrechtsverletzungen, die ja auch eine Verletzung von Investitionen darstellt, weniger gelten als Innovationsabsichten.
Diese müssen nicht auf Kosten von Autorinnen getätigt werden, um sich hierfür Ausgaben und wohlwollendes Verhalten zu sparen.
Denn dann wird auch die Künstliche Intelligenz der Zukunft ethisch wenig Rückgrat haben: denn auch darum geht es. Um Ethik und soziale Normen für das Verhalten und die Reaktionen automatisierter, maschinen-gesteuerter Applikationen.
Hier sollten bereits ihre Entwickler größte Sorgfalt in ihr eigenes Verhalten investieren. [...]
Anstatt ein Entweder-oder in der Lösungsfindung aufzubauen, wäre es die Chance, in ‚und‘ zu denken. Urheberrecht UND Innovation – denn Autoren und jeder Urheber sind der Kern aller Innovation. [...]“
Ist DeepL »intelligent«?
Die deutsche Website des EWC ist bei ver.di angesiedelt. Leider gibt es die EWC-Stellungnahme dort nicht auf Deutsch. Wer sich diese Stellungnahme oder eine der anderen Stellungnahmen zum WIPO-Entwurf oder diesen Entwurf selbst ins Deutsche übersetzen lassen möchte, kann das mit einer schwachen KI-Anwendung tun, etwa dem Übersetzungsprogramm DeepL. Ob bei einem derartigen Tool der Begriff »Intelligenz« allerdings angemessen ist, sei dahingestellt.
Auch zu DeepL gibt es in der EWC-Stellungnahme eine Passage: »Translation programs learn faster – but their word-for-word translation takes no account of allusions, metaphors, irony, the nuances of synonyms or sentence rhythm. So DeepL can translate for example shorter texts in one of big nine world languages bases, but not without an editorial and linguistic like narrative intensive revision, around insinuations, bon mots or slang adequately into the other culture area transfer. Even for minority languages, there will most likely not be any neural network machine translation, because the transfer data is too small to learn from them. In the long run this would mean, we are facing a loss of minority languages.
Some Member State governments already use automatic translators like DeepL for legislative texts. There is a high risk here that, due to mechanical shortcomings, different interpretations of a law are in circulation and lead to disastrous consequences. Accordingly, we are astonished that some publishers sell automatically translated books, saving themselves fees while claiming copyright on the translations for themselves. It is also unclear how automatic translations of news pages are linked to the neighbouring copyright law to press oublishers in order to remunerate further use of journalistic texts accordingly. There will be even greater legal loopholes and literary accidents (pardon) in the future, and so we welcome WIPO's move towards coordinated conversation.«
DeepL übersetzt das so: »Übersetzungsprogramme lernen schneller – aber ihre wortgetreue Übersetzung berücksichtigt weder Anspielungen, Metaphern, Ironie, die Nuancen von Synonymen noch den Satzrhythmus. So kann DeepL zum Beispiel kürzere Texte in eine der großen neun Weltsprachengrundlagen übersetzen, aber nicht ohne eine redaktionelle und sprachlich wie narrative intensive Überarbeitung, um Andeutungen, Bonmots oder Slang adäquat in den anderen Kulturraum zu übertragen. Selbst für Minderheitensprachen wird es höchstwahrscheinlich keine maschinelle Übersetzung über neuronale Netze geben, weil die Transferdaten zu klein sind, um aus ihnen zu lernen. Langfristig würde dies bedeuten, dass wir mit einem Verlust von Minderheitensprachen konfrontiert sind.
Die Regierungen einiger Mitgliedstaaten setzen bereits automatische Übersetzer wie DeepL für Gesetzestexte ein. Es besteht hier ein hohes Risiko, dass aufgrund mechanischer Mängel unterschiedliche Interpretationen eines Gesetzes im Umlauf sind und zu katastrophalen Folgen führen. Dementsprechend erstaunt es uns, dass einige Verlage automatisch übersetzte Bücher verkaufen und damit Gebühren sparen, während sie das Urheberrecht an den Übersetzungen für sich beanspruchen. Unklar ist auch, wie automatische Übersetzungen von Nachrichtenseiten mit dem benachbarten Urheberrecht an Presseverlage gekoppelt werden, um die weitere Nutzung von journalistischen Texten entsprechend zu entlohnen. Es wird in Zukunft noch größere Rechtslücken und literarische Unfälle (Pardon) geben, und deshalb begrüßen wir den Schritt der WIPO zu einem koordinierten Gespräch.«
Links
> www.wipo.int/about-ip/en/artificial_intelligence/call_for_comments/submissions.html
> https://www.wipo.int/export/sites/www/about-ip/en/artificial_intelligence/call_for_comments/pdf/org_european_writers_council.pdf
> http://europeanwriterscouncil.eu/wp-content/uploads/2019/10/EWC-response-on-WIPOIPAI2GE201.pdf
> https://vs.verdi.de/ewc
> https://www.deepl.com/translator
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