Die Übersetzerinnen haben sich Anfang Oktober 2024 mit einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt. In dem Brief geht es um die üblen Manga-Honorare der Manga- und Light Novel-Übersetzer. Seit Jahren verdienen sie immer weniger. Das wollen sie nicht länger hinnehmen.
Manga boomen wie nie zuvor, trotzdem verdienen die Übersetzer effektiv immer weniger. Ihr Honorar fällt inflationsbereinigt bei einigen Verlagen sogar bis zu 30 Prozent niedriger aus als noch vor zehn Jahren. Mit einem Offenen Brief laden sie die Verlage ein, mit ihnen in den Dialog zum Thema Manga-Honorare zu treten. Denn sie möchten ihre deutschsprachigen Fans auch in Zukunft mit vielen fantastischen Manga und Light Novels versorgen können.
Manga-Honorare für Übersetzungen sind Hungerlöhne
Verfasst wurde der Offene Brief zum Thema Manga-Honorare vom VdÜ, das ist der Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. Hier die Langversion des Offenen Briefes.
Oktober 2024
Betreff: Offener Brief zur Honorarsituation der Manga- und Light Novel-Übersetzenden im deutschsprachigen Raum
Liebe Manga-Verlage,
Tag für Tag bauen wir Übersetzenden Brücken zwischen Kulturen, doch unser eigenes Fundament bröckelt – und zwar gewaltig: Laut einer internen Umfrage können sich 57 Prozent der Befragten nicht vorstellen, langfristig unter den aktuellen Bedingungen weiterzuarbeiten.
Manga boomen wie nie zuvor. In den letzten zehn Jahren, insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie, ist der Markt enorm gewachsen: Laut einem Tagesschau-Bericht gab es
„zwischen 2018 und 2022 eine Umsatzsteigerung von 38 Millionen auf 106 Millionen Euro“. Das entspricht beinahe einer Verdreifachung des Umsatzes innerhalb von nur vier Jahren. Dieser wirtschaftliche Erfolg spiegelt sich jedoch nicht in unseren Honoraren wider, obwohl ohne uns kein einziger Titel in deutscher Sprache erscheinen könnte. Trotz gestiegener Preise für ihre Endprodukte haben deutschsprachige Manga-Verlage die Honorare für Übersetzungen in den letzten zwanzig Jahren kaum oder nur so geringfügig erhöht, dass nicht einmal ein Inflationsausgleich erzielt wird. Kurzum: Während sich Manga und Light Novels im deutschsprachigen Raum immer besser verkaufen, verdienen Übersetzende pro Band mit jedem Jahr effektiv weniger.Um zu überleben, müssen wir immer mehr Manga und Light Novels in immer kürzerer Zeit ins Deutsche übertragen. Im Mittel wären etwa fünf Manga-Bände pro Monat zu bearbeiten, um ein existenzsicherndes Einkommen zu erwirtschaften, bei vielen Verlagen wären es sieben oder mehr. Die Übersetzung eines Manga mit durchschnittlicher Textmenge nimmt jedoch bereits etwa eine Arbeitswoche in Anspruch.
Diese Entwicklung wirkt sich negativ auf unsere körperliche und vor allem mentale Gesundheit aus, gefährdet unsere Existenz und hindert uns daran, die Zeit und die Hingabe aufzubringen, die die Texte verdienen. Der übliche kalkulatorische Stundensatz für freiberuflich Übersetzende liegt bei 70 bis 120 Euro. Nach unserer internen Umfrage erzielen Manga-Übersetzende ein Stundenhonorar von durchschnittlich 28,32 Euro. Im Bereich Light Novels ist die Lage mit 29,09 Euro ähnlich gravierend. Davon müssen wir neben dem Lebensunterhalt auch alle Kosten tragen, die für Freiberufliche anfallen, wie Steuern, Versicherungen, Betriebskosten und Vorsorge. Die aktuellen Honorarsätze sind wirtschaftlich nicht tragbar und reichen nicht zum Leben. Darüber hinaus sind die vertraglichen Hürden zur Gewinnbeteiligung so hoch, dass sie kaum zu überwinden sind. Somit stellen auch potenzielle Tantiemen keinen Ausgleich für die niedrigen Honorare dar.
Trotz wiederholter Gesprächsgesuche zeigt der größte Teil der Verlage keinerlei Verhandlungsbereitschaft. Das empfinden wir als Ausdruck mangelnder Wertschätzung. Erfahrungsgemäß drohen uns bei Forderungen nach Honoraranpassungen, selbst nach langjähriger professioneller Übersetzungsleistung, der Verlust des Auftrags und in manchen Fällen sogar der vollständige Abbruch der Geschäftsbeziehung. Dass ausgerechnet Manga- und Light Novel-Verlage dabei die Komplexität ihrer eigenen Produkte argumentativ bagatellisieren, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Die Folgen dieser Honorarpolitik tragen wir konkret in unserem täglichen Leben: Viele sind gezwungen, weiteren Tätigkeiten nachzugehen und an zahlreichen Wochenenden zusätzlich zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, oder sie sind finanziell abhängig vom Partner bzw. der Partnerin, insbesondere in puncto Familiengründung. Für die meisten von uns ist es schwierig, sich länger als ein oder zwei Tage freizunehmen, ohne danach das doppelte Arbeitspensum stemmen oder sich Sorgen um die nächste Mietzahlung machen zu müssen – von Urlaub ganz zu schweigen. Dies führt zu Überarbeitung, Burnout und/oder einem Leben am Existenzminimum sowie auf lange Sicht zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen und einem hohen Risiko, in Altersarmut zu fallen.
Die Geschäftspolitik der Verlage und die schlechten Arbeitsbedingungen für uns Übersetzende schaden nicht zuletzt auch den Endprodukten im Regal: den Manga und den Light Novels, für die Fans mit ihrem Geld bezahlen.
Daher fordern wir:
- Eine Erhöhung der Grundhonorare und die Abrechnung nach Normseiten gemäß dem Vertrag zwischen VdÜ und Börsenverein.
- Einen regelmäßigen Inflationsausgleich.
- Eine Staffelung der Honorare bei langjähriger Zusammenarbeit.
- Die Möglichkeit zur Nachverhandlung bei unverhältnismäßigem Mehraufwand (z. B. Recherche für Manga mit historischem Setting) bzw. Aussicht auf Recherchepauschalen und Eilzuschläge.
- Faire Tantiemenregelungen ohne Verrechnung mit dem Basishonorar: Wir verlangen eine Beteiligung ab dem ersten verkauften Exemplar (in Anlehnung an die Gemeinsame Vergütungsregel des VdÜ; vgl. BGH-Urteile von 2009 und 2011).
- Keine unbezahlte Arbeit: Auch die Beschaffung und die Vorbearbeitung des Arbeitsmaterials (Einscannen u. Nummerieren der Seiten), die Glossarführung sowie das Prüfen von Korrekturfahnen müssen angemessen vergütet werden.
Wir sind uns bewusst, dass die obigen Forderungen nicht von heute auf morgen umsetzbar sind. Wir sehen auch die Bestrebungen einzelner Verlage, bessere Bedingungen für Übersetzende zu schaffen, und wissen diese zu schätzen. Dennoch: Kaum ein deutschsprachiger Manga- oder Light-Novel-Verlag zahlt aktuell faire und unserer Leistung entsprechende Honorare. Verlage müssen wirtschaftlich handeln, um zu überleben. Dasselbe gilt auch für uns.
Die jetzige Situation ist weder tragbar noch nachhaltig. Wir laden die Verlage ein, mit uns in den Dialog zu treten, damit wir die deutschsprachige Leserschaft auch in Zukunft mit vielen fantastischen Manga und Light Novels versorgen können.
Auf change.org kann man außerdem eine Petition unterzeichen. In der Hoffnung, dass die Manga-Honorare endlich ein akzeptables Niveau erreichen, haben das schon über 1.600 Personen getan.
Blogbild: (c) VdÜ