
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) Berlin hat eine Broschüre zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken veröffentlicht. Denn deutsche Bibliotheken sind immer häufiger das Ziel von Rechtsextremisten. Die Handreichung enthält viele Praxistipps und Argumentationshilfen.
Nicht nur in den USA oder in Polen, Ungarn, Frankreich und Italien unterwandern Rechtsextreme die Demokratie und greifen Bibliotheken an. Auch in Deutschland gehört das leider längst zum Alltag. Was die Mitarbeiter:innen von Bibliotheken dagegen tun können, erklärt eine Broschüre, die jetzt erschienen ist. Sie heißt »Alles nur leere Worte? – Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken«. Die Handreichung gibt zahlreiche Tipps für die Praxis. Herausgegeben haben sie der Verein für Demokratische Kultur in Berlin (VDK) e.V. und Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR).
Die Broschüre richtet sich in erster Linie an die Beschäftigten von Bibliotheken. Sie »soll Mitarbeitenden von Bibliotheken im Kulturkampf von rechts Orientierung geben und sie darin unterstützen, Handlungsmöglichkeiten für einen souveränen Umgang zu entwickeln«. So steht es im Vorwort.
Aus dem Vorwort der Broschüre
Das Vorwort hat die Projektleiterin Bianca Klose geschrieben. Darin heißt es unter anderem:
"Dieser Kulturkampf von rechts ist nicht neu – er war von jeher Teil der Strategie des Rechtsextremismus sowie der »Neuen Rechten« –, und er ist auch nicht auf Deutschland beschränkt. [...] Überall geht es darum, progressive gesellschaftliche Entwicklungen rückgängig zu machen und Kräfte zu stoppen, die »das Volk«, »die Identität«, »die Familie«, »die Heimat« etc. angeblich bedrohen und zersetzen. Waren es einst vor allem Kommunist_innen und Sozialist_innen, die im Kulturkampf von rechts als Feinde bedrohter Werte ausgemacht wurden, sind es heute »Liberale« und »Globalisten«, die Klimabewegung, die LGBTIQ+ Community, »Wokeness« und mitunter sogar Drag-Queens. [...]
Bibliotheken sind kein wertfreier Ort. Bibliotheken stehen in der langen Tradition der Aufklärung, der Begegnung und des Dialogs, und sie schaffen damit überhaupt erst einen der verschiedenen öffentlichen Räume, durch die sich die demokratische Gesellschaft auszeichnet – und die wie alle demokratischen Errungenschaften keineswegs selbstverständlich sind und die es deshalb zu schützen gilt. Allein diese Aufgabe, ein Ort der Öffentlichkeit zu sein, fordert von den Bibliotheken, sich ihres Selbstverständnisses und ihres Selbstanspruchs zu vergewissern und sich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Polarisierung zu verorten.
Eine zentrale Frage für Bibliotheken ist der Umgang mit rechtsextremen, rechtspopulistischen, rassistischen, antisemitischen und verschwörungsideologischen Medien. Grenzüberschreitende Äußerungen werden aber nicht nur über das gedruckte Wort getätigt, sondern auch im Dialog und in der Diskussion. Hier sind Bibliotheken gefordert, ihre Räume diskriminierungsarm zu halten und sich gegenüber denjenigen eindeutig zu positionieren, die gezielt oder auch unbewusst rote Linien überschreiten.
Darüber hinaus sind Bibliotheken aber auch mitunter selbst von Angriffen betroffen und dadurch gezwungen, zu reagieren und Haltung zu zeigen: Ob im Fall von Versuchen der Einflussnahme aus dem parlamentarischen Raum, etwa durch die AfD, ob im Fall von Beleidigungen und Bedrohungen im analogen oder digitalen Raum, oder ob durch Akte der Zerstörung von bibliothekarischem Eigentum. All das sind zurzeit akute Fälle, die eine umsichtige Entscheidung und eine wohl-überlegte öffentliche Kommunikation verlangen und auf die alle Mitarbeitenden von Bibliotheken vorbereitet sein müssen.
Was ist z.B. zu tun, wenn, wie bei einem Vortrag einer Rechtsextremismus-Expertin in der Stadtbibliothek Erlangen im Mai 2023, mehrere einschlägig bekannte Rechtsextreme gekommen sind und fotografieren? Einerseits ist es die Linie der Stadt Erlangen, dass öffentliche Veranstaltung eben öffentlich sind und auch Rechtsextreme ein Recht auf Bildung haben. Andererseits gilt es, die Persönlichkeitsrechte der Referentin zu wahren und sie in dieser bedrohlichen Situation zu schützen. Und was tun, wenn, wie im Juni 2023 in der Stadtbibliothek München, eine Lesung aus Kinderbüchern von einer Autorin und zwei Drag-Künstler_innen angekündigt ist und allein die Ankündigung zu wütenden Reaktionen von Politiker_innen führt, sogar ein Verbot der Veranstaltung verlangt wird und schließlich organisierte Rechtsextreme Protest vor Ort ankündigen?"
Gliederung der Broschüre »Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken«
Die 62-seitige Broschüre gliedert sich in drei Kapitel mit folgenden Unterkapiteln:
1. Akteur_innen und Netzwerke des Kulturkampfs von rechts
- Kampf um kulturelle Hegemonie
- Rechtsextremismus ist kein Randphänomen
- Die »Neue Rechte« und der Kulturkampf
- Akteur_innen der »Neuen Rechten«
- Die AfD kann die Machtfrage stellen
2. Herausforderungen für Bibliotheken im Kulturkampf von rechts
- Umgang mit rechten Medien
- Forderung nach politischer Neutralität
- Verschiebung des Sagbaren Versuche der parlamentarischen und institutionellen Einflussnahme
- Raumanfragen
- Störungen und Propaganda
- Angriffe aus dem digitalen Raum
- Anfeindungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen
3. Handlungsempfehlungen
- Demokratisches Leitbild als Grundlage
- Klarheit über Begriffe erlangen
- Souveräner Umgang mit rechten Medien im Bestand
- Störungsfreie Veranstaltungen
- Aufnahme von Antidiskriminierungsklauseln in die Haus- und Benutzungsordnung
- Rechtsextreme und rechtspopulistische Anmietungsversuche abwenden
- Positionieren im Bewusstsein möglicher Anfeindungen
- Anfragen aus den Parlamenten selbstbestimmt begegnen
- Umgang mit Kommentaren und Kampagnen in den Sozialen Medien
- Umgang mit bedrohlichen Anrufen und Zuschriften
- Umgang mit rechtspopulistischen und rechtsextremen Äußerungen und direkten Störungen
- Gemeinsam stark sein
ANHANG: Den Anhang bildet eine »Checkliste für das Gelingen von Veranstaltungen«.
Bibliotheken sind kein wertfreier Ort, sondern Orte der Aufklärung, der Begegnung und des Dialogs
Aus der Einleitung:
»Der Aufstieg des parteiförmigen Rechtspopulimus, die rassistischen Mobilisierungen seit 2015 und die enorme gesellschaftliche Verbreitung von Verschwörungsideologien, die während der Corona-Pandemie deutlich wurde, haben zu einer Veränderung des gesellschaftlichen Klimas geführt. Diese Veränderung ist Grundlage für den Kulturkampf von rechts: Dieser Kulturkampf setzt bei der Schaffung und Beeinflussung von Debatten an, stellt zentrale gesellschaftliche Werte- und Moralvorstellungen infrage und plädiert für einen autoritären Umbau der Gesellschaft. Er ist wesentlicher Bestandteil der Strategie von Rechtsextremen und Rechtspopulist_innen, die Machtverhältnisse zu verändern. Eine wichtige Rolle spielen dabei publizistische Mittel, womit auch Bibliotheken zu bedeutenden Schauplätzen für den Kulturkampf von rechts werden.
Die Entstehung, Festigung und Vernetzung einer Reihe von rechten Verlagen haben dazu geführt, dass in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von rassistischen, rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Büchern in die Bestsellerlisten und damit schließlich auch in die Bibliotheken gelangte. Bibliotheken schaffen Publikationen an und stellen diese zur Verfügung – sie sind aber kein wertfreier Ort, der lediglich der Aufbewahrung von Büchern dient. Sie sind Orte der Aufklärung, der Begegnung und des Dialogs. Zwischen diesem Anspruch an sich selbst einerseits und der Verortung in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Polarisierung andererseits ist es wichtig, als Bibliothek Haltung zu zeigen.
Bibliotheken sind mit dem Problem konfrontiert, wie sie ihre Räume diskriminierungsarm halten können und einen Umgang mit denjenigen finden, die bewusst oder unbewusst rote Linien überschreiten. Eine weitere Herausforderung besteht darin, mit Rechtsextremen bzw. Rechtspopulist_innen umzugehen, die Räume in der Bibliothek anmieten. Eine Strategie von Rechtsextremen und Rechtspopulist_innen besteht in der Anfeindung der demokratischen Zivilgesellschaft – auch Bibliotheken können davon betroffen sein, etwa durch parlamentarische Einflussnahme, aber auch durch Beleidigungen und Bedrohungen im analogen wie im digitalen Raum.«
Grenzen der Meinungsfreiheit
"Wo Rechtsextreme und Rechtspopulist_innen den Versuch unternehmen, sich zu einem normalen Teil des demokratischen Spektrums zu erklären, wo sie unter Berufung auf die Meinungsfreiheit diskriminierende Positionen verbreiten und Widerspruch als »Zensur« oder mangelnde Neutralität auslegen, ist es für die eigene Argumentationssicherheit umso wichtiger, ein klares Verständnis davon zu haben, was unter Demokratie, Meinungsfreiheit, politischer Neutralität oder Zensur eigentlich zu verstehen ist und was diese Begriffe im Rahmen des bibliothekarischen Auftrags genau bedeuten. [...]
Im Zuge des Kulturkampfs von rechts werden Begriff und Konzept der Meinungsfreiheit jedoch häufig von Rechtsextremen und Rechtspopulist_innen instrumentalisiert, um sich als Opfer zu inszenieren. Dabei werden immer wieder (bewusst) drei Grenzen der Meinungsfreiheit ausgeblendet:
Erstens wird das Recht auf Meinungsfreiheit im 2. Absatz des Art. 5 u.a. durch allgemeine Gesetze - vor allem die Strafgesetze – beschränkt, die etwa Beleidigungen oder Volksverhetzung unter Strafe stellen. Aussagen, die falsche Tatsachenbehauptungen beinhalten, sind ebenfalls nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.
Zweitens beinhaltet das Recht auf Meinungsfreiheit nicht, vor Kritik oder Widerspruch durch andere geschützt zu sein. Vielmehr ist es gerade ein solcher Widerstreit zwischen (nicht strafbaren) Positionen, der durch die Meinungsfreiheit geschützt werden soll.
Drittens leitet sich aus dem Recht auf Meinungsfreiheit kein Anspruch darauf ab, dass diese Meinung an einem bestimmten Ort verbreitet werden kann. Im Fall von Bibliotheken etwa ist selbst bei den größten Häusern immer eine Auswahl von Inhalten notwendig, die in fachlichen Händen liegt und nach festgelegten Kriterien erfolgt. [...]
Das Grundgesetz und das darin verankerte oberste Prinzip der Menschenwürde bilden die verbindliche Orientierung für alle demokratischen Institutionen. Daraus ergibt sich auch die Zulässigkeit, wenn nicht in manchen Fällen sogar der Auftrag, antidemokratischen, diskriminierenden und minderheitenfeindlichen Positionen deutlich zu widersprechen.
Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) ist seit 2001 Anlaufstelle für alle, die bei konkreten rechtsextremen, rechtspopulistischen, rassistischen, antisemitischen oder verschwörungsideologischen Vorfällen sprech- und handlungssicherer werden wollen, ob im beruflichen oder im privaten Kontext.
Die MBR gehört dem Bundesverband Mobile Beratung (BMB) e.V. an, der als Dachverband rund 50 Mobile Beratungsteams bundesweit vernetzt, ihre Expertise bündelt und ihre Interessen vertritt.
Neben der Broschüre »Zum Umgang mit dem Kulturkampf von rechts in Bibliotheken« gibt es noch viele weitere Publikationen. Die meisten stehen hier zum kostenlosen Download bereit.
#bibliothekengegenrechts
Blogbild: Ausschnitt vom Umschlag der Broschüre